Streitbarer Meister des Sozialrealismus
Niemand stellt die Träume und Nöte von Arbeitern so authentisch dar wie Ken Loach. Mit "I, Daniel Blake" hat der britische Regisseur erst kürzlich eine Goldene Palme gewonnen. Nun wird er 80 Jahre alt.
Mit "I, Daniel Blake" findet Ken Loach wieder zur Bestform zurück und er beweist einmal mehr, dass sich soziales Engagement und gutes Kino nicht ausschließen. In seinem kraftvollen, neuen Werk beschreibt Ken Loach zu Beginn, wie eine junge Mutter auf dem Arbeitsamt verzweifelt darum kämpft, finanzielle Unterstützung zu erhalten. Bürokratische Beamte verweigern ihr jede Hilfe, weil sie zu spät zum Termin kommt.
Dass sie sich nicht auskennt und der Bus selber verspätet kam, interessiert die Bürokraten nicht. Bis sich ein Mann wortstark für sie einsetzt: der arbeitslose Zimmermann Daniel Blake.
"I, Daniel Blake" ist ein typischer Loach. Er lebt von der Authentizität, dem Jargon der Straße, den unbekannten Darstellern mit den vom Leben gegerbten Gesichtern. In Cannes lief das neue Werk des Briten englisch untertitelt, denn oft sind die Dialekte aus Newcastle oder Glasgow in den Filmen von Ken Loach nicht einmal für englische Muttersprachler zu verstehen.
Die Träume und Nöte von Arbeitern
Immer wieder gelingt es dem streitbaren Filmemacher, emotional packende Filme über die Träume und Nöte von Arbeitern zu drehen. Ken Loach ist der Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Schneiderin und durchlebte in seiner langen Karrieren verschiedene, kreative Phasen. Er feierte früh Erfolge. 1969 mit "Kes" und zwei Jahre später mit "Family Life". Dann arbeitete Loach lange für die BBC, die seine Dokumentarfilme irgendwann zu radikal fand und nicht mehr ausstrahlte.
1991 gelang ihm dann mit Riff Raff über die Zustände auf einer Baustelle sein Comeback im Spielfilm. Neben seinen britischen, schottischen und irischen Sozialdramen und Tragikomödien, wagt sich der überzeugte Linke manchmal auch an historische Stoffe wie in "Land and Freedom" über den spanischen Bürgerkrieg.
In "Land and Freedom" thematisiert Ken Loach die Zerrissenheit der Linken, die Intrigen der Stalinisten und wie so oft in seinen Filmen, stellt er politische Konflikte durchaus ambivalent dar. Bei öffentlichen Auftritten wie kürzlich in Cannes wirkt er mitunter radikaler und dogmatischer. So kritisiert Ken Loach die EU aus der linken Ecke:
"Die EU ist neoliberal. Sie setzt sich für Privatisierung und die Deregulierung des Arbeitsmarktes ein. Die Sicherheitsgarantien für die Umwelt und für Arbeiter werden ständig in Frage gestellt. Zur Zeit tut uns die EU keine Gefallen. Wenn wir aber aus ihr austreten, haben wir es aber allein mit einer Regierung zu tun, die weit Rechtsaußen steht."
Fußball als Leidenschaft
Ganz anders wirkt Ken Loach in Interviews. Meistens ruhig und lächelnd sind Gespräche mit ihm meistens angenehm. Er unterhält sich auch gerne über Fussball und redet mit seinen belgischen Koproduzenten - den Filmemachern Luc und Jean-Pierre Dardenne - lieber über Standard Lüttich als über Kino. Und Loach hat eine einfache Erklärung dafür, warum seine Aussagen in Interviews oft unversöhnlicher klingen als seine Filme:
"In einer Diskussion, vor allem einer politischen Diskussion, verteidigt man seine Position, aber wenn man einen Film dreht, dann erzählt man eine Geschichte. Und dafür ist es wichtig, jede Seite so gut wie möglich zu präsentieren."
In Frankreich, Spanien oder Italien laufen die Filme von Ken Loach viel erfolgreicher als in seiner britischen Heimat oder in Deutschland. In diesen Ländern mit einer starken linken Arbeitertradition wird der Filmemacher auch mehr verehrt. Streit- und angreifbar ist Ken Loach immer geblieben.
Radikaler Boykott israelischer Filme
Seine kompromisslose Haltung zu Israel ist durchaus irritierend und man muss ihm da einfach auch widersprechen. Er propagiert den Boykott israelischer Filme, auch wenn sie noch so kritisch gegenüber dem eigenen Land sind:
"...dann sollen diese israelische Filmemacher auch keine Gelder des israelischen Staats annehmen. Sonst sieht es so aus, als sei Israel eine liberale Demokratie, die oppositionelle Meinungen zulässt. Wenn also ein Israeli einen Film ohne staatliche, israelische Unterstützung dreht, ist das in Ordnung. Dann würden wir auch nicht zum Boykott seines Werks aufrufen."
Ken Loach ist aber nicht immer so hochpolitisch. In den letzten zehn Jahren hat er sich an Sozialkomödien und Liebesgeschichten gewagt . Besonders unterhaltsam sind dabei "Looking For Eric" mit Eric Cantona oder "Angels Share" über schottischen Whisky.
Schon vor zwei Jahren wollte sich Ken Loach vom Kino zurück ziehen und hat mit "I, Daniel Blake" noch einmal einen packenden Film geschaffen, der berührt und wütend macht. Deutsche Zuschauer müssen noch bis November auf das Werk warten. Es wäre zu schön, wenn mit "I, Daniel Blake" Ken Loach endlich wieder mal in Deutschland einen echten Erfolg feiern könnte.