Kenia

Frühstück beim Volk der Krieger

Von Bettina Rühl |
Mit ihrem bunten Schmuck und den traditionellen, um die Hüften gewickelten Tüchern sind die Massai eine der bekanntesten Volksgruppen Ostafrikas. Wie sie leben, erfährt man auf einer Öko-Lodge in Kenia - zu gesalzenen Preisen.
Zwei Frauen zeigen den Neuankömmlingen das Zimmer, oder besser gesagt: den kleinen Bungalow. Der Weg dorthin führt über eine Art Hängebrücke, denn Il Ngwesi schmiegt sich in die Hänge eines Hügels. Schwankende Planken gleichen den unebenen Untergrund aus. Alles ist aus Holz und Lehm gebaut und aus der Ferne kaum zu erkennen. Die Bungalows haben keine Türen, kein Fensterglas: Sie öffnen sich zur Savanne, lassen ihre Geräusche und Gerüche hinein. Jetzt, am frühen Abend, liegt das Buschland draußen schon im Dunkeln.
"Hier ist die Toilette, dort das Toilettenpapier. Wir haben ein Waschbecken, Shampoo, Kosmetiktücher, Handtücher. Außerdem Seife, Shampoo und Waschpulver für Ihre Kleidung. Sie können ihre Dreckwäsche aber auch in diesen Korb geben, dann waschen wir das."
Die Frauen weisen auf Papierkorb, Lichtschalter, Steckdose hin. Der Strom wird von einem Solarsystem erzeugt, Il Ngwesi ist als Öko-Lodge ausgezeichnet. Eine Übernachtung kostet mit Vollpension für Ausländer 450 Dollar pro Nacht, wer in Kenia lebt, zahlt die Hälfte. Das ist vermutlich mehr Geld, als viele der Mitbesitzer der Lodge – also die ortsansässigen Massai - in einem ganzen Jahr verdienen.
450 Dollar kostet das Zimmer pro Nacht
Die Gäste der Lodge essen auf einer Terrasse oben auf dem Hügel, unter freiem Himmel und eingehüllt von der Nacht. Zum Aperitif unterhält einer der Massai-Krieger die Gäste mit traditioneller Musik. Das alles wirkt nicht wie tote Folklore, sondern wie lebendige Massai-Kultur.
Das Beste, was die Anlage zu bieten hat, fällt aber erst auf, wenn alle schweigen: die Stille, unterbrochen nur von den Vögeln und Insekten der Nacht. Dann sind Frösche zu hören. Sie sitzen unten am Wasserloch, das jetzt in der Dunkelheit unsichtbar ist. Bisweilen das Lachen einer Hyäne. Der Glanz der Sterne wird von keinem städtischen Lichtstrahl überdeckt.
Diejenigen, die hier arbeiten, sind fast alles Krieger, sagt James Ole Kinyaga. Er gesellt sich beim Dinner dazu. Und erklärt bereitwillig, was es mit den Kriegern in der Massai-Gesellschaft auf sich hat:
"Auf dem Weg zum Mann durchläuft man bei uns mehrere Stufen. Die erste ist natürlich die Kindheit, die ersten fünf Jahre bleibt jedes Kind bei Mama und Papa. Dann fangen die Jungen an, durch die Gegend zu streifen, in die Schule zu gehen, das Vieh zu hüten."
Später zeigen ihnen die älteren Jungen, wie man Speere, Schwerter und andere Waffen benutzt. Das alles ist auf dem Land bis heute so, nur nicht mehr in den Städten.
"Im Alter von 14 oder 15 Jahren werden die jungen Männer beschnitten. Das ist das Ende der Kindheit und ihre Initiation in eine andere Entwicklungsstufe. Zum Zeichen dafür tragen sie anschließend zwei Monate lang schwarze Kleidung. Danach wird ihr Kopf kahl geschoren, und von da an tragen sie die rote Kleidung, die man kennt. Von nun an sind sie Krieger, bis sie ungefähr 25 Jahre alt sind."
Krieger im Dienst der Gemeinschaft
Früher waren die Krieger tatsächlich so etwas wie die Armee der Gemeinschaft: Sie mussten ihre Familien beschützen, wenn es Konflikte mit anderen Ethnien gab, und blieben während eines Krieges zum Teil viele Jahre lang im Busch. Die Moderne hat die Aufgaben der Krieger in der Massai-Gesellschaft verändert. Aber immer noch müssen sie Arbeit für die Gemeinschaft leisten. In Il Ngwesi tun sie das auf der gemeinschaftlichen Lodge, wofür sie im Monat rund 300 Dollar bekommen.
"Jeder weiß, dass das gesamte Personal aus den umliegenden Dörfern kommt. Und genau das macht den Charme dieses Ortes aus."
In der Lodge arbeitet auch David Jabees Karamushu. Er betreut die Reisenden und führt sie durch die Wildnis. Der 30-Jährige ist hoch aufgeschossen, schlank, selbstbewusst und immer freundlich. Spricht er mit Gästen, wirkt er aufrichtig zugewandt. Karmushu lebt mit seiner Frau und einem zehn Monate alten Sohn in der Nähe der Lodge. Die Arbeit hier hat er vor sechs Jahren begonnen. Für ihn war das ein absoluter Glücksfall – davor war er drei Jahre lang arbeitslos.
"Vor zehn Jahren habe ich in einem Internat Abitur gemacht, danach bin ich nach Hause zurückgekommen. Ich war mir sicher, dass ich hier einen Job finden werde. Ich habe alles Mögliche versucht und mich auch bei der Armee beworben, aber nichts hat geklappt. Bis dahin hatte ich immer geglaubt, dass es für einen gebildeten Menschen wie mich auf jeden Fall Arbeit gibt. Aber schließlich wurde mir bewusst, dass das nicht der Fall ist, so lange ich keine Berufsausbildung habe."
Aus den Einnahmen der Lodge, die in einen gemeinsamen Topf fließen, bekam er ein Stipendium für die höhere Schule. Denn Il Ngwesi ist ein "Trust", also eine Stiftung. 60 Prozent aller Einnahmen werden für die laufenden Kosten benötigt: für Gehälter, den Unterhalt des Gebäudes, den Hotelbetrieb. Die verbleibenden 40 Prozent werden in die unterschiedlichsten Projekte der Gemeinschaft investiert, darunter auch in Stipendien. Aber obwohl David Japees Karmushu dadurch etwas lernen konnte, hatte er davon noch kein Einkommen. Damit ging es ihm, wie vielen Kenianern: Die Arbeitslosigkeit beträgt etwa 40 Prozent und ist vor allem unter jungen Leuten hoch.
"Ich dachte darüber nach, was für Möglichkeiten ich hier auf der Laikipia-Hochebene überhaupt habe. Natürlich kam ich auf den Tourismus, der in unserer Gegend am meisten Potential hat. Ich bewarb mich für eine entsprechende Ausbildung an einer Fachhochschule in Nairobi, und ich kriegte einen Platz. Wieder bekam ich einen großen Teil der Hochschulgebühren aus dem Projekt Il Ngwesi bezahlt. Nach der Ausbildung habe ich in unserer Lodge ein Praktikum gemacht. Als ich gerade damit fertig war, wurde hier eine Stelle frei. Ich bewarb mich mit fünf anderen, und bekam den Zuschlag."
40 Dorfbewohner arbeiten für die Lodge
Inzwischen arbeiten rund 40 Menschen aus den umliegenden Dörfern für das Projekt: in der Lodge, als Wildhüter, und im Stiftungsbüro. Für die Jobs konnten sich die meisten nur dank eines Stipendiums qualifizieren. Andernfalls hätten sie sich das Lernen gar nicht leisten können. Jeder Angestellte versorgt eine große Familie, meist etwa zehn Menschen. Bei etwa 4000 Bewohnern der Gegend profitieren also rund zehn Prozent ganz direkt von der Lodge.
"Außerdem bauen wir Straßen - und auch die helfen der ganzen Gemeinschaft. Wir haben unsere Wildhüter mit Funkgeräten ausgestattet, die bessere Kommunikation nützt ebenfalls allen. Die Ranger haben außerdem Fahrzeuge bekommen - und es gibt zusätzliche Autos für die Gemeinschaft. Wenn es jetzt bei einer Geburt Komplikationen gibt, können die Leute uns anrufen. Wir schicken ein Auto, und die Frau wird ins Krankenhaus gebracht. Bevor es die Lodge gab, waren Eselskarren die einzigen Krankenwegen. In den meisten Fällen starben die Patienten auf dem Weg ins Krankenhaus. Das Projekt nützt also allen."
Die Nacht ist ein ganz eigenes Erlebnis. In einem großen Bett liegend, unter einem Netz vor Moskitos geschützt, können die Touristen dem Treiben im Buschland lauschen: Mehrere Hyänen müssen in der Gegend sein. Am frühen Morgen meldet sich ein Löwe. Dann Trappeln auf der Fensterbrüstung. Licht an und nachgucken, wer zu Besuch gekommen ist. Es ist ein Klippschliefer, das Tier ist etwa so groß wie pummeliges Kaninchen und ebenso harmlos.
Noch bevor der Morgen wirklich graut, wird die Savanne wach. Kurz darauf kommen unten in der Ebene die ersten Tiere zum Wasserloch: Zebras, Affen, Antilopen. Und während des Duschens kann manin den freien Himmel gucken, der seine Farben von Minute zu Minute verändert. Kurz darauf der Aufbruch zu einem so genannten "Bush-Walk", einem Spaziergang durch die Savanne.
"Bevor wir losgehen, möchte ich Ihnen noch ein paar Sachen erklären. Vor allem hier draußen in der Wildnis kann man nie genug Hinweise geben. Neben mir steht Kumasi, einer unserer Sicherheitsleute. Er kann mit der Kalaschnikow umgehen, die er dabei hat. Er wird vor uns gehen und dafür sorgen, dass alles unter Kontrolle ist. Die Sache ist nämlich: Bei wilden Tieren weiß man nie. Manchmal haben sie gute Laune, aber manchmal auch schlechte. Sollten wir auf Elefanten stoßen, könnte Kumasi seine Waffe benutzen – nicht, um sie zu treffen, aber um sie zu erschrecken, damit sie uns nicht angreifen."
Wild-Reichtum lockt zahlende Besucher an
Die Farben sind im Morgenlicht kräftig, das Leben in Büschen und Bäumen vibriert. Auch das Wild nutzt die Kühle dieser Stunden, um zu fressen und zu den Wasserstellen zu gehen. Ole Kinyaga bleibt häufig stehen. Hier fällt ihm die frische Fährte einer Hyäne auf, die höchstens eine Stunde alt ist. Dort stoppt er vor einem Haufen von Dikdik-Kötteln, wobei Dikdiks die kleinsten Gazellen sind, flinke Tiere mit großen Augen und Ohren. Männchen und Weibchen bleiben das ganze Leben lang zusammen.
Manchmal wird der Kopf einer Giraffe über dornigen Schirmakazien sichtbar. Dann stehen auf einer Lichtung drei oder vier Tiere zusammen. Zebras verharren am Wegesrand, Gazellen verschwinden hastig zwischen den Büschen.
Der Wildbestand hat sich deutlich erholt, seit die Laikipia-Massai ihr Weideland vor knapp 20 Jahren zum Naturschutzgebiet erklärten. Seitdem ist das Jagen auf ihren 16.000 Hektar Gemeindeland verboten. Nur in bestimmten Bereichen dürfen die knapp 4.000 Bewohner der Gegend ihre Rinder und Ziegen grasen lassen. Weil sie sich sicher fühlen, sind die wilden Tiere kaum scheu. Der Wild-Reichtum lockt die zahlenden Besucher aus Übersee an, und deshalb läuft bei den Massai das Geschäft mit dem Tourismus. Die Anregung für das Schutzgebiet ging auf einen weißen Kenianer zurück, dessen Familie in der Nachbarschaft seit der Kolonialzeit große Ländereien besaß.
"Ich bin Jäger von Beruf. Die Großwildjagd war mein Leben. Deshalb war ich dem Wild immer sehr nahe. Dann, in den 1970er-Jahren, wurde klar, dass die Großwildjagd keine Zukunft mehr hat, weil die Wilderei schon damals ein massives Problem war."
Ian Craig begriff, dass er das illegale Jagen nur beenden kann, wenn die Dorfbewohner auf andere Weise von den Tieren profitieren. Das konnte nur der Tourismus sein.
"Wenn ich die Bewohner der Gegend für den Naturschutz gewinnen wollte, dann durften sie in den Nashörnern und Elefanten nicht nur eine Attraktion für reiche Touristen sehen. Der Naturschutz musste sich für sie übersetzen in Bildung, Gesundheitsversorgung, Sicherheit, Arbeitsplätze, Einkommen. Wenn es mir gelingen würde, das alles in die Dörfer zu bringen, dann würde die Bevölkerung eine Art Schutzring um die Nashörner und andere Wildtiere legen. Sie würden mir künftig Bescheid sagen, wenn jemand aus ihrer Gemeinschaft oder von außerhalb käme, um zu wildern - das war meine Idee. Und es hat tatsächlich ausgezeichnet funktioniert."
Am Abend greift einer der Massai-Krieger auf der Lodge wieder zur traditionellen Gitarre. David Japees Karmushu setzt sich mit an den Tisch, wie immer traditionell gekleidet. Man könnte annehmen, dass er sich bisweilen wie eine Touristenattraktion fühlt. Dass die Massai-Kultur zur Folklore verkommt, ein Ausverkauf zugunsten des eigenen Überlebens.
"Ja, das könnte man meinen. Aber ich habe es noch nie so empfunden. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich vorgeführt werde. Dass die Touristen kommen und bezahlen, um mich zu sehen. Was für mich zählt ist der Vorteil, den unsere ganze Gemeinschaft von dem Tourismus hat. Zugleich können wir den Besuchern von unserer Kultur erzählen und ihnen zeigen, wie wir leben. Und das ist es, was wir wollen. Ich glaube, wir alle sind stolz darauf, dass wir dazu die Gelegenheit haben, und niemand fühlt sich vorgeführt."