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Warum Ruanda noch voraus ist
23:47 Minuten
Während die EU an der Reduzierung von Plastiktüten bis ins Jahr 2025 schraubt, sind sie in Marokko, Mauretanien oder Tansania längst verboten. Vorreiter Ruanda hat eine eigene Plastikpolizei - und in Kenia zeigt sich, wichtiger als Verbote ist ein Bewusstseinswandel.
Meterhohe Wellen branden an den langen, schneeweißen Strand von Watamu. Palmen, kleine Buchten, schicke Hotels und bunte Gärten - ein Paradies für Touristen. Aber der Postkartenanblick an der Küste Kenias hat ein paar hässliche Schönheitsflecke.
Zerfetzte Plastiktüten liegen halb begraben im Sand, dazwischen platt gedrückte Wasserflaschen und immer wieder ausgebleichte Plastiklatschen.
"Davon gibt es jede Menge. Wir sammeln den Müll jeden Morgen ein, und unser Lager ist voll. Das meiste ist Plastik – und Flip-Flops."
Klagt Hotelmanager Alex Kilonzo. Kenia versinkt im Plastikmüll: Geschätzt 50 Millionen PET-Flaschen werden jedes Jahr weggeschmissen, unzählige Milchtüten, Verpackungen – und 24 Millionen Plastiktüten jeden Tag.
Zumindest mit den Tüten ist seit Ende August letzten Jahres Schluss. Herstellung und Benutzung sind seither streng verboten. Damit hat die Regierung den Kampf gegen die Plastikflut aufgenommen, der bislang allein privaten Initiativen überlassen geblieben war.
Verbieten als einzige Möglichkeit
Hunderte Freiwillige schwärmen über den Strand von Watamu. Jeder trägt einen riesigen Sack und stopft das angeschwemmte Treibgut aus Plastik hinein.
"Der Müll, vor allem die Tüten, schadet unseren Fischen. Besonders die Meeresschildkröten und große Fische fressen sie und können daran sterben. Deshalb säubern wir die Strände."
So Mathilda Mathias von der Watamu Marine Association. Aber solche Aktionen helfen nur kurzfristig. Mit dem Plastiktütenverbot will die Regierung jetzt die Ursache des Müllproblems bekämpfen.
"Gerade die dünnen Tüten verbreiten sich rasant. Von denen brauchen Verkäufer, die etwas für Sie einpacken, zwei oder sogar drei, damit sie halten. Wir versinken in ihnen, und es gibt keine andere Möglichkeit, als sie alle zu verbieten."
Erklärte Geoffrey Wahungu, der Chef der Umweltschutzbehörde NEMA, kurz vor Inkrafttreten des Verbots. Werbung für das neue Gesetz war dringend nötig. Denn einfach war seine Durchsetzung nicht.
"Das Tütenverbot schadet mir sehr"
Angeline schneidet Sukumawiki an ihrem Marktstand in Kangemi, einem der vielen Slums in Nairobi. Das Blattgemüse ist beliebt in Kenia und bringt der Händlerin das meiste Geld.
Die küchenfertigen Blätter hat Angeline früher immer sorgfältig in eine dünne, schwarze Plastiktüte gepackt. Aber das ist jetzt vorbei.
"Wir schneiden das Gemüse für unsere Kunden, es ist nass. Womit soll ich es jetzt verpacken? Wenn ich nicht mehr schneiden kann, womit soll ich mein Geld verdienen? Das Tütenverbot schadet mir sehr."
Solche Argumente hatten das Aus für die Polyäthylen-Tüten in den vergangenen Jahren schon zweimal gestoppt. Auch die Hersteller haben sich bis zur letzten Minute heftig gegen den dritten Anlauf gewehrt. Denn der größte Teil der Tüten wird in Kenia selbst produziert.
"Ein Verbot ist nicht der richtige Weg. Besser wäre eine nachhaltige Müllentsorgung – und das Umweltbewusstsein der Bevölkerung zu entwickeln. Denn ihr Verhalten ist der Grund für den Plastikmüll im ganzen Land, nicht die Hersteller."
So Phyllis Wakiaga vom Industrieverband. Das Umweltbewusstsein ist bei den meisten Kenianern tatsächlich noch nicht besonders gut entwickelt, sagt auch Sam Barrat von der Umweltorganisation der Vereinten Nationen UNEP.
"Wenn Sie in Nairobi hinter einem Minibus herfahren, dann sehen Sie eine Plastikflasche herausfliegen. Das passiert regelmäßig. Da ist noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten, z.B. in den Schulen, damit die Leute wirklich darüber nachdenken, was passiert, wenn sie etwas wegschmeißen."
Die Tüten verrotten nicht
Musik plärrt aus dem Lautsprecher eines der winzigen Läden in Kibera, Nairobis größtem Slum. Kunden inspizieren die ansprechend platzierten Waren der Händler: Second-Hand-Kleider, Lebensmittel, Telefonkarten, Haushaltswaren. Hinter den Bretterbuden, in den engen, verwinkelten und staubigen Gassen, verrotten stinkende Essensabfälle in der Sonne.
Unter Massen von Verpackungsmüll lauern Tretminen aus menschlichem Kot. Dazwischen liegen jede Menge Plastiktüten – auch sechs Monate nach ihrem Verbot noch.
"Die Tüten sind eine Bedrohung geworden. Sie fliegen überall herum, verstopfen die Gräben und blockieren das Abwassersystem. Die Kühe selbst in den Dörfern fressen sie. Und das ist sehr gefährlich."
Klagt Caroline, die in einer der Hütten aus Lehm und Wellblech lebt. Die kleinen Händler auf den Märkten und in den Slums haben die meisten Plastiktüten unter die Leute gebracht. Als Service für ihre Kunden, erklärt Obstverkäuferin Benina.
"Wir haben normalerweise alles, jede Frucht, in eine Plastiktüte gepackt."
Und einmal in die Gegend geschmissen, bleiben die praktischen Tragetaschen für lange Zeit eine Bedrohung – weil sie nicht verrotten, so Sam Barratt von der UNEP.
Fünf Minuten benutzt, erst in 500 Jahre verrottet
"Die Hinterlassenschaft eines Gegenstandes, den sie fünf Minuten lang benutzen, kann 500 Jahre überdauern. Plastik ist überall im Ökosystem Kenias. Deshalb haben sie das Verbot letztes Jahr erlassen. Das war ein phantastischer Moment für das Land."
Ein erster Schritt, der große Schlagzeilen gemacht und eine heftige Debatte ausgelöst hat. Mit der Folge, dass sich viele Kenianer jetzt mit den Müllbergen beschäftigen. Der Boom der Plastiktüten ist ein relativ junges Phänomen.
"Sie sind einfach zu etwas Bequemem geworden. Früher haben wir immer unsere traditionellen Taschen benutzt. Und alles sah gut aus. Wir haben ein sehr sauberes Leben geführt. Den Dreck überall gab es nicht. Den haben wir erst jetzt, seit das Plastik da ist."
Seit 15 oder 20 Jahren, erinnert sich Wamboi. Der alte Mann trägt stolz seine schon etwas abgewetzte Einkaufstasche aus buntem Bast. Plastiktüten braucht er nicht, sagt er. Und fügt etwas neidisch hinzu.
"Ich bin in Ruanda gewesen, in Kigali. Da ist es wunderschön. Ich hab nie eine sauberere Stadt gesehen. Eine der besten, die ich je besucht habe. Ich wünschte, Kenia könnte genauso sein."
Ruanda hat die Plastiktüten bereits vor rund zehn Jahren verboten – und setzt das Gesetz seitdem auch rigoros durch.
Sechs Monate Zeit
Eine ganz so wunderschöne Nation, wie sie der kenianische Musiker Mani besingt, ist sein Heimatland längst nicht mehr.
Kenia würde den umweltpolitischen Vorsprung Ruandas gerne wieder wettmachen. NEMA-Chef Geoffrey Wahungu:
"Wir sehen schlecht aus gegenüber unseren Nachbarn in der Region, die diesen mutigen Schritt bereits getan haben. Wir diskutieren schon seit 2007 über ein Plastiktütenverbot und haben zweimal versucht, ein solches Gesetz zu erlassen."
Beim dritten Anlauf hat die Regierung kurzen Prozess gemacht: Die Kenianer hatten gerade mal sechs Monate für die Umstellung auf ein Leben ohne Tüten. Für ihre Hersteller viel zu kurz, klagt Samuel Matonda vom Industrieverband KAM.
"Aus wirtschaftlicher Sicht war das einfach nicht machbar. Denn die Hersteller hatten bereits Rohmaterial eingekauft, das plötzlich wertlos war. Sie hatten Lieferverträge abgeschlossen und mussten Vertragsstrafen zahlen. Das hatte massive negative Folgen für die kenianische Wirtschaft."
Umdenken hat begonnen
Wie stark die kenianische Wirtschaft gelitten hat, ist derzeit noch unklar. Sam Barrat von der UNEP räumt ein, dass die Umsetzung des Tütenverbots nicht optimal gelaufen ist. Aber:
"Es gab keine andere funktionierende Maßnahme, die man hätte ergreifen können, außer einem Verbot. Das war das einzig Richtige, das man machen konnte."
Und die Kenianer beginnen langsam, sich mit der neuen, tütenlosen Zeit anzufreunden. Selbst die skeptischen Händler auf den Märkten.
Fischmarkt im Westen des Landes, nicht weit von den Ufern des Viktoriasees. Margaret Okoth verpackt Omena in küchenfertige Portionen. Die beliebten winzigen Trockenfische schaufelt sie in gefaltete Päckchen aus Zeitungspapier.
"Die Zeitungen müssen wir kaufen. Das Kilo kostet 50 Shilling."
Das sind knapp 40 Cent. Der Preis für das Altpapier ist gestiegen, seit es als Alternative für die Plastiktüten herhalten muss. Aber ihr Verbot ist trotzdem eine gute Sache, sagt Diana Kafa vom Stand nebenan.
Von einem Problem zum nächsten
"Jetzt sieht es hier sehr nett aus. Die Plastiktüten haben unsere ganze Umgebung zerstört. Hier hinter mir ist ein Graben. Wenn die Leute die benutzten Tüten weggeschmissen haben, hat der Wind sie da reingeweht. Früher konnten sie hier gar nicht langspazieren, wie Sie es heute tun können."
Die meisten ihrer Kunden bringen neuerdings ihre eigenen Einkaufstaschen mit, sagt die Gemüsehändlerin. Die offiziell empfohlene Alternative zu den Plastiktüten ist zwar auch aus Plastik, aber dicker, gewebt – und damit stabiler. Samuel Matonda vom Industrieverband hält dagegen nicht viel von alternativen Plastiktaschen.
"Wir bewegen uns von einem Problem zu einem größeren. Denn diese gewebten Plastiktaschen kann man nicht recyceln. Wenn Sie die nach fünf Jahren wegschmeißen, werden sie viel schlimmer sein als die bisherigen Tüten."
Die Supermärkte verwenden jetzt Plastiknetze statt der Tüten für Obst und Gemüse. Die Metzgereien verpacken ihr Fleisch in durchsichtige Boxen aus Hartplastik, die ebenfalls nach einmaligem Gebrauch im Abfall landen. Viel kleiner sind die Müllberge mit dem Tütenverbot also nicht geworden.
Keine Umweltverschmutzung mehr. Trash is Cash – Müll ist Bargeld – so die HipHop-Version des Anti-Abfall-Protests in Kenia.
Plastiktütenverbot ist erst der Anfang
Wohin mit dem Plastikschrott – die Frage bleibt auch nach dem Tütenverbot aktuell – in einem Land, in dem es keine Mülltrennung gibt und in dem Müllsammler die Wertstoffe mühsam von Hand auflesen. Um sie dann an Recyclingunternehmen zu verkaufen.
Kenias Plastikhersteller verwenden gerne billigeres Recyclingmaterial – und haben sich mittlerweile auch mit dem verhassten Plastiktütenverbot abgefunden – mit einigen Einschränkungen. Samuel Matonda vom Industrieverband:
"Es ist ein Plus für unser Land, dass unsere Umwelt damit besser und sauberer wird. Nicht, weil der Plastikverbrauch wirklich zurückgegangen wäre. Sondern weil die Leute sensibler geworden sie, wie sie sich verhalten sollen, um unsere Umwelt sauberer zu halten."
Groß angelegte Aufklärungskampagnen sollen dazu beitragen, auch die letzten unverbesserlichen Tütenfans zu überzeugen. Aber auch wenn die letzten Polyethylen-Tüten aus Kenia verschwunden sind, ist das erst der Anfang. Sam Barrat von der UNEP:
"Wir müssen jetzt auch gegen Plastikflaschen aus PET vorgehen. Positiv ist, dass die Industrie anfängt zu verstehen, dass sie dafür verantwortlich ist. Das ist nicht Anti-Plastik, sondern Anti-Plastik-Müll."
Ein gut entwickeltes Umweltbewusstsein, mehr Recycling, eine funktionierende Müllabfuhr, vielleicht sogar Mülltrennung und ein Pfandsystem für leere Flaschen. Kenia hat noch einen weiten Weg vor sich im Kampf gegen den Plastikmüll. Aber all das hat auch in den so genannten entwickelten Ländern wie Deutschland Jahrzehnte in Anspruch genommen. Und auch dort ist der Kampf längst noch nicht gewonnen.