Kenneth Goldsmith: "Uncreative Writing"

Plädoyer für das Plagiat

Cover des Buches "Uncreative Writing" von Kenneth Goldsmith
Kenneth Goldsmith will mit seinem Buch den traditionellen Literaturbetrieb provozieren. © Verlag Matthes & Seitz / picture alliance / dpa
Von Vera Linß |
Muss man im digitalen Zeitalter wirklich noch Neues kreieren? Warum nicht aus bereits existierendem Material literarische Werke schaffen. So stellt sich der US-Amerikaner Kenneth Goldsmith im Buch "Uncreative Writing" die Revolution in der Literatur vor.
Nie wurde soviel veröffentlicht wie in digitalen Zeiten. Zettabytes an Informationen fließen mittlerweile durchs Netz – darunter Unmengen an Texten und Wortschnipseln. Die Herausforderung unserer Zeit sei, vorhandene Informationen und deren Verbreitung zu meistern, findet der Autor Kenneth Goldsmith. Verfertigung von Literatur müsse sich dazu an den Möglichkeiten neuer Technologien und am Internet orientieren.

Überholte Vorstellung des "Originalgenies"

"Uncreative Writing" nennt der Hochschullehrer von der University of Pennsylvania, Jahrgang 1961, diese neue Art des Schreibens. Ein Begriff, mit dem Goldsmith bewusst den traditionellen Literaturbetrieb provozieren will. Denn über den ist der Autor äußerst frustriert. Dort gehe man immer noch von der Vorstellung des "Originalgenies" aus, das Texte immer wieder neu erfindet. Allein das werde als kreativer Umgang mit Sprache akzeptiert. Für Goldsmith liegt Kreativität aber auch darin, schon Existierendes in ein neues Licht zu stellen.
Diese Idee der Perspektiverweiterung durchzieht sein gesamtes Buch. Immer wieder ist man überrascht. Das beginnt bei der Analyse dessen, was Sprache eigentlich ist. Nämlich kein bloßer "Träger semantischer Bedeutung". Nein, Sprache ist auch ein materielles Objekt, das durch das Internet völlig neu genutzt werden kann! Fluider sei es, formbarer, geschmeidiger, fragmentarischer. "Es schreit danach, vom Schreibenden aktiv verwaltet zu werden." Warum also sollte man es nicht tun, fragt Goldsmith fast trotzig. Zumal das "Verwalten" einen völlig neuen Blick auf die Realität zulässt, wie er eindrucksvoll an etlichen Werken zeigt.
Die Rechtsanwältin Vanessa Place etwa verwandelt Prozessakten in Literatur, indem sie die Texte anonymisiert und dann veröffentlicht. Der nüchtern dargelegte Fall eines pädophilen Onkels und seines Missbrauchsopfers hat in im literarischen Kontext eine völlig andere Wirkung, als würde der Text vor Gericht vorgetragen. Appropriation, also die Aneignung von Worten, und deren neue Rahmung sind die Techniken, die Place nutzt. Auch andere Werkzeuge – Plagiat, Remix, Kopie – stellt Goldsmith in einer profunden Beispielsammlung vor.

Recht auf Plagiat

Bestechend, wie er es schafft, die Sicht auf digitale Technologie zu drehen. Wo andere genervt sind, wenn jemand in der U-Bahn laut ins Handy plappert, spricht Goldsmith von einem Geschenk, von einer neuen Stufe textuellen Reichtums. Wo Pessimisten die Digitalisierung als Gefahr für Kreative sehen, blickt er auf die Chancen für die Literatur. Mit Letzterem ist er nicht allein. Seit Jahren gibt es die Forderung, das Kopieren und Remixen zu erlauben. Denn bislang agieren diese Künstler in rechtlichen Grauzonen. Goldsmith fordert sogar das Recht auf Plagiat. Unter welchen Rahmenbedingungen dies geschehen kann, reflektiert er zwar nicht. Sein faszinierendes Buch macht aber klar, wie schade es wäre, wenn man auf solche Fragen nicht endlich eine Antwort fände.

Wie kreativ sind Maschinen heute - und wie kreativ der Mensch? Ein Beitrag mit anschließendem Gespräch mit Kenneth Goldsmith in der Sendung Breitband:
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Kenneth Goldsmith: Uncreative Writing. Sprachmanagement im digitalen Zeitalter.
Aus dem amerikanischen Englisch von Swantje Lichtenstein und Hannes Bajohr.
Matthes & Seitz, Berlin 2017, 351 Seiten, 30 Euro

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