Kennt der Islam eine Aufklärung?
Der Islam bedarf der Aufklärung. Ein Satz, der im Feuilleton und in der Politik sehr bliebt ist. Mit diesem Fingerzeig möchte man den Muslimen die Richtung vorgeben, die das Abendland genommen hat. Denn man hält ihre Lebensweise hierzulande wie in der islamischen Welt für rückständig und patriarchalisch.
Natürlich könnte man selbst in den Chor der Mahner einstimmen. Schließlich ist es in islamischen Gesellschaften um Demokratie und Menschenrechte selten gut bestellt. Wäre da nicht die Gegenfrage zu stellen, ob nicht sehr schnell die kulturelle und wissenschaftliche Leistung der Muslime in der Geschichte vergessen wird, eines Ibn Sina und eines Ibn Rushd. Beide haben viel zur Aufklärung im Abendland beigesteuert.
An ihre Leistung halten sich viele Muslime, die oft durch den Hinweis auf eine glorreiche Vergangenheit heutige Probleme vergessen machen möchten. Haben die Kritiker also doch recht? Wir erinnern uns, vor noch nicht so langer Zeit waren viele Gelehrte und religiöse Institutionen in islamischen Ländern abhängig von autoritären Regierungen. Manche sind es noch.
Das Infragestellen des Status Quo führte Oppositionelle in den Kerker. Freie Forschung und Entfaltung werden namens des Islams unterdrückt. Wo Menschenwürde im Angesicht von Folter, Solidarität im Angesicht von Gewalt und Armut gepredigt wird, stellt Religion eine Gefahr für Despoten und Fundamentalisten dar. Aufklärerische Gelehrte können oft nur in gemäßigten islamischen Ländern überleben - oder im Exil.
Im Gegensatz dazu rühmt sich der Westen gerne seiner Wissenschaft und seines Fortschritts. Ein genauer Blick aber zeigt uns, dass auch er die Aufklärung noch nicht so verinnerlicht hat, wie er es vorgibt. Nicht anders als viele Muslime übersieht der westliche Bürger seine eigenen Probleme und projiziert alles Negative dafür auf Andere, beispielsweise die, welche noch nicht durch das Feuer der Aufklärung gegangen seien.
Armut, Umweltverschmutzung und Hunger - gerade im Süden der Welt - sind die Kehrseite des Fortschritts im Namen der Aufklärung. Das lässt sich nicht beiseite wischen. Die arabische Welt ist im Aufbruch. In einem autoritären Staat nach dem anderen finden Revolutionen statt, die so manch ein westlicher Mensch gerne im eigenen Land sehen würde, da hier die Stelle der Despoten die Banken eingenommen haben.
Der Wohlstand und der wissenschaftliche Fortschritt haben die Menschen bequem gemacht. Er jetzt merken sie, dass es nicht aufgeklärt sein kann, mit grenzenlosem Wachstum und Gier den Planeten und seine Gesellschaften zu verwüsten. Vielleicht kann da der Elan aus der islamischen Welt helfen, die angeblich nicht so aufgeklärt ist.
Die Aufstände führen vor Augen, dass anderswo Menschen für etwas kämpfen müssen, was uns selbstverständlich geworden ist, dessen Wert wir nicht mehr schätzen. So könnten wir entdecken, dass die islamische Welt und der Westen mehr Gemeinsamkeiten haben, als ihnen oft lieb ist. Wir könnten lernen, dass der Westen kein Patent für Freiheit und Würde hat. Drohen doch beide im Zuge der Finanzkrise sehr schnell in den Sachzwängen der Wirtschaft unterzugehen.
Es ist die Krise, welche das westliche Selbstbild zur Rhetorik verkommen lässt. Und es war die Realpolitik, mit der der Westen immer wieder seine Prinzipien verraten hat. Insofern hat er im Geiste der Aufklärung die Verantwortung, nicht nur ein Lippenbekenntnis in Sachen Menschenrechte und Demokratie abzugeben, damit sich die neu gewonnene Freiheit in der islamischen Welt entfalten kann. Dann werden auch die Muslime ihren historischen Anteil an der Aufklärung wiederentdecken und zu schätzen wissen.
Serdar Günes, Islamwissenschaftler, geboren 1978 in Stuttgart, studierte Germanistik, Politikwissenschaft, Philosophie an den Universitäten Izmir und Stuttgart sowie in Tübingen Islamwissenschaft und Literatur. Seit 2007 ist er in Frankfurt wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Stiftungsprofessur Islamische Religion (Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam). Seine Forschungsschwerpunkte sind Koranexegese in der Moderne, Reformdenken im Islam, Islamophobie, Islamunterricht, Interkultureller Dialog, Islamische Seelsorge,
Grenzfragen von Religion und Naturwissenschaft. Er schreibt im Blog "serdargunes.wordpress.com".
An ihre Leistung halten sich viele Muslime, die oft durch den Hinweis auf eine glorreiche Vergangenheit heutige Probleme vergessen machen möchten. Haben die Kritiker also doch recht? Wir erinnern uns, vor noch nicht so langer Zeit waren viele Gelehrte und religiöse Institutionen in islamischen Ländern abhängig von autoritären Regierungen. Manche sind es noch.
Das Infragestellen des Status Quo führte Oppositionelle in den Kerker. Freie Forschung und Entfaltung werden namens des Islams unterdrückt. Wo Menschenwürde im Angesicht von Folter, Solidarität im Angesicht von Gewalt und Armut gepredigt wird, stellt Religion eine Gefahr für Despoten und Fundamentalisten dar. Aufklärerische Gelehrte können oft nur in gemäßigten islamischen Ländern überleben - oder im Exil.
Im Gegensatz dazu rühmt sich der Westen gerne seiner Wissenschaft und seines Fortschritts. Ein genauer Blick aber zeigt uns, dass auch er die Aufklärung noch nicht so verinnerlicht hat, wie er es vorgibt. Nicht anders als viele Muslime übersieht der westliche Bürger seine eigenen Probleme und projiziert alles Negative dafür auf Andere, beispielsweise die, welche noch nicht durch das Feuer der Aufklärung gegangen seien.
Armut, Umweltverschmutzung und Hunger - gerade im Süden der Welt - sind die Kehrseite des Fortschritts im Namen der Aufklärung. Das lässt sich nicht beiseite wischen. Die arabische Welt ist im Aufbruch. In einem autoritären Staat nach dem anderen finden Revolutionen statt, die so manch ein westlicher Mensch gerne im eigenen Land sehen würde, da hier die Stelle der Despoten die Banken eingenommen haben.
Der Wohlstand und der wissenschaftliche Fortschritt haben die Menschen bequem gemacht. Er jetzt merken sie, dass es nicht aufgeklärt sein kann, mit grenzenlosem Wachstum und Gier den Planeten und seine Gesellschaften zu verwüsten. Vielleicht kann da der Elan aus der islamischen Welt helfen, die angeblich nicht so aufgeklärt ist.
Die Aufstände führen vor Augen, dass anderswo Menschen für etwas kämpfen müssen, was uns selbstverständlich geworden ist, dessen Wert wir nicht mehr schätzen. So könnten wir entdecken, dass die islamische Welt und der Westen mehr Gemeinsamkeiten haben, als ihnen oft lieb ist. Wir könnten lernen, dass der Westen kein Patent für Freiheit und Würde hat. Drohen doch beide im Zuge der Finanzkrise sehr schnell in den Sachzwängen der Wirtschaft unterzugehen.
Es ist die Krise, welche das westliche Selbstbild zur Rhetorik verkommen lässt. Und es war die Realpolitik, mit der der Westen immer wieder seine Prinzipien verraten hat. Insofern hat er im Geiste der Aufklärung die Verantwortung, nicht nur ein Lippenbekenntnis in Sachen Menschenrechte und Demokratie abzugeben, damit sich die neu gewonnene Freiheit in der islamischen Welt entfalten kann. Dann werden auch die Muslime ihren historischen Anteil an der Aufklärung wiederentdecken und zu schätzen wissen.
Serdar Günes, Islamwissenschaftler, geboren 1978 in Stuttgart, studierte Germanistik, Politikwissenschaft, Philosophie an den Universitäten Izmir und Stuttgart sowie in Tübingen Islamwissenschaft und Literatur. Seit 2007 ist er in Frankfurt wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Stiftungsprofessur Islamische Religion (Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam). Seine Forschungsschwerpunkte sind Koranexegese in der Moderne, Reformdenken im Islam, Islamophobie, Islamunterricht, Interkultureller Dialog, Islamische Seelsorge,
Grenzfragen von Religion und Naturwissenschaft. Er schreibt im Blog "serdargunes.wordpress.com".