Kenzaburō Ōe: "Licht scheint auf mein Dach. Die Geschichte meiner Familie"
Aus dem Japanischen von Nora Bierich
S. Fischer. Frankfurt am Main 2014
206 Seiten, 19,99 Euro
Gedanken über gelebte Menschlichkeit
In 19 Essays reflektiert der japanische Literaturnobelpreisträger Kenzaburō Ōe über die Beziehung zu seinem behinderten Sohn Hikari und dessen späteren musikalischen Erfolg. Trotzdem sind sie mehr als nur autobiografische Notizen.
1994 gab Kenzaburō Ōe bekannt, dass er keine weiteren Romane mehr schreiben würde. Denn er müsse seinem behinderten Sohn Hikari, der in etliche seiner Bücher eingegangen ist, nun keine Stimme mehr leihen. Im Laufe der Zeit nämlich hatte der schweigsame Hikari komponieren gelernt und so eine eigene künstlerische Ausdrucksform gefunden; 1992 und 1994 waren seine ersten CDs mit kleinen Stücken für Klavier, Violine und Flöte erschienen.
Kurz nachdem Kenzaburō Ōe beschlossen hatte, keine Romane mehr zu schreiben, wurde ihm der Literaturnobelpreis verliehen. Ōe schrieb später weitere Romane. Zunächst aber entstanden 19 essayistische Reflexionen, die nun unter dem Titel "Licht scheint auf mein Dach" auf Deutsch vorliegen.
Der Untertitel des Buches behauptet, Ōe erzähle darin "die Geschichte seiner Familie". Dies stimmt aber nur sehr bedingt, denn Ōe reflektiert in den Essays vor allem seine Beziehung zu seinem Sohn Hikari und dessen musikalische Entwicklung. Seine Frau Yukari, die einige liebevoll-naive Farbzeichnungen häuslicher Szenen beigesteuert hat, sowie Ōes zweitgeborene Tochter und sein jüngster Sohn spielen kaum eine Rolle in seinen Texten.
Respektvoller Abstand zu allen erwähnten Personen
"Ich habe mich entschieden, meinen Sohn Hikari zum Zentrum meines Lebens zu machen", betonte Ōe 2005 in einem Interview mit dem Berliner "Tagesspiegel", und genau davon zeugen auch seine Essays. Diese halten jedoch selbst im Anekdotischen noch respektvoll Abstand zu allen erwähnten Personen, geben nie Pikantes preis und zeichnen vor allem Hikaris musikalische Fortschritte nach. Leider kommt es dabei zu zahlreichen Redundanzen, da sich Kenzaburō Ōe auf immer dieselben Anekdoten und Erinnerungen bezieht.
Sein ganzer Stolz gilt dem Sohn, der zwischen 26 und 32 Jahren alt ist, als die Essays entstehen, und sich mit den Jahren positiv entwickelt. Seine eigenen schriftstellerischen Erfolge erwähnt Ōe nicht, und auch über den Literaturnobelpreis verliert er kein einziges Wort. Stattdessen betont er seine Hochachtung vor den Menschen, die sich um den kranken Sohn und die Familie Ōe gekümmert haben: Hikaris Arzt, seine Klavierlehrerin und die Musiker, die seine Stücke spielen.
Reflexionen über ethische Werte und gelebte Menschlichkeit
Auch über den unermüdlichen Einsatz eines Arztes in Hiroshima und die Arbeit seines Schwagers, des bekannten Regisseurs Jūzō Itami, denkt Ōe nach. Er lernte Itamis Arbeitsweise bei der Verfilmung seines Romans "Stille Tage" genauer kennen. Von Itamis Selbstmord im Jahr 1997 ahnt Ōe beim Abfassen seiner Essays, die 1995 und 1996 auf Japanisch erschienen, noch nichts.
In seinen Betrachtungen über all diese für ihn und seine Familie wichtigen Menschen weiten sich Ōes autobiografische Notizen stets zu Reflexionen über ethische Werte und gelebte Menschlichkeit aus. In ihnen finden seine Texte zu ihrer Stärke und fassen in durchweg ruhigem, völlig unaggressivem Ton den humanen Geist in Worte, der auch Ōes Romane und Erzählungen trägt.