Kermani: Kampf in Pakistan richtet sich "gegen das Herz der eigenen Kultur"
In seinem Buch "Der Schrecken Gottes" beschreibt der Islamwissenschaftler Navid Kermani das Hadern mit Gott - auch im Islam. Auf Lesereise in Pakistan hat er sich dementsprechend mit der Volksreligiosität, dem Sufismus, beschäftigt. Dessen kulturelles Erbe sieht er stark bedroht.
Frank Meyer: Der deutsche Islamwissenschaftler und Schriftsteller Navid Kermani war gerade zwei Wochen auf Lesereise in Pakistan. Er hat dort ein Buch vorgestellt, in dem es um das Hadern mit Gott geht, um die Auseinandersetzung mit einem ungerechten, einem grausamen Gott - im Christentum, im Judentum, aber vor allem auch im Islam. "Der Schrecken Gottes" heißt dieses Buch. Es ist in Pakistan auf Englisch erschienen, und man kann sich vorstellen, dass solch ein Buch in diesem Land, in einer Hochburg des Islamismus auf starke Ablehnung stoßen kann. Navid Kermani, seien Sie erst mal herzlich willkommen!
Navid Kermani: Guten Tag!
Meyer: Als Sie diese Einladung bekommen haben, gerade mit diesem Buch über das Hadern mit Gott nach Pakistan zu fahren, was haben Sie gedacht? Hatten Sie da auch Bedenken?
Kermani: Nein, also ich habe mich eher gefreut. Ich wusste, das Pakistan ein Land ist, in dem die mystische Kultur, um die es ja auch in dem Buch geht, noch sehr lebendig ist, und insofern dachte ich, dass dort ein Publikum da ist, das mit den Geschichten, die in diesem Buch erzählt werden, mit den Weltbild dieses Buches, das in diesem Bild behandelt wird, etwas anfangen kann. Und es ist ja auch nicht so, dass man mit einem Buch Lesungen gibt in fundamentalistischen Koranschulen, sondern eben vor einem gebildeten, wenn auch religiös, dann doch zugleich auch weltlich ausgerichteten Publikum. Insofern, allein schon die Tatsache, dass das Buch ja auch dort erhältlich ist, zeigt ja, dass es daran nicht allzu viel zu befürchten gab.
Meyer: Und wie haben Sie die Reaktionen dann erlebt? Sie waren beim Karadji-Literaturfestival, wie hat man das Buch dort aufgenommen?
Kermani: Einerseits kannte man diese Aspekte der islamischen Mystik, die dunklen Aspekte, dieses Hadern mit Gott, diese Infragestellung Gottes, dieser Zweifel an Gott, die sind offenbar doch recht vergessen, obwohl es sie auch in der Literatur des Subkontinents durchaus sehr stark gibt. Insofern waren die Leute sehr neugierig, aber sie haben dann natürlich auch sofort - also es gab ein großes Bedürfnis, überhaupt auf dem Festival bei allen Veranstaltungen, zu diskutieren, zu reden. Es war zum ersten Mal seit langer Zeit - das Festival gibt es seit drei Jahren -, gibt es wieder einen öffentlichen Ort, an dem man reden, an dem man diskutieren, an dem man Fragen stellen kann, und das galt eigentlich für alle Themen. Und das galt dann eben auch für mein Buch.
Ich hatte den Eindruck, das geht gar nicht so sehr um das Buch selbst, sondern die Möglichkeit, die großen Fragen des Lebens einfach öffentlich zu diskutieren, und es gab sehr viele, die aus so einer komplett säkularen Position, aus einer atheistischen Position sozusagen gesagt haben, wozu braucht man überhaupt noch Gott? Aber es gab eben auch sehr viele, die sich mit mystischer Literatur auskennen, die sofort angesprungen sind, und entsprechend waren die Reaktionen dann sehr, sehr stark.
Meyer: Und dieses Literaturfestival, müssen wir das uns als einen Schutzraum, einen akademischen Schutzraum vorstellen für solche Gespräche, weil sie gerade sagen, dass auch die Notwendigkeit Gottes dort infrage gestellt wurde? Das darf man an anderen öffentlichen Orten in Pakistan ja sicherlich nicht tun.
Kermani: Also, Sie müssen sich die geistige Szene Pakistans durchaus freier vorstellen. Das Land ist einfach in sehr viele Segmente aufgeteilt, es gibt dort einen zunehmenden radikalen Fundamentalismus, aber zugleich gibt es auch eine wirklich hochgebildete, zweisprachige, dreisprachige Schicht von Menschen - das sind nicht wenige -, die vollkommen weltläufig sind, und das bedeutet nicht unbedingt einen Widerspruch zu ihrer eigenen Kultur, aber sie sind einfach offen und weltoffen und interessieren sich für diese Dinge, und wir nehmen diese gesellschaftliche Schicht einfach nur nicht wahr.
Natürlich ist es so, auf einem Literaturfestival, dort sind es eben diese Art von Leuten, also allein schon diese Zweisprachigkeit des Festivals - das heißt, es wurde konsequent zwischen Urdu und Englisch geswitcht. Das heißt, wer dort hinkam, sprach schon mal gut Englisch. Das schließt natürlich einen Großteil der pakistanischen Gesellschaft aus, aber die Menschen, die man dort trifft - und das waren nicht wenige, das waren an zwei Tagen 15.000 Menschen, die an dieser Veranstaltung teilgenommen haben -, also zum Teil 500 oder 1.000 Leute, gerade bei den Veranstaltungen mit den international bekannten pakistanischen Schriftstellern. Also das war schon eine Atmosphäre der Offenheit, des Austausches. Aber natürlich, das ist ein relativ schmales Segment der pakistanischen Gesellschaft.
Meyer: Sie haben schon gesagt, Herr Kermani, dass es in Ihrem Buch "Der Schrecken Gottes" auch geht um die islamische Mystik. Und das ist ja ein Zweites: Islam, der in Pakistan eine sehr große Rolle spielt, als Sufismus. Wie haben Sie diese Form der islamischen Religiosität, wie haben Sie das in Pakistan erlebt?
Kermani: Also zum einen ist es immer noch - wenn man die gesamte Volksreligiosität einmal darunter subsummiert, also auch die Volksfeste, die religiösen Feste - dass diese Volkskultur sehr stark mystisch, sufisch unterlegt ist, denn es ist immer noch die beherrschende Religiosität in Pakistan. Es gibt auch Zahlen, Untersuchungen, die sagen, 75, 80 Prozent der Pakistanis gehören eigentlich dieser Art von Religiosität an, vor allem im einfachen Volk, aber diese Religiosität, diese Kultur auch, diese musikalische Kultur, die Tänze, sind bedroht. Terroristen haben sehr, sehr viele Anschläge gemacht in Schreinen, in mystischen Moscheen.
Mein Eindruck war: Der Kampf in Pakistan, das ist weniger ein Kampf gegen den Westen, das ist ein Kampf eigentlich gegen das Herz der eigenen, der pakistanischen Kultur. Vor allen Schreinen im Pakistan sind mittlerweile Sicherheitskontrollen, Schleusen, das heißt, diese Unbeschwertheit, die es mal gegeben haben muss, die ist weg. Und man hat den Eindruck, dass diese Kultur jedenfalls sehr stark bedroht ist, also etwa, um ein Beispiel zu geben: Ich war vor zwölf Jahren im Pakistan das letzte Mal. Damals gab es in Lahore eigentlich jeden Abend überall in den Moscheen, in den Schreinen Konzerte von Qawwali-Musikern, von Trommlern, von Tänzern, egal wo man hinging. Und das ist mittlerweile eigentlich fast vollkommen verschwunden aufgrund von Sicherheitsbedenken, oder man sagt auch, die Regierung nutzt die Sicherheitsbedenken, um diese Dinge zu verhindern. Jedenfalls ist das sehr stark eingeschränkt, man findet das eigentlich offiziell nur noch donnerstags, vielleicht mal ein, zwei Stunden, und es hat natürlich auch einen großen kulturellen Verlust zur Folge. Die Musiker werden arbeitslos, ein ganzer Kulturzweig bricht zusammen.
Meyer: Wenn Sie sagen, die Regierung nutzt das aus, um solche religiösen Feste, Veranstaltungen zu verhindern, heißt das, die Regierung geht vor gegen das, was Sie das Herz der Volksreligiosität dort nennen?
Kermani: Ja, das ist eben nicht so ganz eindeutig. Keine Regierung in Pakistan kann es sich erlauben, das offiziell abschaffen zu wollen, das wäre Selbstmord für eine Regierung. Aber die Regierung in der Provinz Punjab, also wo eben das mystische Zentrum Pakistans liegt, dort regiert eben eine jedenfalls dem Fundamentalismus nicht ganz abgeneigte Partei, die PML mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif, die Saudi-Arabien nahe steht, sagt man. Und ich kann das jetzt nicht genau beurteilen, also offiziell würde die Regierung nicht sagen, es gibt ja auch die ganzen Sicherheitskontrollen, um diese Sufis zu schützen, aber es gibt eben auch einen Vorbehalt gegen diese ekstatische, diese musikalische Kultur.
Und jedenfalls die Mystiker, mit denen ich gesprochen habe, die sagen ganz klar: Das ist ein Vorwand. Eigentlich ist die Gefahr nicht so, dass wir überhaupt nicht mehr abends Konzerte geben können. Und ich war dann auch auf dem Land, auf dem Land war es dann so, dass die Menschen selbst durch ihre Proteste dafür gesorgt haben, die Regierung gezwungen haben, dass wieder die Musiker, die Tänzer ohne Einschränkungen zugelassen worden sind in den Schreinen.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Navid Kermani, er war gerade auf Lesereise in Pakistan und hat sich dort mit der Volksreligiosität, dem Sufismus auseinandergesetzt. Man stößt manchmal auf Beschreibungen, da steht der Sufismus für eine tolerante, manchmal fast ekstatische, dem Leben sehr zugewandte Form des Islam, und dann hat man den moderneren, dogmatischeren, aggressiveren Islam. Kann man diese Unterscheidung tatsächlich treffen?
Kermani: Nein, das kann man nicht, das ist eben doch sehr viel komplizierter. Um ein Beispiel zu nennen: Auch die sufische Theologie, oder sagen wir mal, die Ideologen, die eigentlich dieser Schreinkultur, der sufischen Kultur nahe stehen, auch dort hat sich er Virus des Extremismus verbreitet. Vielleicht nicht auf der Ebene des Volkes, aber auf der Ebene dieser Eliten. Es gab den Mord an dem pakistanischen Minister vor einem Jahr, der sich für die Abschaffung des Blasphemie-Gesetzes stark gemacht hatte und eine Christin verteidigt hatte, die im Gefängnis ist, weil sie angeblich den Propheten beleidigt habe. Und dieser Minister ist umgebracht worden von seinem Fahrer, der dieser theologischen Richtung nahe steht, die eigentlich die Sufikultur vertritt oder jedenfalls diese Volksreligiosität vertritt, der sogenannten Barelvi-Theologie. Und dieser Mord ist damals gutgeheißen worden von Barelvi-Theologen, während umgekehrt damals sogenannte fundamentalistische Theologen, die Ubandi-Theologen, die Mordtat verurteilt haben. Also das ist eben sehr viel komplizierter, und man kann das nicht so einfach aufteilen in gute Sufis und böse Fundamentalisten.
Ich habe auch mit einigen Fundamentalisten oder Angehörigen dieser fundamentalistischen Parteien gesprochen, ich war im Zentrum der Dschamaat al-Islamija, also einer Partei, die sich den Islamismus auf die Fahnen geschrieben hat, aber eben mit gewaltfreien Mitteln. Das sind keine Heißsporne, das sind Menschen, die auch ganz klar gewaltfrei, aber eben für einen islamischen Staat plädieren, aber aus ihrer Sicht auch durchaus Gründe haben und denen man das Anliegen nicht ganz absprechen kann. Also die hatten einen großen Ethos, ich will ein ganz kleines Beispiel nennen: Ich bin eben mit Fahrer in diesen Tagen unterwegs gewesen, und es gibt in Pakistan diese Klassengesellschaft - das ist völlig spürbar noch, man spürt dieses Kastensystem eigentlich noch - und die einzigen, die den Fahrer hineingebeten haben, damit er mit ihnen Tee trinkt, damit er sozusagen Teil hat und nicht einfach draußen vor dem Haus warten muss, das waren eben ausgerechnet die Dschamaat al-Islamija, die Fundamentalistenpartei.
Also das zeigt schon: So Schwarzweiß-Bilder, die lösen sich in Pakistan sehr schnell auf. Aber zugleich muss man sagen, es gibt eine große Gewaltbereitschaft in Pakistan, es gibt wirklich viele Terroranschläge, vor allem gegen die Menschen selbst, eben nicht gegen westliche Einrichtungen, sondern gegen diese schwachen Ziele, die sich nicht wehren können, gegen Menschen, die einfach nur beten, die tanzen, die Musik machen wollen. Und das findet weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. Und hier ist wirklich ein - ja, man muss schon sagen -, ein Weltkulturerbe in wirklicher Gefahr.
Meyer: Und hatten Sie den Eindruck, dass es tatsächlich gelingt, in Pakistan dieses Weltkulturerbe, diese sufistische Tradition, zurückzudrängen?
Kermani: Ja, absolut, also das merkt man ja daran etwa, dass in Lahore einfach viele dieser Musiker, sagen wir, die Träger dieser Kultur, einfach mittlerweile ganz normale Berufe haben, sie ihre lange Haare abgeschnitten haben zum Teil und einfach jetzt irgendwelche Rikschafahrer oder Handwerker sind, weil sie einfach nicht mehr davon leben können. Und das ist natürlich, das heißt, diese Musiker verlieren auch ihre Schüler dadurch, weil sie nicht mehr auftreten können.
Das sind ja Menschen, die einerseits in den Schreinen auftreten aus religiösen Gründen, aber eben auch zu Hochzeiten eingeladen werden, vieles andere. Und diese Kultur, die ist immer noch sehr stark natürlich, aber sie ist eben im Rückzug, sie ist nicht mehr so lebendig, wie das vor 10, 20 Jahren war, und die Fundamentalisten haben ganz klar erkannt, hier können sie sozusagen praktisch gefahrlos angreifen. Kein einziger dieser vielen, vielen Anschläge auf Schreine, wo zum Teil - wie etwa in Lahore vor zwei Jahren - 60, 80 Menschen gestorben sind. Kein einziger der Anschläge ist aufgedeckt worden, man kann in Pakistan praktisch ohne Gefahr morden, und das macht natürlich die Situation sehr, sehr einfach für Terroristen.
Meyer: Ein Weltkulturerbe wird zurückgedrängt: der Sufismus in Pakistan. Das sagt Navid Kermani, Islamwissenschaftler und Schriftsteller aus Köln. Er war gerade in Pakistan, um dort sein Buch "Der Schrecken Gottes" vorzustellen. Herr Kermani, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Kermani: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Navid Kermani: Guten Tag!
Meyer: Als Sie diese Einladung bekommen haben, gerade mit diesem Buch über das Hadern mit Gott nach Pakistan zu fahren, was haben Sie gedacht? Hatten Sie da auch Bedenken?
Kermani: Nein, also ich habe mich eher gefreut. Ich wusste, das Pakistan ein Land ist, in dem die mystische Kultur, um die es ja auch in dem Buch geht, noch sehr lebendig ist, und insofern dachte ich, dass dort ein Publikum da ist, das mit den Geschichten, die in diesem Buch erzählt werden, mit den Weltbild dieses Buches, das in diesem Bild behandelt wird, etwas anfangen kann. Und es ist ja auch nicht so, dass man mit einem Buch Lesungen gibt in fundamentalistischen Koranschulen, sondern eben vor einem gebildeten, wenn auch religiös, dann doch zugleich auch weltlich ausgerichteten Publikum. Insofern, allein schon die Tatsache, dass das Buch ja auch dort erhältlich ist, zeigt ja, dass es daran nicht allzu viel zu befürchten gab.
Meyer: Und wie haben Sie die Reaktionen dann erlebt? Sie waren beim Karadji-Literaturfestival, wie hat man das Buch dort aufgenommen?
Kermani: Einerseits kannte man diese Aspekte der islamischen Mystik, die dunklen Aspekte, dieses Hadern mit Gott, diese Infragestellung Gottes, dieser Zweifel an Gott, die sind offenbar doch recht vergessen, obwohl es sie auch in der Literatur des Subkontinents durchaus sehr stark gibt. Insofern waren die Leute sehr neugierig, aber sie haben dann natürlich auch sofort - also es gab ein großes Bedürfnis, überhaupt auf dem Festival bei allen Veranstaltungen, zu diskutieren, zu reden. Es war zum ersten Mal seit langer Zeit - das Festival gibt es seit drei Jahren -, gibt es wieder einen öffentlichen Ort, an dem man reden, an dem man diskutieren, an dem man Fragen stellen kann, und das galt eigentlich für alle Themen. Und das galt dann eben auch für mein Buch.
Ich hatte den Eindruck, das geht gar nicht so sehr um das Buch selbst, sondern die Möglichkeit, die großen Fragen des Lebens einfach öffentlich zu diskutieren, und es gab sehr viele, die aus so einer komplett säkularen Position, aus einer atheistischen Position sozusagen gesagt haben, wozu braucht man überhaupt noch Gott? Aber es gab eben auch sehr viele, die sich mit mystischer Literatur auskennen, die sofort angesprungen sind, und entsprechend waren die Reaktionen dann sehr, sehr stark.
Meyer: Und dieses Literaturfestival, müssen wir das uns als einen Schutzraum, einen akademischen Schutzraum vorstellen für solche Gespräche, weil sie gerade sagen, dass auch die Notwendigkeit Gottes dort infrage gestellt wurde? Das darf man an anderen öffentlichen Orten in Pakistan ja sicherlich nicht tun.
Kermani: Also, Sie müssen sich die geistige Szene Pakistans durchaus freier vorstellen. Das Land ist einfach in sehr viele Segmente aufgeteilt, es gibt dort einen zunehmenden radikalen Fundamentalismus, aber zugleich gibt es auch eine wirklich hochgebildete, zweisprachige, dreisprachige Schicht von Menschen - das sind nicht wenige -, die vollkommen weltläufig sind, und das bedeutet nicht unbedingt einen Widerspruch zu ihrer eigenen Kultur, aber sie sind einfach offen und weltoffen und interessieren sich für diese Dinge, und wir nehmen diese gesellschaftliche Schicht einfach nur nicht wahr.
Natürlich ist es so, auf einem Literaturfestival, dort sind es eben diese Art von Leuten, also allein schon diese Zweisprachigkeit des Festivals - das heißt, es wurde konsequent zwischen Urdu und Englisch geswitcht. Das heißt, wer dort hinkam, sprach schon mal gut Englisch. Das schließt natürlich einen Großteil der pakistanischen Gesellschaft aus, aber die Menschen, die man dort trifft - und das waren nicht wenige, das waren an zwei Tagen 15.000 Menschen, die an dieser Veranstaltung teilgenommen haben -, also zum Teil 500 oder 1.000 Leute, gerade bei den Veranstaltungen mit den international bekannten pakistanischen Schriftstellern. Also das war schon eine Atmosphäre der Offenheit, des Austausches. Aber natürlich, das ist ein relativ schmales Segment der pakistanischen Gesellschaft.
Meyer: Sie haben schon gesagt, Herr Kermani, dass es in Ihrem Buch "Der Schrecken Gottes" auch geht um die islamische Mystik. Und das ist ja ein Zweites: Islam, der in Pakistan eine sehr große Rolle spielt, als Sufismus. Wie haben Sie diese Form der islamischen Religiosität, wie haben Sie das in Pakistan erlebt?
Kermani: Also zum einen ist es immer noch - wenn man die gesamte Volksreligiosität einmal darunter subsummiert, also auch die Volksfeste, die religiösen Feste - dass diese Volkskultur sehr stark mystisch, sufisch unterlegt ist, denn es ist immer noch die beherrschende Religiosität in Pakistan. Es gibt auch Zahlen, Untersuchungen, die sagen, 75, 80 Prozent der Pakistanis gehören eigentlich dieser Art von Religiosität an, vor allem im einfachen Volk, aber diese Religiosität, diese Kultur auch, diese musikalische Kultur, die Tänze, sind bedroht. Terroristen haben sehr, sehr viele Anschläge gemacht in Schreinen, in mystischen Moscheen.
Mein Eindruck war: Der Kampf in Pakistan, das ist weniger ein Kampf gegen den Westen, das ist ein Kampf eigentlich gegen das Herz der eigenen, der pakistanischen Kultur. Vor allen Schreinen im Pakistan sind mittlerweile Sicherheitskontrollen, Schleusen, das heißt, diese Unbeschwertheit, die es mal gegeben haben muss, die ist weg. Und man hat den Eindruck, dass diese Kultur jedenfalls sehr stark bedroht ist, also etwa, um ein Beispiel zu geben: Ich war vor zwölf Jahren im Pakistan das letzte Mal. Damals gab es in Lahore eigentlich jeden Abend überall in den Moscheen, in den Schreinen Konzerte von Qawwali-Musikern, von Trommlern, von Tänzern, egal wo man hinging. Und das ist mittlerweile eigentlich fast vollkommen verschwunden aufgrund von Sicherheitsbedenken, oder man sagt auch, die Regierung nutzt die Sicherheitsbedenken, um diese Dinge zu verhindern. Jedenfalls ist das sehr stark eingeschränkt, man findet das eigentlich offiziell nur noch donnerstags, vielleicht mal ein, zwei Stunden, und es hat natürlich auch einen großen kulturellen Verlust zur Folge. Die Musiker werden arbeitslos, ein ganzer Kulturzweig bricht zusammen.
Meyer: Wenn Sie sagen, die Regierung nutzt das aus, um solche religiösen Feste, Veranstaltungen zu verhindern, heißt das, die Regierung geht vor gegen das, was Sie das Herz der Volksreligiosität dort nennen?
Kermani: Ja, das ist eben nicht so ganz eindeutig. Keine Regierung in Pakistan kann es sich erlauben, das offiziell abschaffen zu wollen, das wäre Selbstmord für eine Regierung. Aber die Regierung in der Provinz Punjab, also wo eben das mystische Zentrum Pakistans liegt, dort regiert eben eine jedenfalls dem Fundamentalismus nicht ganz abgeneigte Partei, die PML mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Nawaz Sharif, die Saudi-Arabien nahe steht, sagt man. Und ich kann das jetzt nicht genau beurteilen, also offiziell würde die Regierung nicht sagen, es gibt ja auch die ganzen Sicherheitskontrollen, um diese Sufis zu schützen, aber es gibt eben auch einen Vorbehalt gegen diese ekstatische, diese musikalische Kultur.
Und jedenfalls die Mystiker, mit denen ich gesprochen habe, die sagen ganz klar: Das ist ein Vorwand. Eigentlich ist die Gefahr nicht so, dass wir überhaupt nicht mehr abends Konzerte geben können. Und ich war dann auch auf dem Land, auf dem Land war es dann so, dass die Menschen selbst durch ihre Proteste dafür gesorgt haben, die Regierung gezwungen haben, dass wieder die Musiker, die Tänzer ohne Einschränkungen zugelassen worden sind in den Schreinen.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Navid Kermani, er war gerade auf Lesereise in Pakistan und hat sich dort mit der Volksreligiosität, dem Sufismus auseinandergesetzt. Man stößt manchmal auf Beschreibungen, da steht der Sufismus für eine tolerante, manchmal fast ekstatische, dem Leben sehr zugewandte Form des Islam, und dann hat man den moderneren, dogmatischeren, aggressiveren Islam. Kann man diese Unterscheidung tatsächlich treffen?
Kermani: Nein, das kann man nicht, das ist eben doch sehr viel komplizierter. Um ein Beispiel zu nennen: Auch die sufische Theologie, oder sagen wir mal, die Ideologen, die eigentlich dieser Schreinkultur, der sufischen Kultur nahe stehen, auch dort hat sich er Virus des Extremismus verbreitet. Vielleicht nicht auf der Ebene des Volkes, aber auf der Ebene dieser Eliten. Es gab den Mord an dem pakistanischen Minister vor einem Jahr, der sich für die Abschaffung des Blasphemie-Gesetzes stark gemacht hatte und eine Christin verteidigt hatte, die im Gefängnis ist, weil sie angeblich den Propheten beleidigt habe. Und dieser Minister ist umgebracht worden von seinem Fahrer, der dieser theologischen Richtung nahe steht, die eigentlich die Sufikultur vertritt oder jedenfalls diese Volksreligiosität vertritt, der sogenannten Barelvi-Theologie. Und dieser Mord ist damals gutgeheißen worden von Barelvi-Theologen, während umgekehrt damals sogenannte fundamentalistische Theologen, die Ubandi-Theologen, die Mordtat verurteilt haben. Also das ist eben sehr viel komplizierter, und man kann das nicht so einfach aufteilen in gute Sufis und böse Fundamentalisten.
Ich habe auch mit einigen Fundamentalisten oder Angehörigen dieser fundamentalistischen Parteien gesprochen, ich war im Zentrum der Dschamaat al-Islamija, also einer Partei, die sich den Islamismus auf die Fahnen geschrieben hat, aber eben mit gewaltfreien Mitteln. Das sind keine Heißsporne, das sind Menschen, die auch ganz klar gewaltfrei, aber eben für einen islamischen Staat plädieren, aber aus ihrer Sicht auch durchaus Gründe haben und denen man das Anliegen nicht ganz absprechen kann. Also die hatten einen großen Ethos, ich will ein ganz kleines Beispiel nennen: Ich bin eben mit Fahrer in diesen Tagen unterwegs gewesen, und es gibt in Pakistan diese Klassengesellschaft - das ist völlig spürbar noch, man spürt dieses Kastensystem eigentlich noch - und die einzigen, die den Fahrer hineingebeten haben, damit er mit ihnen Tee trinkt, damit er sozusagen Teil hat und nicht einfach draußen vor dem Haus warten muss, das waren eben ausgerechnet die Dschamaat al-Islamija, die Fundamentalistenpartei.
Also das zeigt schon: So Schwarzweiß-Bilder, die lösen sich in Pakistan sehr schnell auf. Aber zugleich muss man sagen, es gibt eine große Gewaltbereitschaft in Pakistan, es gibt wirklich viele Terroranschläge, vor allem gegen die Menschen selbst, eben nicht gegen westliche Einrichtungen, sondern gegen diese schwachen Ziele, die sich nicht wehren können, gegen Menschen, die einfach nur beten, die tanzen, die Musik machen wollen. Und das findet weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. Und hier ist wirklich ein - ja, man muss schon sagen -, ein Weltkulturerbe in wirklicher Gefahr.
Meyer: Und hatten Sie den Eindruck, dass es tatsächlich gelingt, in Pakistan dieses Weltkulturerbe, diese sufistische Tradition, zurückzudrängen?
Kermani: Ja, absolut, also das merkt man ja daran etwa, dass in Lahore einfach viele dieser Musiker, sagen wir, die Träger dieser Kultur, einfach mittlerweile ganz normale Berufe haben, sie ihre lange Haare abgeschnitten haben zum Teil und einfach jetzt irgendwelche Rikschafahrer oder Handwerker sind, weil sie einfach nicht mehr davon leben können. Und das ist natürlich, das heißt, diese Musiker verlieren auch ihre Schüler dadurch, weil sie nicht mehr auftreten können.
Das sind ja Menschen, die einerseits in den Schreinen auftreten aus religiösen Gründen, aber eben auch zu Hochzeiten eingeladen werden, vieles andere. Und diese Kultur, die ist immer noch sehr stark natürlich, aber sie ist eben im Rückzug, sie ist nicht mehr so lebendig, wie das vor 10, 20 Jahren war, und die Fundamentalisten haben ganz klar erkannt, hier können sie sozusagen praktisch gefahrlos angreifen. Kein einziger dieser vielen, vielen Anschläge auf Schreine, wo zum Teil - wie etwa in Lahore vor zwei Jahren - 60, 80 Menschen gestorben sind. Kein einziger der Anschläge ist aufgedeckt worden, man kann in Pakistan praktisch ohne Gefahr morden, und das macht natürlich die Situation sehr, sehr einfach für Terroristen.
Meyer: Ein Weltkulturerbe wird zurückgedrängt: der Sufismus in Pakistan. Das sagt Navid Kermani, Islamwissenschaftler und Schriftsteller aus Köln. Er war gerade in Pakistan, um dort sein Buch "Der Schrecken Gottes" vorzustellen. Herr Kermani, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Kermani: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.