Kern der jüdischen Identität
Tamar Amar Dahl analysiert in ihrem Buch die historische Genese des Nahost-Konflikts. Die marokkanische Jüdin sieht die Ursprünge der Spannungen in einem Paradigmenwechsel, als der Kern der jüdischen Identität sich von der Religion zum Nationalismus verschoben habe.
Es sei ein anspruchsvolles Buch, sagt sie selbst. Die Historikerin arbeitet wissenschaftlich – und so summieren sich allein ihre Anmerkungen, Quellennachweise und das Personenregister auf 23 Seiten. Das passt zur Komplexität des Themas und zu Tamar Amar Dahl. Unbequem ist sie, umtriebig – Lösungen will sie nicht liefern für den Nahost-Konflikt.
Tamar Amar Dahl: "Meine Aufgabe ist den Konflikt zu erklären. Aufklärungsarbeit zu machen."
Sie will beschreiben, wie es zum "zionistischen Israel" kam. Warum in ihrer Heimat das Verhältnis zwischen Arabern und Juden noch nie so gespannt war, wie im Moment.
"Man spürt als Mensch, der dort geboren und aufgewachsen ist, die Problematik und sucht nach Antworten. Und dann entsteht das Interesse und irgendwann bekommt man auch Antworten, wenn man lange genug sich damit befasst."
Tamar Amar Dahl wurde 1968 in Israel geboren. Ihre Eltern stammen aus Marokko – sind Juden arabischer Herkunft.
"Es gibt natürlich in Israel das Problem mit Juden arabischer Herkunft, aber das hat mit mir, ich weiß nicht, nicht direkt zu tun."
Sie studiert in Tel Aviv, Hamburg, München und lehrt an der Berliner Humboldt Universität. Gerade forscht sie mit einem Stipendium am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald.
Die Historikerin sieht die Ursprünge des Nahost-Konflikts zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals bezweifelten immer mehr Menschen jüdischen Glaubens weltweit, dass sie ihre Religion weiterhin als Minderheit in den jeweiligen Staaten der Diaspora ausüben können. Sie wollen einen eigenen Staat.
"Der Kern der jüdischen Identität verschiebt sich von der Religion zum Nationalismus"."
Und findet seine Kritiker unter den Religiösen.
""Der Großteil der Orthodoxen war von Anfang an ein konsequenter Gegner des Zionismus und der Idee einer durch Menschen herbeigeführten 'Erlösung der Juden'."
Auch die Zionisten – also die Befürworter eines Nationalstaates für Juden in Palästina – waren anfangs gespalten. Bevor es einen Staat gäbe, wollten die Kultur-Zionisten mit einer kleinen Gruppe den Geist des Judentums neu beleben und eine reine hebräische Kultur schaffen. Ein homogener jüdischer Staat sollte entstehen und kein Viel-Völker-Judenstaat.
Den aber strebten die Anhänger des politischen Zionismus um den Ungarn Theodor Herzl an. Und setzten sich letztlich durch. Als Ursache sieht Tamar Amar-Dahl den weltweiten Antisemitismus und die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis.
"Die Schoah ist ein zentrales Moment, eine Zäsur, die dafür gesorgt hat, dass sich der Zionismus auch in dieser Form durchgesetzt hat: ein jüdischer Staat um jeden Preis. Man musste die Juden, die überlebt haben, jetzt nach Israel holen."
1948 erfolgt die Gründung Israels. Der ideologische Hintergrund liegt für die Historikerin im europäischen Nationalismus und Kolonialismus. Damit erklärt sie auch den Umgang der israelischen Siedler mit den dort bisher lebenden Menschen:
"Der in Israel durchgesetzte Zionismus orientiert sich nach Westen und distanziert sich zugleich von der unmittelbaren Umgebung. Der Orient gilt für den Zionismus als der 'Andere', das zionistische Israel fühlt sich in der Region geradezu unheimlich."
Sie begründet ihre These, indem sie Max Nordau, einen Weggefährten von Theodor Herzl, zitiert: "Wir werden nach Eretz Israel als Kultur-Missionare kommen und die moralischen Grenzen Europas bis hin zum Euphrat erweitern." Ein Zitat aus dem Jahr 1907. Die Zionisten, die aus Europa einwanderten, fühlten sich in dem gelobten Land, das sie vorfanden, nicht wohl und wollten es nach ihrem Bilde gestalten. So scheint die Feindseligkeit zwischen Israelis und Arabern vorgezeichnet.
Tamar Amar Dahl fächert den Konflikt immer weiter auf, macht Halt an wichtigen Kreuzungen, zitiert Befürworter und Gegner der möglichen Wege – bis zum heutigen Israel.
Oft bestimmt die Richtung Shimon Peres. Der heutige Staatspräsident übt seit über 50 Jahren hohe politische Ämter aus. Er wird der Autorin zum Kronzeugen, wie israelische Politiker ihre palästinensischen Nachbarn einschätzen. So zitiert sie aus einer Rede im Jahr 1996.
"Die Palästinenser wurden verzehrt von Gewalt und Terror, in Stämme und Familienclans auseinander dividiert, so dass es schwer ist, sie zu vereinigen. Aber ich denke, sie lernen schnell, wenn sie erst einmal einen Normalzustand erreichen. Ein weiteres Defizit besteht darin, dass sie äußerst empfindlich sind im Hinblick auf Achtung und Ehre. Und dann stellt für sie der Besitz von Land einen hohen Wert dar. Obwohl wir doch in einem Zeitalter leben, in dem Wissenschaft wichtiger ist als Territorium."
Frank Sieren "Geldmacht China"Dem Linkszionisten Shimon Peres wirft die Historikerin vor, er habe in den 90er Jahren trotz seiner Machtfülle den Friedensprozess mit den Palästinensern nicht vollendet, weil eine Zweistaaten-Lösung das zionistische Projekt gefährde. Denn zwei Punkte seien für ihn nicht verhandelbar: die Sicherheitslage der Juden und das Land der Urväter.
"Auf Gebiete zu verzichten, grenzt an Blasphemie, weil die Basis des Zionismus ist das Territorium, das alte Eretz Israel."
"Eretz Israel", das heißt "Im Lande Israels" und bezeichnet alle jüdischen Siedlungen, die vor über 2000 Jahren existierten. Solche Erklärungen oder gar Karten liefert das Buch nicht. Es trägt vor allem Zitate von Wissenschaftlern und Politikern zusammen. Fachbegriffe werden voraus gesetzt und in komplizierte Sprache verpackt. All das trägt nicht zum Verständnis bei.
Trotzdem erhält der hartnäckige Leser einen umfassenden Überblick des verfahrenen Nahost-Konflikts aus einer israelisch-deutschen Sicht. Denn Tamar Amar Dahl hat 2006 ihren israelischen Pass abgegeben - und in dem Land, aus dem sie stammt, werden ihre Bücher bislang auch nicht verlegt.
Tamar Amar Dahl: "Meine Aufgabe ist den Konflikt zu erklären. Aufklärungsarbeit zu machen."
Sie will beschreiben, wie es zum "zionistischen Israel" kam. Warum in ihrer Heimat das Verhältnis zwischen Arabern und Juden noch nie so gespannt war, wie im Moment.
"Man spürt als Mensch, der dort geboren und aufgewachsen ist, die Problematik und sucht nach Antworten. Und dann entsteht das Interesse und irgendwann bekommt man auch Antworten, wenn man lange genug sich damit befasst."
Tamar Amar Dahl wurde 1968 in Israel geboren. Ihre Eltern stammen aus Marokko – sind Juden arabischer Herkunft.
"Es gibt natürlich in Israel das Problem mit Juden arabischer Herkunft, aber das hat mit mir, ich weiß nicht, nicht direkt zu tun."
Sie studiert in Tel Aviv, Hamburg, München und lehrt an der Berliner Humboldt Universität. Gerade forscht sie mit einem Stipendium am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald.
Die Historikerin sieht die Ursprünge des Nahost-Konflikts zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals bezweifelten immer mehr Menschen jüdischen Glaubens weltweit, dass sie ihre Religion weiterhin als Minderheit in den jeweiligen Staaten der Diaspora ausüben können. Sie wollen einen eigenen Staat.
"Der Kern der jüdischen Identität verschiebt sich von der Religion zum Nationalismus"."
Und findet seine Kritiker unter den Religiösen.
""Der Großteil der Orthodoxen war von Anfang an ein konsequenter Gegner des Zionismus und der Idee einer durch Menschen herbeigeführten 'Erlösung der Juden'."
Auch die Zionisten – also die Befürworter eines Nationalstaates für Juden in Palästina – waren anfangs gespalten. Bevor es einen Staat gäbe, wollten die Kultur-Zionisten mit einer kleinen Gruppe den Geist des Judentums neu beleben und eine reine hebräische Kultur schaffen. Ein homogener jüdischer Staat sollte entstehen und kein Viel-Völker-Judenstaat.
Den aber strebten die Anhänger des politischen Zionismus um den Ungarn Theodor Herzl an. Und setzten sich letztlich durch. Als Ursache sieht Tamar Amar-Dahl den weltweiten Antisemitismus und die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis.
"Die Schoah ist ein zentrales Moment, eine Zäsur, die dafür gesorgt hat, dass sich der Zionismus auch in dieser Form durchgesetzt hat: ein jüdischer Staat um jeden Preis. Man musste die Juden, die überlebt haben, jetzt nach Israel holen."
1948 erfolgt die Gründung Israels. Der ideologische Hintergrund liegt für die Historikerin im europäischen Nationalismus und Kolonialismus. Damit erklärt sie auch den Umgang der israelischen Siedler mit den dort bisher lebenden Menschen:
"Der in Israel durchgesetzte Zionismus orientiert sich nach Westen und distanziert sich zugleich von der unmittelbaren Umgebung. Der Orient gilt für den Zionismus als der 'Andere', das zionistische Israel fühlt sich in der Region geradezu unheimlich."
Sie begründet ihre These, indem sie Max Nordau, einen Weggefährten von Theodor Herzl, zitiert: "Wir werden nach Eretz Israel als Kultur-Missionare kommen und die moralischen Grenzen Europas bis hin zum Euphrat erweitern." Ein Zitat aus dem Jahr 1907. Die Zionisten, die aus Europa einwanderten, fühlten sich in dem gelobten Land, das sie vorfanden, nicht wohl und wollten es nach ihrem Bilde gestalten. So scheint die Feindseligkeit zwischen Israelis und Arabern vorgezeichnet.
Tamar Amar Dahl fächert den Konflikt immer weiter auf, macht Halt an wichtigen Kreuzungen, zitiert Befürworter und Gegner der möglichen Wege – bis zum heutigen Israel.
Oft bestimmt die Richtung Shimon Peres. Der heutige Staatspräsident übt seit über 50 Jahren hohe politische Ämter aus. Er wird der Autorin zum Kronzeugen, wie israelische Politiker ihre palästinensischen Nachbarn einschätzen. So zitiert sie aus einer Rede im Jahr 1996.
"Die Palästinenser wurden verzehrt von Gewalt und Terror, in Stämme und Familienclans auseinander dividiert, so dass es schwer ist, sie zu vereinigen. Aber ich denke, sie lernen schnell, wenn sie erst einmal einen Normalzustand erreichen. Ein weiteres Defizit besteht darin, dass sie äußerst empfindlich sind im Hinblick auf Achtung und Ehre. Und dann stellt für sie der Besitz von Land einen hohen Wert dar. Obwohl wir doch in einem Zeitalter leben, in dem Wissenschaft wichtiger ist als Territorium."
Frank Sieren "Geldmacht China"Dem Linkszionisten Shimon Peres wirft die Historikerin vor, er habe in den 90er Jahren trotz seiner Machtfülle den Friedensprozess mit den Palästinensern nicht vollendet, weil eine Zweistaaten-Lösung das zionistische Projekt gefährde. Denn zwei Punkte seien für ihn nicht verhandelbar: die Sicherheitslage der Juden und das Land der Urväter.
"Auf Gebiete zu verzichten, grenzt an Blasphemie, weil die Basis des Zionismus ist das Territorium, das alte Eretz Israel."
"Eretz Israel", das heißt "Im Lande Israels" und bezeichnet alle jüdischen Siedlungen, die vor über 2000 Jahren existierten. Solche Erklärungen oder gar Karten liefert das Buch nicht. Es trägt vor allem Zitate von Wissenschaftlern und Politikern zusammen. Fachbegriffe werden voraus gesetzt und in komplizierte Sprache verpackt. All das trägt nicht zum Verständnis bei.
Trotzdem erhält der hartnäckige Leser einen umfassenden Überblick des verfahrenen Nahost-Konflikts aus einer israelisch-deutschen Sicht. Denn Tamar Amar Dahl hat 2006 ihren israelischen Pass abgegeben - und in dem Land, aus dem sie stammt, werden ihre Bücher bislang auch nicht verlegt.
Tamar Amar-Dahl:
Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonflikts
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012
256 Seiten, EUR 24,90
Das zionistische Israel. Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonflikts
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012
256 Seiten, EUR 24,90