Kernforscher im Bierzelt
Sozialdrama, Philosophie-Seminar und Talkshow-Satire: Am Staatsschauspiel Dresden kam das neue Stück des österreichischen Autors Ewald Palmetshofer heraus. Eine Reise in sterbende Ortschaften, wo nicht nur Freibier verzapft wird.
Der schnelle Erfolg des Österreichers ist erstaunlich. Der Student der Theologie und Philosophie gehörte innerhalb von zwei Jahren zu den meistgespielten deutschen Dramatikern. Er versteht sich vor allem als Sprachkünstler und trotz existentieller philosophischer Themen sind seine Dramen lustvoll theatralisch.
Nicht wie sonst in Österreich, sondern im Ausland, in Dresden wurde das vom Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft mit einem Preis geförderte Stück uraufgeführt. Auf die nacherzählbare Handlung reduziert, ist es ein Sozialdrama. Simone Blatter lässt die Bühne des Kleinen Theaters in Dresden auch zum Bierzelt mit Tischen und Bänken umbauen. Für die Eintrittskarte wird reichlich Freibier gezapft. Die Heldin des Stücks, Erika, kellnert nämlich in einer Bar am Land, weit ab in einer jener sterbenden Ortschaften, in denen auch die einzige Lebensmittelhandlung bald dicht machen wird.
Im Bierdunst bekommt man da einiges mit, was man vielleicht so genau gar nicht wissen wollte: Dass die Kellnerin als Kind vom Sohn des Direktors und seinen Mitschülern vergewaltigt wurde, dass sie nun beim Direktor als Putzfrau arbeitet, dass der sich aber wiederum fürchtet, von seinem Sohn ins Pflegeheim geschickt zu werden: Effektvolle, genau gezeichnete theatralische Konflikte zwischen Vater (Albrecht Goette), Sohn (Thomas Eisen) und Putzfrau; insbesondere Cathleen Baumann als Erika imponiert, kein Schmerzenskind, sondern selbstbewusst, fast aggressiv. Am Ende zündet Erika das Haus des Direktors an.
Ewald Palmetshofer geht es aber um mehr als um ein handfestes Sozialdrama, er arbeitet sich an Grundsatzfragen aus dem Philosophie-Seminar ab. "Wie wird man zum Subjekt? Wie überwindet man das Tier in sich? Wann kann man an Zukunft denken?" Eingewoben hat Palmetshofer in sein Drama eine Gruppe der Experten, die das Geschehen kommentieren: "Kernforscher", die in verstümmelten Sätzen untersuchen, wie das Geschehen am Rande der Gesellschaft aussieht, um so vom Rand auf den "Wesens-Kern" zu schließen. "Man wird doch bitte noch Unterschicht" sagen dürfen. Palmetshofer dachte - formal ambitioniert - beim Expertenchor an ein Konzert unterschiedlicher Stimmlagen vom Countertenor bis zum Alt. Wie das funktionieren könnte, zeigt die Aufführung nicht. Die Chor-Passagen reduzieren sich auf eine etwas angestrengt witzelnde Talkshow-Satire.
Das Motto Palmetshofers wirkt anspruchsvoll und gleichzeitig doch auch ziemlich banal: "Jedes Subjekt besteht, insofern es seine Umwandlung in ein Objekt verweigert", doziert er. Wie Philosophie und Volkstück zusammenkommen könnten, zeigt er aber eindrucksvoll in der Eingangsszene, sie erweist Palmetshofers poetische Kraft: Der Blick eines vergewaltigten Mädchens in den Spiegel am Schulklo.
Homepage des Staatsschauspiels Dresden mit Informationen zur Inszenierung
Nicht wie sonst in Österreich, sondern im Ausland, in Dresden wurde das vom Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft mit einem Preis geförderte Stück uraufgeführt. Auf die nacherzählbare Handlung reduziert, ist es ein Sozialdrama. Simone Blatter lässt die Bühne des Kleinen Theaters in Dresden auch zum Bierzelt mit Tischen und Bänken umbauen. Für die Eintrittskarte wird reichlich Freibier gezapft. Die Heldin des Stücks, Erika, kellnert nämlich in einer Bar am Land, weit ab in einer jener sterbenden Ortschaften, in denen auch die einzige Lebensmittelhandlung bald dicht machen wird.
Im Bierdunst bekommt man da einiges mit, was man vielleicht so genau gar nicht wissen wollte: Dass die Kellnerin als Kind vom Sohn des Direktors und seinen Mitschülern vergewaltigt wurde, dass sie nun beim Direktor als Putzfrau arbeitet, dass der sich aber wiederum fürchtet, von seinem Sohn ins Pflegeheim geschickt zu werden: Effektvolle, genau gezeichnete theatralische Konflikte zwischen Vater (Albrecht Goette), Sohn (Thomas Eisen) und Putzfrau; insbesondere Cathleen Baumann als Erika imponiert, kein Schmerzenskind, sondern selbstbewusst, fast aggressiv. Am Ende zündet Erika das Haus des Direktors an.
Ewald Palmetshofer geht es aber um mehr als um ein handfestes Sozialdrama, er arbeitet sich an Grundsatzfragen aus dem Philosophie-Seminar ab. "Wie wird man zum Subjekt? Wie überwindet man das Tier in sich? Wann kann man an Zukunft denken?" Eingewoben hat Palmetshofer in sein Drama eine Gruppe der Experten, die das Geschehen kommentieren: "Kernforscher", die in verstümmelten Sätzen untersuchen, wie das Geschehen am Rande der Gesellschaft aussieht, um so vom Rand auf den "Wesens-Kern" zu schließen. "Man wird doch bitte noch Unterschicht" sagen dürfen. Palmetshofer dachte - formal ambitioniert - beim Expertenchor an ein Konzert unterschiedlicher Stimmlagen vom Countertenor bis zum Alt. Wie das funktionieren könnte, zeigt die Aufführung nicht. Die Chor-Passagen reduzieren sich auf eine etwas angestrengt witzelnde Talkshow-Satire.
Das Motto Palmetshofers wirkt anspruchsvoll und gleichzeitig doch auch ziemlich banal: "Jedes Subjekt besteht, insofern es seine Umwandlung in ein Objekt verweigert", doziert er. Wie Philosophie und Volkstück zusammenkommen könnten, zeigt er aber eindrucksvoll in der Eingangsszene, sie erweist Palmetshofers poetische Kraft: Der Blick eines vergewaltigten Mädchens in den Spiegel am Schulklo.
Homepage des Staatsschauspiels Dresden mit Informationen zur Inszenierung