Kerstin Gier: "Vergissmeinnicht. Was man bei Licht nicht sehen kann"
Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
480 Seiten, 20 Euro
Wenn's ganz schlimm ist, hilft nur noch Magie
06:18 Minuten
Liebe, Fantasy und Abenteuer, vermischt mit Teenager-Alltagsproblemen: Kerstin Gier verrührt die bewährten Zutaten zu einer wenig überraschenden Geschichte. Wie wurde ihr neuer Roman trotzdem binnen weniger Wochen zum Bestseller?
Quinn vom Arensburg sieht toll aus mit seinen schwarzen Haaren und blauen Augen samt Traumkörper. Er ist beliebt und der Schwarm aller Mädchen. Auch wenn er Blödsinn macht, Kids in Mülltonnen steckt oder die Weihnachtssänger mit Wasser beschüttet, im Kern ist er ein anständiger 17-Jähriger mit dem Herzen am rechten Fleck.
Uncool und unsterblich verliebt
So weit, so absehbar. Wie auch Matilda. Sie ist die Uncoole, was zu großen Teilen an ihrer streng religiösen Großfamilie liegt. Aber natürlich zeigt sich rasch, ihre blonden Locken, ihre Stupsnase und die Grübchen in den Wangen sind doch irgendwie süß. Und sie ist unsterblich in Quinn verliebt – auch klar.
Kerstin Giers Hauptfiguren gleichen damit den Abziehbildern der gängigen Liebes- und Fantasy-Romane, einfach strukturierte Stereotype, und das bis zur Erschöpfung. Sie sind perfekt - und langweilig!
Keine Überraschung, kein Twist
Wie auch überhaupt im Verlauf des 480 Seiten langen Romans nichts wirklich Außergewöhnliches passiert - keine Überraschung, kein Twist, vielmehr baut Gier langatmig das Setting für ihre Trilogie aus. Und die lebt davon, dass Quinns verstorbener Vater der Sohn eines magischen Wesens war, eines Arkadiers.
Die Arkadier kommen aus einer Parallelwelt namens "Saum". Der Saum umgibt die Welt wie eine Art Hülle. Alle Menschen, die sterben, gehen auf "dem Weg ins Licht" durch ihn hindurch, und ein paar bleiben dort hängen: die Arkadier eben.
Magisch begabt und die Welt retten
Sie sind unsterblich und natürlich alle irgendwie magisch begabt. So auch Quinn. Er kann Winde entfachen, super gut entfernteste Geräusche und Gespräche hören, und er erkennt verborgene Dinge, die sich Normalsterblichen nicht erschließen. All das soll ihm helfen, so lautet eine Prophezeiung, die Welt zu retten. (Auch das noch!) Und dabei braucht er Hilfe, genau: die von Matilda. Erschreckend absehbar!
Wenn's ganz schlimm ist, hilft Glitzer – sagt man im Theater. Hier ist es: Magie, vermischt mit kleinen Teenager-Alltagsproblemen. Dabei liest sich die neue Buchreihe von Kerstin Gier, deren erster Band jetzt mit "Vergissmeinnicht" vorliegt, wie eine wilde Mischung aus Percy Jackson, Twilight und Giers eigenen Büchern. In der "Edelstein-Trilogie" reisten die Romanfiguren in der Zeit, in "Silber" konnten sie sich in die Träume anderer schleichen. Und jetzt eben: der Saum, samt Feen und Arkadiern.
Bestseller aus bekannten Modulen
Da hilft es auch nicht, dass Quinn und Matilda die Geschichte abwechselnd erzählen. Es bleibt langweilig und mitunter zäh. Und trotzdem: Das Buch ist schon jetzt ein Bestseller und liegt in dritter Auflage vor. Dabei ist es erst Ende September erschienen.
Kerstin Gier schafft damit, wovon viele Autorinnen und Autoren träumen: Sie verdient wirklich Geld mit ihren Geschichten, die nicht selten auch verfilmt werden. Doch zeigt ihr neues Buch auch: Auf Dauer reicht es einfach nicht, aus bekannten Modulen immer wieder neu kombinierte Buchreihen zu bauen.
Spin funktioniert nicht mehr
Der zehnte Spin funktioniert irgendwann nicht mehr. Für Harry Potter, Percy Jackson und Co. ging das noch auf. Aber in Zeiten, in denen gerade auch Jugendbücher mit Netflix und anderen Streamingdiensten konkurrieren, wünscht man sich mehr Mut – auch von Schriftstellerinnen wie Kerstin Gier.
Gerade sie sollte es sich nicht allzu bequem machen, sondern dem ewigen Mantra "Die Welt da draußen ist schon schwierig genug, da lasse ich es im Buch lieber überschaubar" etwas entgegensetzten. Vielleicht gelingt ihr das ja noch in Band zwei und drei. Den jungen Leserinnen und Lesern wäre es zu wünschen.