Kerstin Preiwuß: Gespür für Licht
Gedichte
Berlin Verlag, München/Berlin 2016
159 Seiten, 18,00 Euro
Dialog mit dem ungeborenen Kind
In dem dritten Gedichtband von Kerstin Preiwuß begegnen sich Geburt und Tod - ein weiblicher Körper, der zunächst Höhle war, wird zur "Hülle". "Unverwechselbar" nennt unser Rezensent Michael Opitz den Stil der aus Mecklenburg stammenden Autorin.
"Letzte Dinge", so will es der 1980 in Lübz (Mecklenburg) geborenen Kerstin Preiwuß scheinen, "finden eher Eingang ins Gedicht als erste. Vielleicht, weil der Tod als Zustand dem Gedicht in seiner endlosen Starrheit nahekommt."
In dem nun vorliegenden dritten Gedichtband der Autorin, die Germanistik, Philosophie und Psychologie studierte, finden nicht nur letzte, sondern erste und letzte Dinge zueinander, wenn sich Geburt und Tod begegnen.
Preiwuß' Gedichte haben keine Titel
Alles andere als starr sind diese titellosen Gedichte, die dem Wechsel der Jahreszeiten folgen – die vier Kapitel sind mit Frühling, Sommer, Herbst und Winter überschrieben. "Das reicht an Handlung", so der lapidare Kommentar der Autorin. In der Tat ist dies genug, denn im Rhythmus der Jahreszeiten ist der Lebensrhythmus aufgehoben, ist die Rede vom Werden und vom Vergehen.
"Gespür für Licht" ist ein Langgedicht, in dem eine Frau dem Leben nachspürt. Ihre Sinne sind empfänglich für Licht und Leben, da sich das sprechende Ich im Dialog mit dem noch ungeborenen Kind befindet.
Die Anfangszeilen von Kerstin Preiwuß’ Gedichten geben Tonlagen vor und gleichzeitig werden Bilder entworfen, in denen sich Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander verschränken: "Ich mit dem Körper aus Winden / zog mir eine Umarmung in den Leib".
Im Warten auf die Geburt erscheint das Glück
Die Erwartungshaltung der bevorstehenden Geburt verleiht dem zunächst auf das eigene Innere konzentrierten Sprechen eine von Sorge getragene Behutsamkeit. "Noch hält die Fracht." Daraus resultieren Momente des Glücks: "Guten Morgen du rapsgeiles Land. / Alles prima heute. / Ich bin im Gleichgewicht." Doch fällt das lyrische Ich aus eben diesem Gleichgewicht, als es das Kind verliert. "Habe mein Gleichgewicht verloren. / Muss nun auf allen vieren gehen. / Kann nun mit allen Tieren reden. / Ich erhäng den aufrechten Gang."
Ahnungsvoll kündigte sich der Verlust bereits in den Anfangsgedichten an, wenn Krähen den Nestbau abbrechen, der Krankenwagen seine Kreise zieht oder von Verlassenheit die Rede ist: "Was in mir tobt bin ich."
Am Ende stehen Verlust, Vergehen und Tod
Schließlich ist der Körper, der zunächst Höhle war, nach dem Verlust des Kindes nur noch Hülle: "Ich bin eine Höhle davor und eine leere Hülle danach." Von Melancholie sind die Winter-Gedichte beherrscht, in denen über Verlust, Vergehen und Tod nachgedacht wird. Konfrontiert mit dem Ende, erlaubt der Rückblick Vergleiche: "Im Frühjahr war meine Zunge mit Knospen bestückt. / [...] / Nun ist es Winter und mir geht unter die Haut / was sie sagt."
Wie die Gedichte Kontakt mit der Welt aufnehmen, zaghaft zunächst bis das lyrische Ich schließlich fast so weit ist, den Kontakt verweigern zu wollen, wie der Wechsel der Gefühlslagen korrespondiert mit den sich ändernden Jahreszeiten, wenn eins zum anderen kommt und eins ins andere dringt, bringen diese beeindruckenden Gedichte auf eine ganz unverwechselbare Weise zum Ausdruck.