"Eine typisch amerikanische Überreaktion"
Mit Kevin Spacey sei ein Held vom Sockel gerissen worden, meint die Journalistin Ebru Taşdemir. Die #metoo-Debatte findet sie wichtig. Problematisch sei aber auch, wenn Frauen die "Logik der Besetzungscouch" als ungeschriebene Regel akzeptieren und weitergeben.
Die Berliner Publizistin Ebru Taşdemir bedauert, was derzeit mit dem Schauspieler Kevin Spacey passiert, der wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs seine Rollen verliert und dessen Karriere beendet sein dürfte:
"Das tut mir so unglaublich leid, weil natürlich ein Held vom Sockel gerissen wurde. Ich liebe seine Filme, und natürlich, dachte ich, kann er auch ein Arsch sein, wenn ich das so sagen darf. Aber er wurde eben noch nicht vor Gericht gezogen, und dass es jetzt diese Überreaktion gibt – man schneidet ihn aus den Filmen raus! – das ist so typisch amerikanisch, finde ich. Darüber können wir auch ein wenig runtergekochter nachdenken."
"Die meisten Fälle werden nicht angezeigt"
Das heißt aber gerade nicht, dass Ebru Taşdemir die gegenwärtige #metoo-Debatte falsch oder übertrieben findet:
"Es geht hier um Straftäter, sobald es angezeigt wird. Die meisten Fälle werden nicht angezeigt. Das kenne ich noch: Ich habe lange im Frauenhaus gearbeitet, als Dolmetscherin, und weiß da aus eigener Erfahrung, dass die wenigsten sexuellen Straftaten angezeigt wurden. In dem Sinne ist zumindest ein Teilen im öffentlichen Raum, das ist es ja, dieser Hashtag #metoo, das ist ein Teil dieses Schmerzes und auch dieser Taten von Menschen, die mächtiger sind, die weitaus mehr Geld haben. Es ist wichtig, das zu zeigen."
Es handelt sich um Machtgefälle
Wenn Männer ihre Machtposition nutzen, um Sex zu bekommen, sei das verwerflich:
"Aber das sind ja auch immer so vielschichtige Sachen. Schwierig. Man ist ja in vielerlei Hinsicht abhängig. Es ging um viele Jungschauspielerinnen, es geht natürlich auch um die Putzfrau im Hotel. Es gab ja davor auch Diskussionen über sexuelle Gewalttaten an Frauen. Es war eine Hotel-Mitarbeiterin damals bei Strauss-Kahn. Woody Allen wurde gar nicht genannt, glaube ich, in diesem Zusammenhang, der mit seiner Stieftochter dann zusammen war. Auch das sind ja Machtgefälle letztendlich. Roman Polanski zum Beispiel, den kennen wir seit Jahren, auch da ist nichts passiert. Und dass es jetzt endlich mal aufbricht und dass man darüber spricht, ist vielleicht ziemlich wichtig."
Frauen, zum Beispiel in der Filmindustrie, müssten sich oft auf die "Logik der Besetzungscouch" einlassen:
"In manchen Branchen ist es ja schon so, dass es vorausgesetzt wird, denke ich mal. Also 'Du schläfst mit dem Produzenten und dann kommst du weiter'. Das wird auch unter den Frauen so als ungeschriebene Regel weitergegeben: "Ja dann schlaf halt mit dem!" Ich denke schon, dass es nicht nur ein männliches Problem ist, sondern auch ein sehr weibliches Problem und auch ein Problem des Anspruches an sich selber."
Einen "Graubereich" der Missverständnisse oder Unklarheiten bei der Annäherung zwischen Menschen gibt es nach Ansicht von Ebru Taşdemir nicht:
"Für mich ist es immer ziemlich eindeutig."
Thea Dorn beschrieb im Interview mit Deutschlandfunk Kultur die ihrer Meinung nach ambivalente Situation, dass ein Mann und eine Frau an der Hotelbar zwei Flaschen Wein trinken, und vielleicht wisse die Frau selber gar nicht genau, was sie wolle, und entscheide sich dann. Dazu Ebru Taşdemir:
"Aber sie sagt ja Nein in dem Moment! (…) Sie hat eine ganz andere Position in dieser ganzen Gesellschaft. Sie ist aus einer bestimmten Schicht, sie kann es sich leisten, Nein zu sagen. Wenn sie aus einer anderen Schicht käme oder in einem beruflichen Abhängigkeitsverhältnis wäre, am nächsten Tag würde sie sich schon sagen: 'Mist. Was löst das jetzt aus, dieses Nein? Bin ich meinen Job los?'"
Hier können Sie die ganze Sendung mit Ebru Taşdemir hören: