Serben im Kosovo
Mitrovica ist ethnisch in zwei Hälften geteilt. Eine Brücke trennt den Norden vom Süden. © Ilir Tsouko
Kfz-Kennzeichen mit Konfliktpotenzial
23:37 Minuten
Bis Ende Oktober sollen alle serbischen Autokennzeichen in kosovarische umgetauscht werden, so will es die Regierung im Kosovo. Was wie ein unbedeutender bürokratischer Akt klingt, hat das Potenzial zur Eskalation. Die serbische Minderheit rebelliert.
Die Stadt Mitrovica im Norden des Kosovo ist durch eine Brücke geteilt: auf der einen Seite leben Kosovo-Serben, auf der anderen Kosovo-Albaner. Militärisch wurde der Konflikt vor 23 Jahren beendet, aber politisch schwelt er bis heute. In Mitrovica wird der Streit ausgetragen, den es zwischen der Regierung in Serbien und der im Kosovo gibt.
Autokennzeichen als Politikum
Vermeintliche Kleinigkeiten wie zuletzt die Einführung einheitlicher Autokennzeichen verursachen Proteste, Ärger und Wut. Das serbische Kennzeichen ist in den vier Gemeinden Zvečan, Leposavić, Zubin Potok und Mitrovica, die direkt an das benachbarte Serbien angrenzen, ein politisches Statement.
Knapp die Hälfte der insgesamt 120.000 Serbinnen und Serben im Kosovo leben hier. So genau weiß das niemand, weil viele von ihnen die letzte Volksabstimmung von 2011 boykottierten. Sicher ist: Prozentual gesehen sind sie eine Minderheit in dem kleinen Land, das flächenmäßig in etwa so groß ist wie Schleswig-Holstein und das mehrheitlich von Albanern bewohnt wird. Mit dem Auto braucht man nur knapp zwei Stunden, um es einmal zu durchqueren. Aber genau das ist für viele Serben aus dem Norden nicht mehr so einfach möglich. Sie müssen ihre serbischen Kennzeichen mit Stickern überkleben. Und ab 31. Oktober sollen sie gar nicht mehr gültig sein.
Serbien und Kosovo im Dauerstreit
Aleksandar Arsenijević, 30 Jahre alt, hat im Gegensatz zu den meisten seiner serbischen Freunde klein beigegeben. Der Jungpolitiker ist beruflich viel unterwegs und kann sich lange Kontrollen der Polizeistreifen nicht leisten.
„Ich habe mich aus praktischen Gründen für das kosovarische Kennzeichen entschieden“ erzählt er. „Ich bin nicht froh darüber, aber so ist es eben. Ich habe dieses Auto vor einigen Monaten gekauft, vor der Krise in diesem Sommer. Aus dem Grund, weil ich mich frei im Kosovo bewegen will. Ich möchte die Serben südlich des Flusses Ibar besuchen und mir ihre Probleme anhören.“
In seiner Heimatstadt Mitrovica ist Aleksandar eine Ausnahme. Um junge Menschen vom Nummerntafel-Tausch zu überzeugen, hat der kosovarische Premierminister Albin Kurti ein Video auf Serbisch aufgenommen und auf Youtube gestellt. In seiner Videobotschaft lockt Kurti mit Steuererleichterungen von bis zu 5000 Euro.
Viele Serben im Nordkosovo wollen das Angebot trotzdem nicht annehmen. Denn ihre Nummerntafel ist nur ein Symbol für einen viel größeren Konflikt. Serbien erkennt die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo nicht an und betrachtet ihn weiterhin als Teil des eigenen Territoriums.
90er-Jahre: Sie floh, er blieb
Mevlude Skuroshi, 29, ist Albanerin und lebt im Süden von Mitrovica. Von Aleksandars Haus kann man auf ihre Seite hinüberblicken. Die Zeit im sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien kennt sie, genauso wie Aleksandar, nur aus Erzählungen. Heute haben beide sehr konträre Sichtweisen auf das Land, in dem sie leben.
Mevlude ist 1994 als kleines Kind mit ihrer Familie nach Deutschland geflohen und im Jahr 2000 wieder in den Kosovo zurückgekehrt. „Als wir in Deutschland in den Flieger stiegen, war es sehr kalt und regnerisch“, erinnert sie sich. „Als wir kurz darauf im Kosovo landeten, war es so warm. Man konnte die Hitze am Asphalt flimmern sehen. Meine Mutter hat uns sofort kurze Kleider angezogen. Wir sind in einen roten Mini-Van gestiegen und haben die Familie meiner Mutter besucht. Für mich war das ein sonderbarer Moment. Da waren all diese fremden, weinenden Menschen, die mich geküsst und meine Haare gestreichelt haben. Und ich dachte mir nur: ‚Ich weiß nicht, wer ihr seid.‘“
Nato-Bombardement markiert Zeitenwende
1999 bombardierte die Nato Serbien mit dem Ziel, dem Regime und den Kriegen des serbischen Machthabers Slobodan Milošević ein Ende zu setzen. Dieser hatte die Rechte von Albanern bereits Ende der 80er-Jahre systematisch beschnitten und in weiterer Folge ethnische Massaker und die Vertreibungen Hunderttausender zu verantworten. Für die albanische Familie von Mevlude waren die Bomben ein Befreiungsschlag. Sie kehrte aus Deutschland zurück in die Heimat.
Für die Familie von Aleksander hingegen war und ist das Bombardement ein Schock.
„Ich war ich nicht ganz sieben Jahre alt“, erzählt Aleksander. „Die Schule wurde unterbrochen und wir haben die meiste Zeit im Keller verbracht. Ich erinnere mich noch, wie die Polizeistation um neun Uhr morgens bombardiert wurde. Wir waren in der Wohnung, als die Detonation einschlug. Die Fenster zersplitterten und die Decke brach ein. Wir wären damals um ein Haar gestorben.“
Mevlude hat den Krieg in der Heimat nur im Fernsehen verfolgt.
„Meine Erinnerung ist, dass meine Eltern auf den TV-Bildschirm gestarrt haben und dass etwas sehr Schlimmes zu Hause passiert.“
„Meine Erinnerung ist, dass meine Eltern auf den TV-Bildschirm gestarrt haben und dass etwas sehr Schlimmes zu Hause passiert.“
Zwei Welten in einer Stadt
Über 20 Jahre später leben Aleksandar und Mevlude in einer Stadt, aber sie kennen sich nicht. Dabei engagieren sich beide in der Zivilbevölkerung: Er im Norden, sie im Süden von Mitrovica. Mevlude leitet ein Sozialzentrum, welches Projekte anbietet, die die Menschen zusammenzuführen sollen. Aleksandar ist Mitgründer einer kleinen Oppositionspartei, die sich für mehr Demokratie und Mitbestimmung einsetzt.
Aber die mächtige Serben-Partei „Srpska Lista“, die eng mit der Partei des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic verbunden ist, versucht sie mundtot zu machen. Aleksandar zeigt in seinem Büro auf einen Stapel Papier.
„Hier liegen etwa 10.000 unbenutzte Plakate herum, die wir für die letzte Lokalwahl gedruckt haben“, erzählt er. „Unser Gegner, die Srpska Lista, hat sie alle heruntergerissen. Wir haben uns bei der Zentralen Wahlkommission beschwert aber alle Anträge wurden zurückgewiesen.“
Die Büros von Aleksandar und Mevlude liegen nur zehn Gehminuten voneinander entfernt. Dennoch fühlt es sich an, als würde man zwischen zwei Welten hin- und herpendeln. Im Süden der Stadt stehen Denkmäler der UÇK, der Kosovo-Befreiungsarmee, die in Serbien als Terrororganisation gilt. US-amerikanische Flaggen flattern neben der EU-Flagge. Im Norden sieht man ausschließlich die serbische Flagge. Außerdem prangt immer mal wieder ein „Z“ an der Wand, das Symbol von Putins Anhängern im Angriffskrieg auf die Ukraine. Im Süden bezahlt man mit Euro, im Norden mit Dinar. Sogar die Mobilfunkanbieter sind andere.
Serbische Medien befeuern den Konflikt
Am 17. Februar 2008 hat der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Bis heute ist dieses Datum schwer belastet. Für die Albaner war die Gründung der Republik Kosovo ein Befreiungsschlag nach jahrzehntelanger Unterdrückung. Für viele Serben war die Unabhängigkeit eine Kränkung und ein territorialer Verlust, den sie bis heute nicht verarbeitet und anerkannt haben.
Eines mittelalterlichen Mythos zufolge gilt Kosovo als das „Jerusalem Serbiens“ und als das Kernland der serbisch-orthodoxen Kirche. Mit der Unabhängigkeit, so glauben viele, wurde ihnen diese „Wiege der Nation“ entrissen.
Wolfgang Vichtl, Korrespondent für die Region, glaubt, dass es noch lange dauern wird, bis es zu einer echten Annäherung zwischen der albanischen und der serbischen Bevölkerung im Kosovo kommen wird.
„Der Krieg ist seit 23 Jahren vorbei. Das ist eine vergleichsweise kurze Zeit. Viele jungen Leute aus Serbien und aus dem Kosovo sind ins Ausland gegangen und dort kommt man auch miteinander aus. Aber wer im Land geblieben ist, der steht unter dem Dauerfeuer der Medienberichterstattung in Serbien, die alles andere als unabhängig ist, und das macht es dann sehr, sehr schwer. Viele jungen Leute sehen ihre Zukunft im Ausland, also Zusammenleben ja, aber nicht dort, wo sie eigentlich herkommen.“
Mevlude Skuroshi: „Wir müssen zuhören“
Aleksandar, der Dagebliebene, erlebt durchaus manchmal, dass man sich hilft – aber nur in der Not. „Vor einem Monat brach hier ein Feuer aus und alle Nachbarn sind zusammengekommen, um den Brand zu löschen. Im Alltag kommen Albaner und Serben gut miteinander klar. Auf politischer Ebene ist genau das schwer zu erreichen.“
Und Mevlude glaubt, dass nicht die Politik, sondern nur die Gesellschaft etwas verändern kann. „Wir brauchen den Willen, um mehr übereinander zu lernen. Wir müssen unseren Geist und unsere Herzen öffnen. Wir müssen zuhören, was die andere Seite erlebt hat. Es gibt viel Gerede, aber es gibt keine konstruktiven Diskussionen. Am Ende braucht es eine kollektive Entscheidung. Nicht nur von Präsident Vučić und Premierminister Albin Kurti, sondern von uns allen.“