Hören Sie hier auch die erste Staffel der Serie: Tagebuch einer Flucht mit der Band Khebez Dawle.
Folge 1.1: Beirut. Keine neue Heimat
Folge 1.2: Lesbos. Ankunft am Touristenstrand
Folge 1.3: Zagreb. Flucht als Musiktour
Folge 1.4: Wien. Ohne Hilfe geht's nicht
Folge 1.5: Berlin. Wie schaffen wir das?
Nicht alles Gold glänzt
Vor einem halben Jahr sind die Musiker der syrischen Band "Khebez Dawle" in Berlin angekommen. Die Geschichte ihrer Flucht haben wir damals in einer Serie festgehalten. Jetzt begleiten wir die Band in ihrem neuen Leben in der Hauptstadt.
Merkel bei Anne Will: "Wir schaffen das, da bin ich ganz fest von überzeugt."
"Volksverräter!"
Hekmat: "Being in Europe, there’s this thing: It’s a 'refugee band'."
Bild.de: "Die syrische Band auf der Bühne geht im Selfie-Geknipse der Stars völlig unter."
Hekmat: "It's quite a nice place, lots of musicians here"
Berlin Lichtenberg. Ein verfallendes Hochhaus im halbindustriellen Niemandsland der Hauptstadt. Im dritten Stock haben die Musiker der syrischen Band Khebez Dawle seit ein paar Wochen einen Proberaum. Die Atmosphäre erinnert mich an meine erste Berliner WG: Flohmarkt-Charme mit Bierflaschen, gemütlichen Sesseln, an der Wand ein Jesusbild, dem mit Kuli eine Brille ergänzt wurde.
"Wir sind auf Tournee und nicht auf der Flucht!"
Bashar hat sich hinter das Schlagzeug gesetzt, normalerweise spielt er Gitarre. Als sich seine Bandkollegen letzten September in ein Schlauchboot nach Europa setzten, kam er nicht mit. In der Türkei verfolgte Bashar die gleichen Bilder auf Facebook wie ich in Deutschland: Wir sind auf Tournee und nicht auf der Flucht!, haben die Jungs behauptet und den Fernsehbildern über mittellose Flüchtlinge ihre Botschaft ins Gesicht gespukt: Wir sind Menschen. Wir haben Träume. Bashar gab das Hoffnung.
"Es ist etwas Gutes passiert, als ich die Videos der Jungs gesehen habe, wie sie mit dem Boot übersetzen und alles. Ich hatte das Gefühl, es ist einfach - also mach es! Es ist kalt oder nicht. Wenn es gefährlich ist, dann ist es eben gefährlich."
2016 steht im Zeichen der Flüchtlingskrise und die Veranstalter der glamourösen Berliner "Cinema for Peace"-Spendengala buchen Khebez Dawle als Live-Band. Doch auf ein deutsches Visum wartet Bashar vergeblich, so nimmt er den gleichen Weg wie seine Bandkollegen zuvor: Mit dem Schlauchboot, über die Balkanroute, pünktlich zur Gala erreicht er Berlin.
Kampf der Bilder
Als Bashar am 15. Februar die Stufen zum Konzerthaus am Gendarmenmarkt hochgeht, sind die klassizistischen Säulen mit zweitausend Rettungswesten aus Lesbos verkleidet. Eine Installation des chinesischen Künstlers Ai Weiwei. Ein böses Déjà-vu.
"Aus seiner Perspektive ist es Kunst, eine Botschaft, dass etwas passiert. Aber für andere kann es ein Albtraum sein, die Rettungsweste wieder zu sehen. Ich habe es gehasst, dass Leute Selfies geschossen haben, es ist furchtbar, wenn man die Gefahr selbst erlebt hat. Die ganzen extravaganten Leute, die nur darauf gewartet haben, zu sprechen und von der Kamera gesehen zu werden - das war so lächerlich."
Kampf der Bilder. Ai Weiweis Kunstaktion mit Rettungsdecken geht selbst den Reportern der BILD-Zeitung zu weit, die für die Spendengala akkreditiert sind. Auf YouTube landet ein Handyvideo:
"Geschmacklose Aktion bei der 'Cinema For Peace'-Gala in Berlin. In Kälteschutzdecken gehüllt saßen hier Promis wie Hollywood-Star Charlize Theron am Montagabend im Konzerthaus. Die syrische Band auf der Bühne geht im Selfie-Geknipse der Stars völlig unter."
Die Leute tanzen, als würde ihnen das Herz zerspringen
Ignoranz statt Anerkennung. Am Ende liegt eine zertrümmerte Gitarre auf der Bühne, der Sicherheitsdienst wird Backstage gerufen. Die Jungs von Khebez Dawle wollen über diese Episode zunächst nichts ins Mikro sagen. Schließlich fasst der Bassist Bazz zusammen:
"Seit dem Konzert bis heute haben wir nicht darüber gesprochen. Weißt du, wenn du draußen wartest und Musik spielen willst und du siehst diese Leute in Rettungswesten und sie trinken Champagner und du weißt, dass diese Weste einmal dein Leben gerettet hat und du kennst diesen Trip und die Leute, die das Meer überqueren, das fühlt sich wirklich schräg an."
Ein paar Wochen später. Gleiche Band, anderer Ort. Unter dem Motto "Flüchtlinge Willkommen" spielen Khebez Dawle im legendären SO36 in Kreuzberg. Vor einem dichtgedrängten Publikum, das größtenteils wie die Musiker selbst aus Syrien kommt. Als sich Khebez Dawle völlig von ihren Songs lösen und minutenlang frei improvisieren, tanzen die Leute, als würde ihnen das Herz zerspringen.
Khebez Dawle. Sie profitieren von ihrem Ruf als Berliner "Flüchtlingsband". Doch wollen sie das eigentlich sein? Ich frage Hekmat, den Gitarristen:
"Seit wir in Europa angefangen haben, heißt es: 'Es ist eine Flüchtlingsband!' Irgendwie kann ich das nicht akzeptieren, weil wir schon Musiker waren, bevor wir Flüchtlinge geworden sind. Der Name drückt dir ein Label auf, das du nicht wirklich bist. Musiker sind Musiker."