Khuê Pham: "Wo auch immer ihr seid"
btb Verlag, München 2021
304 Seiten, 22 Euro
Perspektivenwechsel auf den Vietnamkrieg
09:46 Minuten
Khuê Pham wurde als Kind vietnamesischer Migranten in Berlin geboren. Lange wollte die Journalistin sich nicht mit ihren Wurzeln beschäftigen. Nun legt sie einen autobiografisch geprägten Roman vor, in dem es um Identität und die vietnamesische Geschichte geht.
"Ich muss diese Geschichte mit einem Geständnis beginnen: Ich kann meinen eigenen Namen nicht aussprechen." So beginnt Khuê Pham ihren Roman "Wo auch immer ihr seid". Die junge Journalistin Kiêu nennt sich Kim, weil sie mit ihrer vietnamesischen Herkunft nichts anfangen kann. Auch ihre weitverzweigte Verwandtschaft in Vietnam und in den USA ist ihr fremd.
Dann stirbt ihre Großmutter in Little Saigon, Kalifornien, und Kiêu muss mit ihren Eltern zur Testamentseröffnung nach Amerika reisen. Sie tut es sehr widerwillig. Doch es wird ein Besuch, der sie plötzlich mit vielen Fragen zu ihrer eigenen Identität konfrontiert – und mit einem Familiengeheimnis, das bis in den Vietnamkrieg zurückreicht.
Entfremdung von der eigenen Herkunft
Pham, die 1982 als Kind vietnamesischer Migranten in Berlin geboren wurde und heute als Politikredakteurin bei der "Zeit" arbeitet, hat viel Autobiografisches in ihrem Buch verarbeitet – inklusive der Tatsache, dass sie schon immer Probleme hatte, ihren vietnamesischen Vornamen richtig auszusprechen, wie sie gesteht. Auch die Entfremdung von der eigenen vietnamesischen Herkunft kenne sie gut, sagt sie.
Doch sei ihr Buch mehr als nur eine Familien- und Migrationsgeschichte, betont die 39-jährige Autorin. Vergnügliche Kapitel, die den Clash of Cultures beschreiben, wenn Kim alias Kiêu auf ihre Verwandtschaft trifft, wechseln sich ab mit einem tiefernsten und detailreichen Blick in die vietnamesische Geschichte und auf den Vietnamkrieg. Pham erzählt diese Geschichte entlang der Schicksale von Kiêus Vater und Onkel.
Was der Krieg mit den Familien gemacht hat
"Es gibt über den Vietnamkrieg natürlich unzählige Filme und Bücher. Aber, ganz ehrlich, sie sind alle aus einer bestimmten Perspektive erzählt, nämlich aus der Perspektive von amerikanischen Kriegsreportern – weißen Männern", sagt Khuê Pham. Deren Blick auf den Krieg beschränke sich auf die Schlachten und das Leben der US-Soldaten während des Einsatzes in Vietnam und danach.
"Was der Krieg und auch die Zeit danach mit den Familien gemacht hat – diese Geschichte haben wir zumindest in Deutschland noch nicht gelesen", betont Pham: "Deshalb musste ich sie mir selbst erarbeiten." Dafür hat die Autorin umfangreich recherchiert, ist nach Vietnam gereist, hat viele Gespräche mit Zeitzeugen geführt und sie detailliert nach dem Alltag damals befragt.
Schweigen über den Schrecken
Ab einem bestimmten Punkt stieß Pham allerdings oft auf eine Mauer des Schweigens: Wie groß das Leid während des Krieges und in der politisch-gesellschaftlichen Umbruchzeit unter der kommunistischen Führung war, darüber wollten viele nicht sprechen.
"Wir haben auch in meiner Familie nicht darüber geredet, was im Vietnamkrieg passiert ist", erinnert Pham sich. Ihre Familie habe zum Teil gehungert, Familienmitglieder hätten ihr Leben riskiert, um Vietnam zu verlassen. "Diese krassen Geschichten kannte ich vorher nicht." Sie seien erst ans Licht gekommen, als sie systematisch damit begonnen habe, auch ihre Verwandten nach der damaligen Zeit zu befragen, berichtet die Autorin.