KI und Kunst
Das von einer KI erstellte Gemälde "Portrait of Edmond de Belamy" wurde 2018 für eine sechsstellige Summe versteigert © picture alliance / AP Photo / Christies
Die Aura des Durchschnittlichen
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Design-Fotos oder Food-Fotografien, das kann nun auch eine KI. Die Ergebnisse sind nicht schlecht und werden von vielen gefeiert. Aber sind sie auch zu irgendwas gut? Das fragt sich der Medienphilosoph Roberto Simanowski.
Neulich bekam ich einen Kalender mit Landschaftsbildern geschenkt. Wir wissen ja, dass du Geschmack hast, sagten meine Freunde schmunzelnd. Ob ich den Künstler kenne?
Nein, das tat ich nicht. Und das lag keineswegs an mir. Die Bilder waren weder von einem lebenden Künstler noch von einem toten. Sie waren von einer KI, was gleich zur Frage führte, ob das dann überhaupt Kunst ist.
Wenn es mehr als 400.000 Euro kostet, ist es sicher Kunst, sagten meine Freunde. Sie spielten auf das "Portrait of Edmond de Belamy" an, das ein französisches Künstler-Trio 2018 von einer KI hatte generieren lassen und für 432.000 US-Dollar verkaufte. Wer würde so viel Geld für ein KI-Bild ausgeben, ohne etwas künstlerisch Wertvolles darin zu sehen!
Die andere Frage, die uns an diesem Abend beschäftigte: Wer ist eigentlich der Künstler, wenn die Kunst von der KI kommt? Die KI oder diejenigen, die der KI sagen, was sie tun soll?
Im Falle des Belamy-Bildes gibt es neben dem Künstler-Trio mindestens 15.001 weitere Anwärter auf die Autorschaft. Denn das benutzte Programm war auf einer Open-source-Webseite von jemandem zur Verfügung gestellt worden und wurde dann mit 15.000 Porträts aus dem 14. bis 20. Jahrhundert gefüttert, aus denen die KI eine Art Querschnittsportrait generierte.
Die Maler dieser 15.000 Portraits schufen die Trainingsdaten der KI und sind so auch irgendwie beteiligt am Edmond Belamy-Portrait. Sie haben der KI beigebracht, wie ein Portrait aussieht.
Unterricht zur Selbstabschaffung
Das jedenfalls ist das Argument all der Maler, Musiker und Schriftsteller, die sich nun beschweren, dass die KI an ihren Werken das Malen, Komponieren und Schreiben lernt, um sie schließlich überflüssig zu machen. Und das Schlimmste: Sie werden für diesen Selbstabschaffungsunterricht nicht einmal bezahlt.
Im Modus seiner künstlichen Produzierbarkeit ist das Kunstwerk extrem ungerecht, aber auch zutiefst demokratisch, resümierten meine Freunde und spielten mit dieser Formulierung auf einen berühmten Aufsatz des Kulturphilosophen Walter Benjamin aus dem Jahr 1936 an: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“.
Dieser Aufsatz handelt davon, dass der technische Fortschritt die Wahrnehmung der Kunst verändert. So muss man, seit es Fotografien der weltberühmten Kunstwerke gibt, nicht mehr nach Rom oder Paris reisen, um diese Werke zu sehen. Man kann sie ganz bequem daheim auf der Couch anschauen. Das macht Kunst für alle zugänglich, und zwar wesentlich billiger als zuvor der Kupferstich oder Holzschnitt. Aber es zerstört auch die Aura des Kunstwerks: das Hier und Jetzt der Begegnung mit ihm.
Demokratisierung der Kunstproduktion
Ich ahnte, worauf meine Freunde hinauswollten: Die KI ist nicht nur ungerecht, weil sie sich die kreativen Leistungen anderer ohne Vergütung aneignet. Die KI wiederholt zugleich die von der Fotografie bewirkte Demokratisierung der Kunst-Rezeption auf der Ebene der Kunst-Produktion. Denn mit der richtigen Technik kann nun jeder Kunst machen: sekundenschnell und auf Knopfdruck.
Und deswegen entwickelt das Ergebnis auch keinerlei Aura, sagte ich. Aber das sahen meine Freunde anders. Sie erkannten in der KI-Kunst eine neue Aura: die Aura der Demokratie. Immerhin repräsentiere jedes von der KI geschaffene Werk den statistischen Durchschnitt seiner Trainingsdaten, also das, was im Falle des Belamy-Portraits in den 15.000 Vorlagen überwog. Das sei wie bei einer Wahl: Die Mehrheit siegt.
Kann das Durchschnittliche eine Aura haben? Ist der Mainstream unser Schicksal? Dachte ich und plötzlich war ich mir sicher, dass KI-Kunst nicht die Zukunft sein wird. Nicht für mich jedenfalls. Ich werde immer das Menschliche in der Kunst suchen, und zwar nicht als mathematischen Querschnitt, sondern als individuelle Erfahrung.
Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hongkong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören „Facebook-Gesellschaft“ (Matthes & Seitz 2016) und „The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas“ (MIT Press 2018).