Künstliche Intelligenz
Sie säubern das Internet vom gröbsten Müll, sogenannte Moderatoren. Sie werden durch KI noch mehr Arbeit bekommen. © The Washington Post via Getty Im / The Washington Post
Noch mehr Arbeit für digitale Putzkolonnen
Digitaler Fortschritt schaffe Ungleichheiten und Künstliche Intelligenz helfe da auch nicht weiter, kritisiert die Soziologin Anna-Katharina Meßmer. Sie verursache noch mehr Putzarbeiten unter unwürdigen Bedingungen. Den Nutzern sei es meist egal.
Wer für wen den Schmutz wegmacht, das ist weltweit eine Frage sozialer Ungleichheit. Das gilt nicht nur für den Mikrokosmos des Privathaushalts. Das gilt ebenso für öffentliche Orte wie Krankenhäuser. Und es gilt auch global: Weltweit sortieren Menschen Abfälle westlicher Industrieländer. Materiell und digital.
"The Cleaners" heißt deswegen ein bekannter Dokumentarfilm von 2018, der erstmals die Arbeit von Content-Moderator:innen beleuchtete. Das sind die digitalen Putzkräfte unserer Zeit, die manuell digitale Inhalte überprüfen. Also all jene Fotos, Videos und Livestreams, die die Nutzer:innen von digitalen Plattformen aufgrund von Community Guidelines oder Gesetzen nicht zu sehen bekommen sollen. Das fängt recht harmlos mit weiblichen Brustwarzen an und reicht bis zu visuellen Darstellungen von Selbstmorden, Schießereien, Enthauptungen, Kindesmissbrauch und anderen Gewaltverbrechen.
Arbeit im Verborgenen
Diese Content-Moderatoren sind nie gemeint, wenn von den gut bezahlten Mitarbeiter:innen digitaler Unternehmen die Rede ist. Sie sind doppelt unsichtbar. Ihre Arbeit findet im Verborgenen statt und die meisten Menschen wissen nicht einmal, dass sie existieren. In der Regel sind sie nicht bei den Plattformen angestellt, sondern bei Subunternehmen. Meist leben sie nicht einmal in dem Land, in deren Sprache sie Inhalte überprüfen. Stattdessen wird diese im wahrsten Sinne des Wortes Drecksarbeit ausgelagert: nach Indien, auf die Philippinen, in osteuropäische oder afrikanische Länder.
Ausputzer unserer digitalen Spielwiesen
Content-Moderatoren leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass ich als Instagram-Nutzerin von traumatischen Inhalten weitgehend verschont bleibe. Doch die Ausputzer unserer digitalen Spielwiesen arbeiten unter miesen Bedingungen – sie sind unterbezahlt und oft traumatisiert von dem, was sie tagtäglich sehen. Es fehlt an der nötigen psychologischen und rechtlichen Unterstützung. Doch verlässliche Zahlen dazu, wie hoch die Belastung wirklich ist und wie viele Arbeiter:innen betroffen sind, gibt es nicht. Schließlich haben die Unternehmen kein Interesse daran. Und das ist Teil des Problems.
Jetzt werden Sie vielleicht fragen: Kann diese digitale Drecksarbeit nicht inzwischen künstliche Intelligenz übernehmen? Nein! Kann sie immer noch nicht. Im Gegenteil: Es scheint, als würde jede neue digitale Entwicklung neue Drecksarbeit hervorbringen. So wurde zuletzt bekannt, dass Open AI, die Firma hinter „ChatGPT“, ebenfalls ein Subunternehmen zur Content Moderation beauftragte. Dessen Angestellte mussten für ein bis zwei Dollar pro Stunde ChatGPT von all dem befreien, was die KI von Menschen gelernt hat und nicht an andere Menschen weitergeben soll: Beleidigungen, Hate Speech und detaillierte Beschreibungen von Gewalt.
Erste Afrikanische Content-Moderatoren-Gewerkschaft gegründet
Immerhin gibt es hier nun erstmals Bewegung. Am Tag der Arbeit kamen in Nairobi 150 Content-Moderatoren zusammen, um die erste afrikanische Content-Moderatoren-Gewerkschaft zu gründen. Sie will den Plattformen den Kampf ansagen und für angemessene Arbeitsbedingungen und Sichtbarkeit kämpfen. Das ist auch dringend notwendig.
Denn während die neuesten Entwicklungen Künstlicher Intelligenz mit großer Angstlust diskutiert werden, bleibt bei all der Faszination dafür, was Technik kann, eines auf der Strecke: all das, was Technik immer noch nicht kann, und wer – mal wieder – dafür zuständig ist, den Dreck wegzumachen. Das Tragische daran: Dieser Dreck wird immer mehr, aber diejenigen, die ihn beseitigen, bleiben von den neuen Regulierungen digitaler Plattformen weiter unberücksichtigt. Und so lautet das aktuelle Zukunftsversprechen: Technologie übernimmt die Kreativarbeit, während ihr schlechtbezahlte und ausgebeutete Menschen hinterherputzen müssen.