Kickende Schriftsteller

Literarische Dribblings

Moritz Rinke (l.) bei einem Spiel der Autoren-Nationalmannschaft
Moritz Rinke (l.) bei einem Spiel der Autoren-Nationalmannschaft © picture alliance / dpa
Von Ole Schulz |
Einst als Hobby-Truppe gegründet, hat sich die Autoren-Nationalmannschaft zum offiziellen Botschafter des DFB entwickelt. Auf Einladung des Goethe-Instituts ist der amtierende Autoren-Europameister gerade zu Besuch im WM-Gastgeberland Brasilien.
In der Favela Maré: Auf einem eingezäunten Fußballplatz steht eine Mannschaft aus deutschen und brasilianischen Autoren. Ihr Gegner in dem Armenviertel Rio de Janeiros weitab der Copacabana und des Zuckerhuts ist ein Team aus Favela-Bewohnern und jungen Musikern.
Am Spielfeldrand steht HSV-Legende Jimmy Hartwig als Trainer der deutschen Autorennationalmannschaft. Um den Platz herum stehen Dutzende Zuschauer, vor allem Kinder. Es stinkt nach Abfällen und Marihuana-Schwaden ziehen über das Spielfeld. Zwischendurch fahren Jeeps mit schwer bewaffneten Soldaten in Tarnuniform am Platz vorbei.
Lesungen mit brasilianischen Kollegen
Das Spiel gegen das Team der Favela Maré ist einer der Höhepunkte des siebentägigen Aufenthalts der "Autonama" im WM-Gastgeberland. Laut Dramatiker Moritz Rinke geht es um nichts Geringeres als Völkerverständigung durch das geschriebene Wort:
"Der Sinn ist eben, Fußball wirklich mit Literaturen zu verbinden und weit darüber hinaus zu gehen, was die 'normale', wir sagen immer die 'andere' Nationalmannschaft leisten kann, nämlich eine wirkliche kulturelle Begegnung."
Eingeladen vom Goethe-Institut zum Ausklang des "Deutschland-Jahres" in Brasilien gibt es neben Fußballbegegnungen unter dem Motto "literarische Dribblings" auch mehrere Lesungen mit brasilianischen Kollegen. Autor Jochen Schmidt nähert sich dem Thema zum Beispiel durch den Bezug auf das ethnologische Standardwerk "Traurige Tropen":
"Ich wollte nie in den Urwald. Ich wusste aus vielen alten Tarzan-Filmen, wie gefährlich es dort war. Schon hohes Gras war mir verhasst, weil man darin morgens immer nasse Füße bekam. Das Schöne am Fußballplatz ist doch, dass der Rasen so kurz gemäht ist! Die Brasilianer sollen ja auch am liebsten am Strand Fußball spielen, vermutlich, weil in ihrem Land überall so hohes Gras wächst. Aber gerade deshalb sollen sie so gut sein. Denn wer am Strand besteht, wo der Ball sich ganz unberechenbar verhält, für den ist das Spiel unter normalen physikalischen Bedingungen eine Unterforderung."
Unterfordert sind die 17 deutschen Spieler in Brasilien allerdings nicht, zu vielfältig sind die Eindrücke in den wenigen Tagen ihres Aufenthalts.
Manchmal gibt es dabei auch Verständigungsprobleme – und beim Abgang von der Bühne kommt es vor, dass einer der Autoren "Avocado" sagt statt "Obrigado", "Danke", um sich vom Publikum zu verabschieden.
Die Stimmung beim Auftritt bei der alternativen Lesebühne "Cooperifa" am Rande São Paulos ist trotzdem euphorisch:
Keine WM-Euphorie bei den Gastgebern
Weniger Begeisterung im Land ruft dagegen die anstehende Fußball-WM hervor. Moritz Rinke:
"Sehr merkwürdig gedämpfte Stimmung, also eine Euphorie kann ich nicht entdecken. Ich glaube diese Wut immer noch, sowohl auf die Regierung als auf die FIFA, dass eben von der Infrastruktur letztendlich nichts verwirklicht wurde, was versprochen wurde. Das ist wirklich traurig. Und ich finde das spürt man, dass es ist wirklich keine große WM-Begeisterung gibt."
Die Autoren lassen sich dadurch aber nicht ihre kindliche Freude am Fußballspiel nehmen. Philosoph Wolfram Eilenberger über die Gründe, warum sich Männer, die die 30 überwiegend weit überschritten haben, immer noch gerne in die Knochen treten lassen:
"Schreiben ist ja eine sehr einsame Tätigkeit. Und für uns ist das sicher zum einen ein sozialer Ausgleich. Zum anderen aber auch: Es ist es für alle natürlich ein Kindheitstraum in einem deutschen Nationaltrikot mit der Hymne auflaufen zu können. Und es ist ja oft so, dass Literatur aus nicht bewältigten Träumen besteht. Und ich glaube schon, dass viele von uns den Traum hatten, wie viele Jungs, Fußballer zu werden und wir damit ein Stück Jugendtraum nachholen und vielleicht auch etwas verarbeiten, was wir in der Literatur in gleicher Weise fiktiv aufnehmen."
Bei allem Ehrgeiz auf dem Rasen: Höchstleistungen vollbringen die deutschen Autoren in Brasilien vor allem auch abseits des Fußballplatzes. In nur 48 Stunden geht es von São Paulo nach Rio de Janeiro und zurück. Zwei Nächte im Bus – das schweißt zusammen: