Kiew im Januar (3)

Das fröhliche Flüchtlingszentrum

Kiew: Die Andrejewskaja Kirche ragt mit ihren Zwiebeltürmchen in den Himmel
Kiew: Die Andrejewskaja Kirche ragt mit ihren Zwiebeltürmchen in den Himmel © Imago / Michael Miloslavski
Von Katja Petrowskaja |
Die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin und Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja beobachtet, wie Menschen in Kiew ost-ukrainischen Flüchtlingen helfen. In der Reihe "Originalton" porträtiert Petrowskaja ihre Geburtsstadt Kiew - Eindrücke jenseits der Nachrichtenberichterstattung.
Wir stehen auf einem Gelände im Bezirk Podol in Kiew, überall sind festlich bemalte Container, alte militärische Fahrzeuge, mit den Stoffen und Bildern geschmückte Kioske, kleine bunte Busse, Zelte. Hier wird erste Hilfe für ost-ukrainische Flüchtlinge geleistet. Anfang Januar, wird mehrere Tage hintereinander durchgefeiert. Theater auf Stelzen, Zirkusartisten, dressierte Hunde, Väterchen Frost und die Kinder, alle tanzen im Matsch. Über uns schwebt die Andrejewskaja Kirche, eine der schönsten Bauten Kiews. Werkstätten für Kinder und natürlich Geschenke, individuell und nach Namen verteilt. Kleine Kinder und ihre Eltern, Flüchtlinge, alle gut gekleidet, singen und spielen. Sie sind auf ganz unterschiedlichen Wegen nach Kiew gekommen. Viele von ihnen haben nichts mitgenommen. Erst werden sie von staatlichen Behörden registriert, werden in Studentenheimen, alten Häusern und privat untergebracht. Wie soll es weiter gehen? Den staatlichen Institutionen fehlt Kompetenz, Erfahrung und Flexibilität.
Das Zentrum für humanitäre Hilfe mit dem Namen "Jeder kann helfen" versucht, diese Lücke zu schließen. Hier kann jeder warmes Essen bekommen – im Zelt der Malteser, die ich übrigens schon auf dem Maidan gesehen habe, wird gekocht. Hier werden die Neuankömmlinge für mehrere Tage mit Lebensmittelpaketen versorgt, hier wird Arbeit für sie gesucht. Es gibt Psychologen und Ärzte. Alle, die hier arbeiten sind Freiwillige. Als ich die Organisatoren frage, wie sie dieses Wunderstädtchen aufgebaut haben, sagen sie, wir haben nichts gemacht, es ist von selbst gewachsen, wir brauchten ein Zelt, und am Morgen war es da. Wir suchten einen Psychologen und dann kamen sieben. Arsen und Lesja haben sich auf dem Maidan kennengelernt. Er lieferte Medikamente, sie war bei der Holz-Versorgung beschäftigt. Arsen leitet die bekannte Tourismus-Firma mit dem Webportal "Interessantes Kiew". Lesja ist Dokumentaristin. Arsen zeigt mir einen Container nach dem anderen: Hier werden Kleider sortiert, hier Spielzeug. Hier Haushaltschemikalien, Windeln und Toilettenpapier. Im nächsten bauen Tischler, die selbst Flüchtlinge sind, Regale für sortierte Kleider, es gibt sogar XXL.
Ich verbringe hier ein Paar Stunden, Leute kommen und bringen neue Sachen. Das Zentrum funktioniert auch als Multiplikator, Geld und Güte werden weiterverschickt. In diesem Zentrum, das komplett aus Eigeninitiative entstanden ist, wurde allein hier in Kiew 15.000 Menschen geholfen. Was mich am meisten beeindruckt: es ist hier fröhlich.

Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt eine tägliche Rubrik unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche stammen sie von der ukrainisch-deutschen Schriftstellerin Katja Petrowskaja:

"Sie beschreibt eine Situation nicht nur, sie wendet sie mit vielen Bewegungen hin und her, und dann wird sie emotional. Sie kann im selben Moment lachen und äußerst dezidiert sein, wirkt mit ihren feinen Gesichtszügen konzentriert, angespannt wie eine Feder und überwach" - das sagt unser Kritiker Hemut Böttiger über die in Kiew geborene und in Berlin lebende Autorin Katja Petrowskaja.
Sie stammt aus einer jüdischen Familie; "sowjetisch, russisch, jüdisch" nennt sie als ihre Einflüsse. Von 1987 bis 1992, in der Zeit des großen Umbruchs, studierte die 1970 Geborene im entlegenen estnischen Tartu, wo Professoren wie Juri Lotman "einen nichtideologischen Raum entwickelten". Als sie 1993 in Moskau weiterstudieren wollte, galt sie plötzlich als Ukrainerin und war Bürgerin eines anderen Staates.
Die Gewinnerin des Bachman-Preises 2013 ist häufig in ihrer Geburtsstadt Kiew, zuletzt war sie dort Anfang des Monats - zu Weihnachten und Jahreswechsel. Beides findet in der Ukraine Anfang und Mitte Januar statt. Sie hat aus Kiew ihre "Originaltöne" mitgebracht, in denen sie ein Bild der Stadt zeichnet, das über die üblichen Bilder in den Nachrichten hinausgeht.



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