Kind von wilden Eltern

Von Georg Gruber |
Sie ist in Südafrika, Spanien und Schweden aufgewachsen. Als Tochter von Hippies, wie die 36-jährige Pia Marais selber sagt. Es ist ein Leben, bei dem sich das Kind schnell nach geordneten Verhältnissen und Bürgerlichkeit sehnt. In ihrem preisgekrönten Regiedebüt greift Pia Marais diesen selbst erlebten Generationenkonflikt auf. Der Film "Die Unerzogenen" läuft nun im Kino an.
Pia Marais ist nervös. Ihr Film wurde bereits auf zahlreichen Festivals ausgezeichnet, in Rotterdam, in Buenos Aires, aber nun läuft er zum ersten Mal in Berlin, wo sie seit Mitte der neunziger Jahre lebt. Kein schlechter Ort für eine Filmpremiere, die Volksbühne. Schlank ist sie, die langen dunklen Haare lose nach hinten gebunden, eher unauffällig, nicht der Typ, der sich in den Vordergrund drängt. Muss sie ja auch nicht, als Regisseurin.

"Weißt Du, wir müssen uns jetzt gefühlsmäßig darauf vorbereiten, mit deinem Vater klar zu kommen."

Der Vater war im Gefängnis, wegen Drogendealereien.

"Jetzt freu ich mich total auf ihn."

"Du vielleicht."

Die Mutter hat mit Stevie, der 14-jährigen Tochter in Portugal gelebt. Sie ziehen nach Deutschland, als die Mutter ihr Elternhaus erbt. Stevie ist wenig begeistert. Sie ist auf der Suche nach Normalität, nach Orientierung, nach kleinbürgerlichem Idyll, statt dem Chaos, in dem sie lebt:

"Lily ist krank, sie trinkt, sie ist deswegen in Behandlung, Axel kriegt nichts auf die Reihe, der ist ein Träumer, der hat Schulden, der wird gesucht. Wir sitzen fest. Unser Leben ist kaputt."

"Die Unerzogenen" hätte eine Komödie werden können, Pia Marais hat sich bewusst dagegen entschieden. Entstanden ist ein langsamer Film, ein irritierender Film.

"Mich hat das immer berührt, die Thematik, ein Kind, das groß wird in einem Zusammenhang, der etwas konfus ist und wie soll man sagen, wo ein Kind sehr der Erwachsenenwelt ausgeliefert ist, ohne diese Schutzwände."

Ohne Schutzwände: Die Eltern kümmern sich wenig um ihre Tochter. Die Freiheit, die sie leben, ist nur noch zerstörerisch.

Der Film kann wie eine Abrechnung gesehen werden, passend zum inzwischen schon gängigen 68er-Bashing: Ihr wolltet es besser machen und seid gescheitert mit euren alternativen Lebensentwürfen, die im Nichts münden.

"Ich wäre sehr traurig, wenn man in dem Film eine Abrechnung sähe, weil: Das war gar nicht meine Absicht, viel eher ist es eine Zustandsbeschreibung gewesen, wo ein Kind einen Vorteil und einen Nachteil davon hat, wie das Leben so abläuft."

Der Film sei auch eine Liebeserklärung an ihre Eltern, die anfangs etwas perplex gewesen sein, sich aber nun mit ihrer Tochter über den Erfolg freuen.

"Deine Eltern haben eine komische Ethik, die sind viel abgefahrener als meine."

Ihre Eltern waren "Hippies", der Vater Schauspieler aus Südafrika mit hugenottischen Wurzeln, die Mutter Schwedin. Pia wurde 1971 geboren, sie wuchs in Südafrika auf, zu Apartheidzeiten.

"Meine Eltern, die haben sehr frei gelebt, und teilweise war das sehr chaotisch als Kind, freier tatsächlich. Der Handlungsablauf, das ist frei erfunden."

Aber genauso wie Stevie im Film zog auch Pia mit ihren Eltern ständig um: von Südafrika nach England, wieder nach Südafrika, von dort nach Spanien, wo es ihr so wenig gefällt, dass sie, als 14-Jährige, allein zurück geht und ein Jahr bei einer Schulfreundin lebt - bevor sie mit ihren Eltern nach Schweden zieht. Auch ihr Weg zum Film verlief über viele Stationen: Nach der Schule will sie Architektur studieren, versucht Bildhauerei in England, wechselt auf eine Kunsthochschule nach Amsterdam, Fachrichtung: Fotografie. Wird an der Kunstakademie in Düsseldorf genommen, dreht Experimentalfilme, schafft es dann 1996 auf die Deutsche Film und Fernsehakademie in Berlin. "Die Unerzogenen" ist ihr Abschlussfilm.

Mit großen Schauspielern, wie Birol Ünel, bekannt aus "Gegen die Wand", als Vater und mit einer vollkommen unbekannten 14-Jährigen, die für ihr eindrucksvolles Spiel in Berlin den meisten Applaus erhält.

Das neue Projekt von Pia Marais heißt: "Im Alter von Ellen" und es könnte die Fortsetzung sein, Stevie 30 Jahre später.

"Es geht um eine Flugbegleiterin, die entgleitet im Leben oder sie rutscht so raus, aus dem Leben, das sie so hatte und geht so auf eine Art Odyssee, auf der Suche nach Familienersatz."

Menschen ohne Halt, unterwegs und doch ohne klares Ziel. Natürlich hat auch dieser Film wieder mit ihrer persönlichen Geschichte zu tun: der Suche nach der eigenen Identität, zwischen Schweden und Südafrika.
"Das ist so komisch, dadurch, dass ich halb Südafrikanerin bin, das ist eine sehr konservative Gesellschaft, wo es ganz klar ist, du musst bestimmte Sachen machen im Leben, und wenn ich zurückkomme, dann merke ich, wie anders ich bin: Ich bin nicht verheiratet, hab keine Kinder, führe nicht dieses geregelte Leben und ich könnte das auch nicht und ich will das auch nicht, ich bin einfach anders bedingt, von Kindheit an. Das haben meine Eltern zu verantworten - nein."