Deutsche Kinderfilme

Mehr Mut, bitte!

06:07 Minuten
Die Jungschauspielerin Lise Teige mit Tarjei Sandvik Moe, die in der norwegischen Serie "Skam" mitspielen.
Skandinavische Produktionen wie die norwegische Serie "Skam" sind oft mutiger als deutsche. © picture alliance / NTB / DPR
Von Christian Berndt |
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Das deutsche Kino hat in der Pandemie gelitten, noch immer fehlt den Filmtheatern ein großer Teil des Publikums. Was aber erstaunlich erfolgreich läuft in den Kinos sind Kinderfilme. Allerdings vor allem, wenn es um schon bekannte Stoffe geht.
Die „Schule der magischen Tiere“ war 2022 der erfolgreichste deutsche Kinofilm. Kinderfilme haben sich zu wahren Erfolgsgaranten der deutschen Filmwirtschaft entwickelt, meint Helga Löbel, Produzentin für Kids- und Young-Adult-Inhalte bei der UFA, die Jugendserien wie „Spotlight“ verantwortet.
„Wenn man sich das anguckt, da ist in den Top Ten immer irgendwie ein großes Kinder-Franchise dabei. Da würde ich sagen, es ist auf jeden Fall im Kino-Segment sehr wichtig.“
Kino-Franchise meint Filme, die wie „Die Schule der magischen Tiere“ auf erfolgreichen Buchreihen beruhen. Solche Verfilmungen laufen in Deutschland extrem gut, zum Nachteil allerdings der filmischen Originalität bei den größeren Kinoproduktionen, findet Produzentin Löbel.
„Was man auf jeden Fall merkt, ist, dass die Risikobereitschaft für einen originären Stoff, einen originären Kinderfilm, der nicht zwingend eine Vorlage hat, dass diese Risikobereitschaft aufgrund der Marktgegebenheiten bei uns nicht so da ist. Und bei so einem riesen Franchise wie die 'Magische Schule' oder 'Drei Fragezeichen' und so weiter, das ist eine sichere Bank irgendwo.“

Zu viel Analyse, zu wenig Gefühl

In den skandinavischen Ländern oder den Niederlanden wagt man mehr. Diese Länder werden in der Branche immer wieder als Vorbild genannt, wenn es um realistisches Erzählen auf Augenhöhe mit den jungen Zuschauern geht. Das Gros des deutschen Kinder- und Jugendfilms ist weniger mutig, meint Helga Löbel.
„Ich glaube, diese medienpädagogische Forschung und dieses, was rezipiert welche Altersgruppe wie, da sind wir, glaube ich, in Deutschland ziemlich weit vorne, da passiert unheimlich viel. Trotzdem fehlt uns vielleicht manchmal das Gefühl einfach für die Dinge. Man kann ja sehr viel Forschung und Analyse betreiben, und am Ende ist es ja trotzdem ein Gefühl für einen Stoff oder für eine Zielgruppe. Vielleicht geht uns das manchmal verloren in den Filmen.“
Vor allem für die Altersgruppe von zehn bis dreizehn Jahren fehlt es an interessanten und originären Stoffen. Auch wenn es originelle kleine Produktionen gibt, meint Löbel, wie zum Beispiel „Amelie rennt“.

Wohlhabende Familien als Norm

Dieses Problem sieht auch Rochus Wolff, er ist Filmjournalist mit Schwerpunkt Kinderfilm und Betreiber des Internetmagazins Kinderfilmblog.de. „Wenn man sich tatsächlich anguckt, wie viele deutsche Kinderfilme im Jahr ins Kino kommen, dann ist die Zahl der originären, oder sagen wir wenigstens wirklich originellen und interessanten Kinderfilme aus Deutschland relativ niedrig.“
Und der deutsche Kinderfilm spiegelt beschämend wenig die unterschiedlichen sozialen Realitäten des Landes wider.
„Man sieht im deutschen Kinderfilm tatsächlich viel zu oft eher so bürgerlich-wohlhabende Familien, also ohne, dass das groß thematisiert wird, und wenn man sich die Wohnungen anschaut, in denen die Familien leben, die Häuser, da ist so diese Mittelschicht bis obere Mittelschicht. Es gibt tatsächlich viel zu wenige Kinderfilme in, nennen wir es mal, proletarischen Verhältnissen. Man sieht das aber tatsächlich in anderen europäischen Ländern häufiger.“

Andere Herkünfte nicht selbstverständlich

Um daran auch im deutschen Film etwas zu ändern, so Wolff, hat sich vor zehn Jahren die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ gegründet. Sie fördert deutsche Filme mit originären Stoffen wie zum Beispiel „Zu weit weg“ – ein Kinderfilm über die Freundschaft zwischen einem deutschen und einem syrischen Jungen.
Das Thema Migrationshintergrund ist im deutschen Kinderfilm zwar mittlerweile präsenter, aber, so Wolff, „was mir noch fehlt, ist tatsächlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund selbstverständlicher in quasi ‚normalen‘ Rollen mit auftauchen, wo dieser Migrationshintergrund nicht ihre Rolle definiert und nicht das definiert, wie sie im Film auftauchen.“

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Das Gleiche gilt, meint Wolff, für queere Lebensverhältnisse. Gleichgeschlechtliche Eltern zum Beispiel würden im deutschen Kinderfilm ebenso fehlen wie Familienverhältnisse, in denen etwa der Vater zu Hause bleibt und die Mutter arbeitet.
Dass die Milieus in Kinder- und Jugendfilmen anderer Länder breiter gefächert sind als im deutschen Kino, kann auch der Leiter der Sektion Generation auf der Berlinale, Sebastian Markt, bestätigen. „So ein Bereich, der mir schnell einfällt, wo ein gewisses Kino einer Kindheit oder Jugend aus zum Beispiel Arbeiterinnenverhältnissen eine Rolle spielt, ist sicher das britische Kino.“

Auch schwierigere Themen wagen

Im höher budgetierten deutschen Kinder- und Jugendfilm beobachtet Sebastian Markt eine gewisse Scheu vor heiklen Themen. Das ist im skandinavischen Kino anders.
In den Kinderfilmen der schwedischen Regisseurin Sanna Lenken zum Beispiel geht es um Problematiken wie Essstörungen oder Suizid. „Das sind Filme, die einerseits Themen ansprechen, wo vielleicht in anderen Zusammenhängen, da würden Förderinstitutionen einen Bogen darum machen und sagen, das ist doch kein Kinderstoff. Es sind gleichzeitig Filme, die sowohl ihre Protagonistinnen als auch das Publikum auf eine sehr empathische Art und Weise ernst nehmen.“

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Außerdem lässt sich beobachten, dass der internationale Kinder- und Jugendfilm immer diverser wird. Bei deutschen Jugendserien sind inzwischen durchaus internationale Einflüsse zu bemerken, wenn man an erfolgreiche Produktionen wie „Druck“ denkt, die der norwegischen Serie „Skam“ nachgeahmt ist.
Bei den größeren deutschen Produktionen fürs Kino ist dieser Input dagegen weniger zu spüren. Vielleicht sind sie beim Publikum hierzulande zu erfolgreich, um die Verantwortlichen Veränderungsdruck spüren zu lassen. Der wäre dem deutschen Kinderfilm allerdings zu wünschen.

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