Kinder von geschiedenen Eltern

"Meine größte Angst ist, dass mir das auch passiert"

30:04 Minuten
Kinder auf einer Couch zwischen streitenden Eltern
Kinder, die die Trennung ihrer Eltern bewusst erlebt haben, machen sich häufig selbst Vorwürfe. © Imago Stock & People
Von Teresa Sickert |
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Welche Spuren hinterlässt die Scheidung der eigenen Eltern? Drei Erwachsene sprechen über ihre Einstellungen zu Liebe und Partnerschaft. Eine Erkenntnis: Die Trennung der Eltern gehört zu den prägendsten Erfahrungen.
"Als meine Eltern sich getrennt haben, war ich 17, das war 1998 und das war tatsächlich eher eine schmutzige Angelegenheit, würde man, glaube ich, sagen."
Sebastian Ebel* ist ein Nachscheidungskind. So bezeichnet man Kinder, die die Scheidung ihrer Eltern bereits durchlebt haben.
"Die Trennung als solche war fast eher ne Erleichterung. Eher so, dass ich gedacht habe: Jetzt endlich macht ihr’s mal, wird ja jetzt auch mal Zeit."
1998, also in dem Jahr in dem sich Ebels Eltern trennten, sind 157.000 Minderjährige von einer Scheidung betroffen. Die Scheidungsrate in Deutschland geht in den folgenden Jahren einem historischen Höchststand entgegen.
"Tatsächlich war dann aber der Auslöser für die Trennung, dass mein Vater eine neue Beziehung hatte und diese Beziehung hat mich tatsächlich schwer geschockt, damit hatte ich nie gerechnet, weil ich nämlich diese Frau – die jetzt die neue Frau meines Vaters ist bis heute – sehr sehr gut kannte."

Langzeitstudie mit mehr als 60 Scheidungsfamilien

Und so ist die Erleichterung für Ebel nur von kurzer Dauer. Die schon lange unterkühlte Atmosphäre Zuhause kippt noch weiter, nachdem der Betrug des Vaters öffentlich wird.
"Da ging die Schlammschlacht tatsächlich richtig los. Natürlich weil meine Mutter tief verletzt war und das tatsächlich auch bis heute sogar noch ist, das merke ich immer wieder. Und da haben auch meine Eltern dann keinen Umgang mehr miteinander gefunden, konnten gar nicht mehr miteinander reden und eigentlich zieht sich das auch bis heute – dass die da keinen Umgang finden, nicht drüber reden konnten und da auch bis heute nicht drüber reden können."
"Ja, die Eltern spielen eine ganz wichtige Rolle dabei. Denn es ist ja deren Konfliktneigung, die die Kinder belastet und die auch zur Trennung führt. Und die müssen dann ja nach der Scheidung wieder zu einer Kooperation, insbesondere in Bezug auf die Betreuung des Kindes kommen. Das müssen sie dann irgendwie schaffen. Bleibt es bei einer konflikthaften Beziehung zwischen den beiden, gerät das Kind in Loyalitätskonflikte. Dann ist jetzt aus der Sicht des Kindes durch die Scheidung nicht viel gewonnen."
Ein Mädchen läuft ihrem Vater entgegen.
Manchen Töchtern, die ihre Väter nur selten sehen und alleine bei der Mutter aufwachsen, fehlt der Kontakt mit männlichen Rollenbildern.© Imago Stock & People
So der Scheidungsforscher Ulrich Schmidt-Denter. Er hat in den 90ern-Jahren eine Langzeitstudie mit über 60 Scheidungsfamilien gemacht. Von daher weiß der emeritierte Professor für Entwicklungs- und Erziehungspsychologie, dass gerade die Phase nach der Trennung entscheidend für Kinder und Jugendliche ist. Jetzt sollten die Eltern beispielhaft zeigen, wie eine Trennung bewältigt werden kann. Scheidungskindern geht es nämlich langfristig besser, wenn die Eltern nach der Scheidung kooperieren und Konfliktsituationen vermeiden. Und: Wenn die Familie wieder partnerschaftliche und intakte Beziehungen aufbaut.
"Die Verarbeitung des Trennungsgeschehens hängt natürlich auch davon ab wie die Eltern, insbesondere die Mutter, bei der die ja meistens leben, ihre weitere Beziehung gestaltet. Das heißt, ob sie alleinerziehend bleibt und die Tochter vielleicht nie so richtig ein Konzept entwickelt, ja was ist eigentlich ein Mann? Was sind Beziehungen zu einem Mann? Wie werden die gestaltet? Alles das beeinflusst das Konzept der Jugendlichen in Bezug auf Paarbeziehung."
"Was glaube ich für mich sehr schwierig war, jetzt im Nachhinein, war das Alter – gerade als Frau, wenn man dann nicht so regelmäßig mehr seinen Vater sieht. Weil mein Vater ist genau zu der Zeit gegangen, als ich Frau geworden bin und es ist auch ganz häufig so gewesen, dass es für ihn auch komisch war mich so als langsam Jugendliche, als Frau zu akzeptieren."
Emilia Zessens* Eltern trennten sich zwei Mal. Beim ersten Mal war sie zwölf, beim zweiten 15 Jahre alt. Dann blieb es bei der Trennung und die Mutter erst einmal allein. Der Vater hatte neue Frauen, war nicht mehr Teil des Alltags und Einzelkind Emilia wurde zum Partnerersatz für ihre Mutter.

Kinder fühlen sich für das Seelenheil der Eltern verantworltich

"Ich war dann auf einmal für die der Gesprächspartner und dann hat sie mir viel erzählt, wo ich im Nachhinein denke, dass es nicht so geil war, dass sie mir das alles erzählt hat: Dass sie sauer auf ihn ist, was sie ihm gegenüber alles empfindet – irgendwelche Details, die ich in dem Alter nicht gebraucht hätte."
Viele Scheidungskinder fühlen sich für das Seelenheil ihrer Eltern verantwortlich: Sie wollen stark sein und übernehmen nach der Scheidung die Rolle der Eltern. Und dann sind sie irgendwann selbst erwachsen – und leiden unter ihrer verpassten Kindheit.
Emotionaler Missbrauch ist das, wenn die Eltern die seelischen Pflegedienste ihrer Kinder in Anspruch nehmen, sagt die Berliner Psycho- und Paartherapeutin Miriam Junge. Manipulationen, Intrigen oder der Versuch das Kind auf eine Seite zu ziehen, können teilweise schwere Wunden verursachen. Sie zeigen sich später häufig in eigenen Verhaltensweisen im Erwachsenenalter.
"Und dann arbeite ich mit schematherapeutischen Interventionen. Was bedeutet, dass man versucht, dieses innere Kind zu sehen, das leidet. Das mit ganz großen traurigen Augen dasteht: Ich weiß nicht wieso, ich mich nicht entscheiden kann und ich fühle mich schuldig und diese Schuld spürt der Patient dann häufig im Erwachsenenalter – mit einer Eifersucht und Wut und einem Gemisch aus sehr explosiven Gefühlen, die überhaupt nicht einzuordnen sind. Und wenn man dann aber den Zusammenhang zu dem inneren Kind, das vielleicht vier, fünf, sechs Jahre alt ist, herstellen kann, dann ist es plötzlich ganz offen und zugänglich und meistens ist das dann der Moment, in dem der Patient emotional hier ist, bei mir ist. Und wir da daran arbeiten können und traurig sein können und nachbeeltern können und diesen Gefühlen Raum lassen können, damit sich das heute verändert."
"Er nahm etwas von mir, er nahm kleine Stücke von mir, kleine Stücke im Laufe der Zeit, so klein, dass ich es nicht bemerkt habe. Er wollte, dass ich etwas bin, das ich nicht war und ich machte mich zu dem, was er wollte. Ich log für ihn, gefährdete meine Karriere und stimmte einer Heirat zu und einen Ring zu tragen und eine Braut zu sein. Bis ich dort stand in einem Hochzeitskleid, ohne Augenbrauen und ich nicht mehr Christina Yang war. Und selbst dann hätte ich ihn geheiratet. Ich hatte mich lange verloren."


Damit die Liebe hält, verbiegt sich so manches Trennungskind für den Partner – so wie die toughe Ärztin Christina Yang, eine der Heldinnen von Grey's Anatomy. Die amerikanische Arztserie wurde mit mehreren Emmys und Golden Globes ausgezeichnet. Eigentlich geht es um die Beziehungsprobleme der Thirtysomethings. Die Serie ist seit über zehn Jahren ein Erfolg – auch in Deutschland. Wahrscheinlich, weil sie die Unsicherheiten der heutigen Zeit aufzeigt. Den Druck, der auf jungen Erwachsenen lastet: Du musst alles geben, du musst erfolgreich sein, flexibel, du musst dich im Griff haben. Für manche wird in so einer Situation die Beziehung zum Zuhause – für andere wird sie zum Gefängnis.
Die Schauspielerin Sandra Oh, die in der amerikanischen TV-Serie Grey s Anatomy die Ärztin Cristina Yang spielt. 
Die Schauspielerin Sandra Oh, die in der amerikanischen TV-Serie Grey s Anatomy die Ärztin Cristina Yang spielt. © imago/Cinema Publishers Collection
"Am Ende der Beziehung habe ich mich gefragt, wo bin ich denn geblieben bin in der Beziehung? Ich gehe viele Kompromisse ein und gehe dann auch den Konflikten aus dem Weg, weil ich selber die Situation nicht mag, dass es n Konflikt gibt und das liegt schon daran, weil ich einfach nicht das Vertrauen habe, dass diese Beziehung ewig hält. Und dann denke ich wahrscheinlich unterbewusst: Ich muss alles schön machen, alles richtig, dann hält’s."

Im Verborgenen wirkt die Scheidung der Eltern nach

Als Emilia Zessens Beziehung zerbricht, wird der heute 32-Jährigen klar: Das Gefühl von Schuld oder etwas schuldig zu sein, hat sie ihr Leben lang verfolgt. Auch wenn sie nach außen und vor sich selbst den Anschein erweckte: die Trennung der Eltern war gar nicht so schlimm.
"Also ich bin ja jetzt erst dabei, mit Anfang 30, das jetzt alles nach und nach aufzuarbeiten, was das mit mir gemacht hat und ich glaube, dass es einen ganz großen Einfluss auf mich hatte. Damals war es das Beste, was ich machen konnte, um damit umzugehen – es ist für mich nach wie vor immer der leichtere Weg stark zu sein und mich auf mich zu verlassen, als irgendwohin zu gehen und jemandem zu sagen, wie ich mich fühle. Das ist was, was ich jetzt erst wirklich lerne. Und es kam auch nie – interessanterweise nie – irgendjemand aus meiner Familie mal zu mir, auch Großeltern oder so und haben mal gefragt: Wie geht’s dir eigentlich damit?"
"Die meisten verklären ihre Vergangenheit häufig sehr positiv. Das war jetzt gut und das hab ich alles gut verkraftet und dann merkt man aber bei so kleinen kleinen Tönen doch, dass da noch sehr viel Trauer oder Verletzung oder Wut oder Angst oder alles Mögliche noch einmal verpackt wurde und eigentlich heute doch dysfunktional zeigt. Und dann wird das nochmal sehr speziell angeguckt und dann nach drei, vier Sitzungen kommt raus – ja war doch nicht so toll. Da kann man sich ja am Schluss doch noch mal damit versöhnen. Aber das hinterlässt Spuren. Eigentlich bei jedem."
Trauriger Mann verlässt Frau und Kind in zerrissenem Foto.
Ob Depressionen oder Burnout – die Trennung der Eltern kann psychische Folgen haben.© Imago Stock & People
Tatsächlich ist die Verarbeitung einer Scheidung für Kinder und Jugendliche eine lebenslange Aufgabe. Allein zwischen 1998 und 2004 betrifft das fast 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche. Zwar sind die Auswirkungen der elterlichen Trennung in den ersten Monaten am stärksten und lassen mit der Zeit immer mehr nach. Dennoch: die Scheidung ist für die Kinder eine kumulative Erfahrung. Bei späteren Entwicklungsaufgaben wird die Problematik immer wieder akut und die Folgen erneut und auf verschiedene Weise erlebt.
"Wenn man selber heiratet, aber auch bei Familienfesten, sagen wir mal man macht Abitur, gibt es schon wieder die Frage, lädt man den Vater, der vielleicht schon eine eigene Familie hat mit dazu ein oder nicht. Da kommt das Ganze wieder hoch. Oder wenn man dann in das Alter kommt, in dem die Eltern sich haben scheiden lassen vielleicht auch eine Krise erlebt."

Magenschmerzen, Sprachverlust, Depressionen

Die großen Lebensentscheidungen in den ersten drei Jahrzehnten nach der Trennung – wie der Eintritt ins Berufsleben, die Abnabelung vom Elternhaus und auch die eigene Partnerwahl – werden anders als bei Nicht-Scheidungskinder von diesen Prozessen überlagert. Ohnehin stehen heutige junge Erwachsene vor großen Herausforderungen: Der Wohlstand der Eltern lässt sich nicht mehr erreichen, Arbeitsverhältnisse sind unsicher und verlangen eine immer stärkere Mobilität und Flexibilität, Familien leben nur noch selten an einem Ort, um sich gegenseitig zu unterstützen. All das sind zusätzliche Belastungen für Beziehungen. Viele erwachsene Scheidungskinder kommen deshalb in einer späteren Lebensphase nicht oder schlechter zurecht, weil ihre Ressourcen bereits von den inneren Konflikten erschöpft sind. Mögliche Folgen: Depressionen, Anpassungs- oder Abgrenzungstörungen, Ängste, Panik oder auch körperliche Beschwerden.
"Menschen, die plötzlich im Hier und Jetzt eine große Angst haben verlassen zu werden oder aber auch eine Panik-Störung als eine Reaktion auf Stress oder berufliche Belastung, die dann das Ventil der Angst bekommt, da ist dann häufig die Ursache in frühkindlichen Trennungsschwierigkeiten.Man kann sich das so vorstellen, dass gesammelte Emotionen in einem drin sind. Die sind da, die gehen nicht raus und wenn man diese Gefühle nicht rauslässt durch Sprechen oder durch eine andere Problembewältigung, dann sammeln die sich an und finden ihr Ventil in einem psychischen Symptom."
Wenn es ums Loslassen geht, stellt das Scheidungskinder unter Umständen vor große Herausforderungen. Da ist die Kündigung durch den Arbeitgeber, ein Todesfall oder das Ende einer Beziehung und auf einmal kommt man nicht mehr klar – so gar nicht.
Ein Kloß im Hals, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Magenschmerzen, Sprachverlust, Depressionen, Rückzug, Burn-out, Interessenverlust.
Trotzdem werden Nachscheidungskinder nicht zwangsläufig unglückliche oder gescheiterte Erwachsene. Viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, sagt Psychotherapeutin Junge.
"Wie resilient der Mensch war, wie das Umfeld damals von dem einem Kind war, wie die Eltern damit umgegangen sind, ob es alleine war, ob es nicht alleine war, wie sehr es die Problematik verpackt hat und ne Bewältigung geschaffen hat mit Rückzug oder ich bin superstark, also eine Überkompensation(...)."
Wenn die Familie nach der Scheidung nicht völlig auseinander gebrochen ist, sondern ein Umgang immer noch möglich ist, kann das auch eine Chance sein.
"Ich finde halt: Es zeugt schon von viel Größe, wenn man einfach den Dingen seinen Lauf lässt, ohne dass jemand den anderen schlecht macht. Es war nie so, dass Mutti gesagt hat ´Oh Papa und hier und da und das geht gar nicht.` Und Papa hat auch nie Mutti schlecht gemacht, also es war immer immer freundlich, lieb und nett. Keiner hat irgendwen schlecht dargestellt, keiner hat irgendwem verboten irgendwen zu sehen, wenn wir zu Papa wollten, durften wir das machen. Wenn wir keine Lust hatten, war auch keiner böse. (...) Also es war halt eigentlich alles wie vorher. Nur nicht mehr in einer Wohnung."

Kooperative Eltern machen es ihren Kindern leichter

Dana Kaselows Eltern trennten sich als sie 14 war – ohne Rosenkrieg, ohne Intrigen und ohne Gezerre an den zwei gemeinsamen Kindern. Dana Kaselow bleibt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach der Trennung in der alten Wohnung, geht weiter auf dieselbe Schule, Freunde und Umfeld bleiben gleich. Die neue Wohnung des Vaters kann sie zu Fuß erreichen. Als Jugendliche war Kaselow eine Zeit lang verzweifelt und später eifersüchtig auf die neuen Partner ihrer Eltern. Heute ist die 29-Jährige selbst verheiratet. Und die gesamte Familie glücklich mit der neuen Konstellation.
"Mutti hat ja nochmal geheiratet, da war mein Papa mit seiner Freundin auch zur Hochzeit. Zu meiner eigenen Hochzeit haben sie sogar zusammen in einer Finca geschlafen. Also irgendwie zeigt all das, dass das vielleicht die richtige Entscheidung damals war. Sie sind beide glücklich. Jeder hat einen neuen Partner mit dem man glücklich ist, zufrieden. Daher glaube ich, dass das schon alles alles gut so war.
Ich habe Respekt davor, wie die beiden miteinander trotz dieser Trennung umgegangen sind und ob ich das selber könnte, wenn ich irgendwann mal in so eine Situation bin. Das weiß ich nicht ob das so… Also ich finde es bewundernswert. Und ich glaube daraus könnte ich lernen, falls ich jemals in so eine Situation kommen sollte. Also ich würde auf jeden Fall Mutti und Papa zu Rate ziehen und um Rat fragen, wie die das damals so hinbekommen haben."

Scheidung der Eltern beeinflusst das eigene Bindungskonzept

Viele Scheidungskinder haben nicht das Glück wie Dana Kaselow, dass sich die Eltern nach der Scheidung immer noch verstehen. Häufig wechselt auch das Umfeld. Emilia Zessen sucht sich einen Ersatz für die zerbrochene Familie. Kurz nach der Trennung der Eltern – mit 15 Jahren – hat sie ihren ersten festen Freund.
"…der hatte eben Zuhause noch das komplett konträre Familienbild. Da war wirklich noch die Welt in Ordnung: Die Eltern zusammen, noch ne Schwester und dann hab ich da unglaublich viel Zeit verbracht. Und im Nachhinein weiß ich auch, ich habe da so meine kleine Familie gefunden, die ich dann in meiner eigenen eben nicht mehr hatte."
"Ja es hat sich gezeigt, dass insbesondere bei den Mädchen das Interesse an heterosexuellen Beziehungen früher ist als bei Mädchen aus vollständigen Familien, dass sie auch häufigere Partnerwechsel haben, aber später heiraten als Mädchen aus vollständigen Familien. Da sieht man schon eine gewisse Verunsicherung des Bindungskonzeptes."
Stellt Scheidungsforscher Ulrich Schmidt-Denter fest.
Grey's Anatomy: "Denn was, wenn du lernst, dass du Liebe brauchst und dann hast du sie nicht. Was, wenn es dir gefällt und du dich auf sie verlässt. Was, wenn du dein Leben um sie herum formst und es dann... auseinanderfällt. Kannst du diesen Schmerz überhaupt überleben? Die Liebe zu verlieren, ist wie ein Organschaden. Es ist wie Sterben. Der einzige Unterschied ist: Der Tod endet... aber das – kann ewig weitergehen."
Meredith Grey ist die Hauptfigur aus Grey's Anatomy. Eine Ärztin und ein Trennungskind, das mit der Liebe hadert. Die Gefühle, die die Serienheldin beschreibt, scheinen viele Jugendliche aus Scheidungsfamilien zu kennen. Der Schmerz über den Verlust sitzt auch bei Emilia Zessen tief.

Angst, dieselben Fehler zu machen

"Wovor hast du Angst?"
"Boah, ich hab’s die ganze Zeit nicht geschafft zu heulen. Die größte Angst eigentlich die, die ich hätte in dem Zusammenhang, ist, dass ich auch einen Partner hab, mit dem ich lange zusammen bin, wir heiraten, Kinder kriegen und denen das dann auch passiert.
Wahrscheinlich sind es solche Ängste, die viele Scheidungskinder davon abhalten tiefe und verbindliche Beziehungen einzugehen. Warum sie weglaufen, bevor es zu schmerzhaft werden könnte. Es fehlt an positiven Beziehungsvorbildern. Und die inneren Vorstellungen davon, wie Bindungen und Beziehungen funktionieren, werden schon im Kindesalter geprägt. Sie wirken ein Leben lang und nehmen Einfluss auf die spätere Gestaltung von sozialen Beziehungen.
"Ich hab tatsächlich auch meinen Vater mal gefragt, ward ihr am Anfang eigentlich glücklich. Und da hat er mir die erschreckende Antwort gegeben: Eigentlich so richtig glücklich waren wir nie. (…) Das ist auch ein Punkt, den ich auch erst lernen musste in Beziehungen, dass man nett und liebevoll miteinander umgeht und das auch aktiv macht und sich auch mal nette Dinge sagt und sich eher bestätigt. Das hab ich tatsächlich nicht so von meinen Eltern gelernt und vorgelebt bekommen."
Lieblose Beziehungen gibt es natürlich auch ohne, dass es zu einer Trennung kommt – auch sie sind für die betroffenen Kinder belastend. Trotzdem erscheint es kaum verwunderlich, dass Sebastian Ebel, bei der Frage danach, was Liebe für ihn bedeutet, Don Draper zitiert – den Kreativdirektor einer Werbefirma aus der Serie Mad Men.
"Du meinst Liebe. Du meinst den großen Blitz ins Herz, wo du nicht essen kannst und du kannst nicht arbeiten und du gehst einfach weg und heiratest und machst Babys. Der Grund, warum du es nicht gefühlt hast, ist, weil es nicht existiert. Was du Liebe nennst, wurde von Typen wie mir erfunden, um Feinstrümpfe zu verkaufen. Du bist alleine geboren und du stirbst alleine und diese Welt überschüttet Dich mit Regeln, damit du diese Tatsachen vergisst."
"Hm. Ähm. Also Don Draper aus Mad Men sagt ja Liebe haben Leute wie er erfunden, um Damenstrumpfhosen zu verkaufen – zu dem Begriff Liebe hat sich meine Einstellung auch ein bisschen verändert. Auch da analog zu dem Begriff der Ehe habe ich in den 20ern eher gedacht, das gibt’s eigentlich gar nicht. Das ist schon auch irgendwie so’n Konstrukt, was sich die Gesellschaft ausgedacht hat. Tatsächlich kommt es wirklich aus so ner romantischen Vorstellung, weiß ich nicht, aber auf jeden Fall, was was sich Menschen irgendwie ausgedacht haben. Ich glaube Liebe ist eigentlich für mich so ne besondere Zuneigung zu einem Menschen, die sehr sehr stark ausgeprägt ist. Das ist glaube ich für mich Liebe. Gott, das hört sich sehr technisch an. Aber irgendwie ja so."
Sebastian Ebel ist 36 und lebt in einer festen Partnerschaft ohne Kinder. Noch vor ein paar Jahren konnte er sich nicht vorstellen auch einmal zu heiraten.
"Und ich versteh auch mittlerweile, dass es irgendwie ein ganz nettes Versprechen ist, was man sich geben kann und das ist auch okay so. Das kann ich mittlerweile mehr nachvollziehen, wobei es auch wirklich nicht mehr die Sicherheit hat, die es früher mal hatte - wenn man es einmal macht, dann bleibt man bis zum Lebensende zusammen. Das ist ja nicht mehr so. Glaube ich trotzdem, dass diese Eheversprechen in irgendeiner Form einem schon Sicherheit gibt und es die Trennung erschwert."

Scheidungskinder lassen sich häufiger scheiden

Aufgrund ihrer Erfahrungen sehen erwachsene Scheidungskinder viel eher die Lösung von Beziehungsproblemen in einer Trennung, beziehungsweise Scheidung, als Menschen aus zusammenlebenden Kernfamilien. Frauen, die als Scheidungskinder aufgewachsen sind, lassen sich fast doppelt so häufig nach 20 Jahren Ehe scheiden – insgesamt etwa 28 Prozent. Bei Männern erhöht sich diese Wahrscheinlichkeit sogar um mehr als das Doppelte: Die Scheidungsrate beträgt bei ihnen nahezu 48 Prozent und bei Männern aus vollständigen Familien knapp 16.
"Man sollte keine Ehe mit dem Versprechen eingehen: Man bleibt, koste es was es wolle, bis zum Tod zusammen. Weil da leiden einfach alle nur drunter."
Aber was ist die Lösung? Scheidungsforscher Schmidt-Denter.
"Man weiß aus der Scheidungsforschung, aus der Familienpsychologie, dass Partner mit einem verunsicherten Bindungskonzept eine höhere Scheidungsrate aufweisen. Betrifft insbesondere solche Beziehungen, in denen beide einen verunsichertes Bildungskonzept haben. Man könnte also scherzhaft sagen, wenn man selber schon eins hat als Scheidungskind, sollte man einen bindungssicheren Partner oder eine bindungsichere Partnerin wählen."

Paar mit einem Ehevertrag.
"Man sollte keine Ehe mit dem Versprechen eingehen: Man bleibt, koste es was es wolle."© picture alliance/dpa/Foto: Ulrich Baumgarten

Romantiker, Realist, Pessimist?

Gar nicht so einfach für die Generation der Scheidungskinder um die Jahrtausendwende. Die Scheidungsquote betrug damals knapp 50 Prozent. Scheidungen gehören damit bis heute zur gesellschaftlichen Normalität und gerade den Scheidungskindern ist klar: Das kann mir auch passieren. Aber, man kann es auch besser machen, findet Sebastian Ebel.
"Sie haben uns ein bisschen gegeneinander ausgespielt, uns auch benutzt um den anderen zu verletzen. Gar nicht so im Großen, aber viele kleine Sachen halt. Vielleicht war es sogar ein bisschen so, dass sie dann diese Trennung als solche zu wenig mit uns besprochen haben. Sondern uns da auch so vor vollendete Tatsachen gestellt haben. Und ich glaube jetzt so im Nachhinein, würde ich sagen, man kann die Kinder da – wir waren da ja auch schon älter –mehr miteinbeziehen. Und das haben sie nicht gemacht. Natürlich ist es auch so, es gibt da natürlich nicht den perfekten Weg und den Königsweg und jeder, der sowas durchlebt, macht wahrscheinlich Fehler – aber sicherlich geht es besser, als meine Eltern es gemacht haben."
Miriam Junge beobachtet seit einigen Jahren in ihrer Praxis, dass Paare in ihren 30ern wieder an ihren Beziehungen arbeiten wollen – nach einer längeren Phase der Unverbindlichkeit, getrieben durch oberflächliche Dating-Apps.
"Das ist sicherlich auch durch diesen Tinder-Trend. Ist da irgendwie ein großer Aufruhr plötzlich entstanden. Also, oh Gott, das wollen wir alles eigentlich gar nicht. Der Trend geht auf jeden Fall wieder zurück Richtung 'ich möchte langfristige Beziehungen'."
Die exklusive Liebesbeziehung ist immer noch ein Ideal. Mit dem Unterschied, dass man früher so eine Liebesbeziehung nur in Form der Ehe ausleben konnte. Das ist heute anders. Lieben geht auch ohne Trauschein. Aber vielleicht sind die Scheidungskinder skeptischer gegenüber der Ehe, weil sie Angst davor haben, das Versprechen "bis das der Tod uns scheidet" nicht einhalten zu können. Die Ehe ist entzaubert. Sie haben ja auch ständig ihr Scheitern in der eigenen Familie, bei Freunden und Bekannten erlebt. So oft wie keine andere Generation zuvor.
"Na wenn man sich viel damit auseinandersetzt und dann auch jetzt wenn die Eltern nicht mehr zusammen sind, da geht natürlich viel Romantik flöten. Ich glaube aber, dass es nicht nur Abgeklärtheit ist, sondern dass es der Versuch ist, einen Weg zu finden zu nem Partner, der jetzt nicht perfekt sein muss. Man darf halt nicht erwarten, dass alles perfekt ist und der Himmel voller Geigen und es ist total n Drama, wenn was passiert. Natürlich ist es im ersten Moment ein Drama. Aber ich finde, wenn einem ein Mensch wichtig ist und wenn man meint, das ist jetzt derjenige für mich, dann sollte man versuchen andere Wege einzuschlagen."

Sensibilisiert für Schieflagen

Der Umgang mit der Angst, dass die Liebe vergeht, ist nicht einfach und die Verarbeitungsstrategien sind vielfältig und individuell, sagt Paartherapeutin Junge. Es gibt die Beziehungs-Romantiker, die die Augen verschließen und um jeden Preis mit ihrem Partner zusammen bleiben wollen. Es gibt aber auch die Pessimisten, die sehr misstrauisch sind, sich ungern einlassen oder gar Beziehungsangst haben. Und: Es gibt die Realisten.
"...die sagen okay ne Beziehung ist, auch wenn meine Eltern sich haben scheiden lassen, die Möglichkeit besteht, dass ich mich scheiden lasse, aber ich versuche, da realistisch ranzugehen und nicht die großen romantischen Erwartungen zu haben. Denn ich bin auf jeden Fall der Meinung, dass Romantik für eine langfristige Ehe immer schlecht ist, denn wir können nicht romantisch unseren Soulmate finden und in den Kopf der anderen gucken, das bedeutet immer Arbeit. Und sich einlassen und sich auf Krisen einlassen und Konflikte lösen – durch häufig Hilfe oder eben durch Selbstreflexion."

"Natürlich habe ich Angst davor, dass Liebe vergeht. Wie geht man dann damit um? Was macht man dann, wenn die Liebe nicht mehr da ist? Weil dann muss man ja irgendwie ne Entscheidung treffen. Da hab ich auf jeden Fall Angst vor, weil ich weiß, das macht halt keinen Spaß. Das ist auf jeden Fall unschön. Deswegen bin ich was sowas betrifft eher unbedarft und stürze mich eher in so bindungsschaffende Maßnahmen. Also wir haben uns jetzt n Auto gekauft zusammen, sowas halt. Und ich bin mit meiner neuen Freundin auch relativ schnell zusammengezogen oder da denke mir eher: So, komm ich mach das jetzt halt, weil ich Bock drauf habe und hab das Gefühl, es passt jetzt in dem Moment und das würde ne Trennung viel schwieriger machen, weil wir jetzt zusammen wohnen, jetzt haben wir uns auch noch n Auto gekauft, wir haben zusammen n‘ Garten. Wir müssten jetzt schon, obwohl wir erst zwei Jahre zusammen sind… wir bräuchten eigentlich n Scheidungsanwalt, wenn wir uns trennen, aber das ist mir egal. Vielleicht versuche ich sie zu halten mit teuren Anschaffungen, weil sie damit drin steckt und dann kommt sie da nicht mehr raus."

Lebenslange Liebe ist möglich

Lebenslange Liebe und eine erfüllte Partnerschaft sind auch für erwachsene Nachscheidungskinder möglich – wenn sie es schaffen, einen realistischen Blick auf die Beziehung ihrer Eltern, auf sich selbst und ihre eigenen Partnerschaften zu entwickeln. Der Weg dahin ist mitunter beschwerlich, aber es lohnt sich. Dana Kaselow und Sebastian Ebel glauben nicht vor Trennungen geschützt zu sein, wohl aber sensibilisiert für Schieflagen in ihren Beziehungen. Vielleicht sind die Scheidungskinder der Jahrtausendwende, die hoffnungsvollen Beziehungsrealisten der Gegenwart, die aus den Fehlern ihrer Eltern gelernt haben.
"Klar guckt man zumindest immer mit so ner Brille auf seine eigenen Beziehungen, die man hat. Ich glaube, ich wäre sensibilisierter darauf als meine Eltern. Tatsächlich kommen die auch noch aus einer anderen Generation und hatten selber sozusagen keine Scheidungsvorbilder, haben das selber noch nie erlebt und ich glaube, wenn man als Kind oder Jugendlicher sowas schon mal mitgemacht hat, dann ist man da wahrscheinlich sensibilisiert – würde ich jetzt mal behaupten."
"Also ich hoffe natürlich nicht, dass es bei mir zu einer Trennung kommt. Aber ich glaube dadurch, dass ich selbst Scheidungskind bin, könnte ich damit leichter umgehen. Also ich weiß, dass es das gibt. Und ich glaube, man würde damit auch irgendwie klar kommen."

(*) Name geändert.
Sie hören eine Wiederholung vom 2. Oktober 2017.
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