Kinderarbeit auf YouTube?

1383 Filme als Siebenjähriger im Netz

Screenshot eines Videos des YouTube-Kanals "Swan The Voice - Néo & Swan". Der siebenjährigen Swan sitzt strahlend auf dem Sofa.
Screenshot eines Videos des YouTube-Kanals "Swan The Voice - Néo & Swan" © www.youtube.com
Von Suzanne Krause |
YouTube-Stars werden immer jünger: Mit sieben Jahren hat Swan in Frankreich schon 3,6 Millionen Abonnenten. Seine Mutter filmt ihn und Bruder Néo jede Woche und streicht so fünfstellige Werbeerlöse ein. "Illegale Kinderarbeit", sagen Kritiker.
Ein kleines Mädchen sitzt in ihrem Bett. Sie hat Locken wie Rapunzel und ruft etwas zum Hahn im Nachbargarten. Sein lautes Krähen habe sie aus ihrem Traum gerissen. Das Mädchen ist 11 Jahre alt und nennt sich auf YouTube "Mademoiselle Sabina". Jede Woche stellt sie Videos mit Ihren Gedanken im Kinderzimmer online und hat damit rund 800.000 Abonnenten.
Auch die kleine Kalys ist eine YouTube-Bekanntheit. Zehn Jahre jung und regelmäßig auf dem Kanal "Studio Bubble Tea" zu sehen. Stolz rührt sie Flüssigkeit aus einer Tube zu einer Art Glibberschleim. Dezent ist der Markenname des Produktes ins Bild gerückt. Der YouTube-Kanal der 10-Jährigen hat 1,4 Millionen Abonnenten.
Noch mehr hat der Siebenjährige Swan. Sein Kanal "Swan The Voice" hat auf YouTube 3,6 Millionen junge Abonnenten. Die schauen sich dann Videos an, auf denen der Siebenjährige mit seinem größeren Bruder Néo neues, trendiges Marken-Spielzeug auspackt. Gefilmt und lautstark choreografiert von der Mama.

1383 Internet-Clips über Siebenjährigen

Swan, Kalys, Mademoiselle Sabina und andere Kinder sind mit solchen Videos in Frankreich zu YouTube-Stars geworden. Sie investieren viel Zeit, laden jede Woche neue Clips ins Internet und erzielen so größere Summen an Werberlösen.
Diese Entwicklung verfolgt seit einem Jahr der Mittvierziger Thomas Rohmer. Er ist Gründer des 'Observatoire de la parentalité et de l'éducation numérique', der sogenannten 'Beobachtungsstelle für Elternschaft und digitale Erziehung'. Der französische Verein müht sich, Kinder im virtuellen Raum zu schützen. Per Mausklick lässt der Aktivist die jüngsten Clips Revue passieren.
"Die Zahl der sogenannten 'Unboxing-Videos' auf YouTube steigt rasant. Zumeist stammen die Clips von Eltern, die ihre Sprösslinge dabei filmen, wie die Geschenke auspacken und Spielzeug, das ihnen Markenhersteller zukommen lassen. Oder es geht um Esswaren, häufig Junkfood, für das die Kinder unter x-beliebigem Vorwand Werbung machen. Sie wenden sich an Gleichaltrige – die sich dann stundenlang einen Clip nach dem anderen anschauen."
YouTube-Promis wie der siebenjährige Swan und sein 13-jähriger Bruder Néo machen das seit knapp vier Jahren: Im April 2015 postete ihre Mutter Stéphanie erstmals ein von ihr gedrehtes Video. Darin tummeln sich Néo und Swan in Freizeitparks, testen Buntstifte und Kaugummis oder versorgen sich im namentlich genannten Laden mit Schulheften. Ein kommerzieller Erfolg: 3,5 Millionen Abonnenten und knapp drei Milliarden Klicks. Dafür hat die Mutter 1383 Filmchen hochgeladen. Zu viele, kritisiert der Kinderschutz-Aktivist Rohmer.
"Im Familienkanal von Néo und Swan erscheinen pro Woche im Schnitt sieben bis acht neue Videos. Da erscheint es uns vom Kinderschutzverein angemessen, zu behaupten, dass die beiden Jungs kein normales Leben mehr führen können."

Französisches Arbeitsrecht gilt auch auf YouTube

Die ständigen Dreharbeiten ließen den minderjährigen Akteuren kaum noch echte Freizeit, fürchtet Thomas Rohmer. Deshalb hat er sich kürzlich an die Staatsanwaltschaft in Paris gewandt: Sie möge ermitteln, ob diese Videos auf illegaler Kinderarbeit basieren. Rohmers Anliegen: Die Bestimmungen für die Beschäftigung von Minderjährigen in künstlerischen Bereichen auf das Internet auszudehnen. Insbesondere auf die Familienkanäle auf YouTube. Juristisch unterstützt wird der Aktivist von Christine Aubague. Die Pariser Anwältin erklärt, was das französische Arbeitsrecht bei der Beschäftigung von unter 16-Jährigen vorschreibt.
"Unabdingbar ist eine Genehmigung der Regionalstelle des Arbeitsministeriums. Erlaubt sind zwei Stunden Arbeit pro Tag, ein Wochenendeinsatz ist verboten. Das Entgelt muss auf einem Sperrkonto deponiert werden, erst mit 18 darf der Kontoinhaber über sein Geld verfügen."
Die Staatsanwaltschaft hat sich zum juristischen Vorstoß des Kinderschutz-Vereins noch nicht geäußert. Dafür aber hat das Arbeitsministerium in Paris im Dezember eine Untersuchung der Arbeitsbedingungen für Minderjährige in YouTube-Videos angekündigt – um, falls nötig, rechtlich nachzubessern.
In den sozialen Medien wurde speziell Mutter Stéphanie harsch dafür kritisiert, ihre Söhne alle Nase lang vor die Kamera zu zerren. Ein Vorwurf, den die Französin weit von sich weist: die "harte Videoarbeit", die hätten ihr Mann und sie, Néo und Swan hingegen 'den ganzen Spaß'. Das behauptet auch ihr 13-Jähriger Sohn in einem Clip.
"Hallo, hier ist Néo. Auf YouTube sind Videos zu sehen, in denen es heißt, meine Mutter würde mich ausbeuten und sich an mir bereichern. Dabei habe ich bei den Drehs viel Spaß, den möchte ich mit meinen Fans teilen!"

Vermarktung der Kinder mit Bastelbuch und Zeitschriften

Ab einer gewissen Klickzahl erhalten die YouTuber von der Internetplattform Google bare Münze. Wie viel genau, bleibt gut gehütetes Geheimnis. Laut Schätzungen von Experten kommen die beliebtesten Familienkanäle auf 10.000 bis 50.000 Euro – pro Monat. Da haben dann die Eltern ihren herkömmlichen Job an den Nagel gehängt, um sich ganz der Vermarktung der vorgeblichen Familienidylle zu widmen.
Dafür haben sie eigens eine Firma gegründet und sich die Markennamen sichern lassen. Ihr Ziel: eine wirtschaftliche Diversifizierung. Von Néo und Swan sind bislang ein Bastelbuch und zwei Zeitschriften erschienen. Der Vater von Kalys, der Elfjährigen mit dem Glibberschleim, setzt auf eine eigene Spielzeugmarke. All das bekräftigt den Kinderschutz-Aktivisten Rohmer in seinem Verdacht, es mit illegaler Kinderarbeit zu tun zu haben.
"Wenn ich mit meinen Töchtern in der Freizeit Tretroller fahren möchte, brauche ich doch dafür keine Firma zu gründen. Da decken die Familienkanäle die Bigotterie der Eltern auf, die nicht zugeben wollen, dass es sich dabei um eine wirtschaftliche Aktivität handelt. Wir verlangen nicht, solche Clips zu verbieten, sondern: Regelungen zum besseren Schutz der Kinder beim Dreh."
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