Kinderbuch

Krieg im Kinderzimmer

Lesende Kinder in einer Matratzenlandschaft auf der Kinder- und Jugendbuchmesse (KIBUM) in Oldenburg
Shaun Tans Zeichnungen sind alles andere als niedlich. © picture-alliance / dpa / Ingo Wagner
Von Sylvia Schwab |
Der Australier Shaun Tan ist einer der besten Buchillustratoren. Jetzt ist wieder ein Werk von ihm erschienen: über die Regeln, die unser Leben bestimmen, als Geschwister oder Freunde. Das Ziel ist die Versöhnung.
Bilderbücher sind Bücher für kleine Kinder, die noch nicht lesen können und darum schöne, kindgerechte Bilder brauchen. Wer dem zustimmt, wird Shaun Tans neues Bilderbuch als pure Provokation ansehen.
Auf dem Titelbild stehen in einem glühend heißen Feld zwei Jungen - ein kleiner und ein großer- und beängstigender Dinosaurier aus Blech, eine Tier-Maschine. Der kleinere hat sich einen riesigen roten Roboterhelm über den Kopf gestülpt. Schrott liegt herum, der Himmel ist düster, am rechten Bildrand schickt ein Fabrikschlot dreckige Dämpfe in die Luft. Ein apokalyptisches, bedrückendes Szenario.
Bunte Landschaft aus Obst
Und ähnlich geht es weiter: Auf einer leeren Dachterrasse verstecken sich die beiden Jungen vor einem hausgroßen Hasen mit stechendem Blick. Eine riesige Explosion erschüttert ein leeres Wohngebiet und beängstigende Blechfiguren treiben ihr Unwesen auf Straßen und Plätzen. Schrecken, Gefahr, vielleicht Krieg liegen in der Luft. Doch die letzten Bilder werden versöhnlicher: Der Große radelt durch die nächtliche Einsamkeit, um den Kleinen aus einem schwarzen Gefängnis zu befreien. Am Schluss tanzen die beiden Brüder mit Pauke und Trompete vor einer bunten Landschaft aus Obst.
Shaun Tans Bilder sind surreal, mal deprimierend eintönig, dann wieder feuerrot-gefährlich in den Farben, dramatisch und vor allem erschreckend. Bis sich die Spannung schließlich in fröhlichen Farben und gemütlicher Gemeinsamkeit auflöst. Wuchtig sind die Pinselstriche, die Farbflächen sind förmlich be-greifbar. Der Text dazu ist äußerst sparsam. Ein Satz pro Doppelseite, manchmal gar keiner. Das Buch beginnt mit: "Also das habe ich im letzten Sommer gelernt." Und es folgen Statements wie "Nie eine rote Socke auf einer Wäscheleine hängen lassen".
Großartig inszeniert
Erst nach mehrmaligem Durchblättern erschließt sich die Geschichte der zwei Brüder, die sich den ganzen Sommer über so schlimm streiten, dass sich in dem kleineren die Aufregung und die Ängste zu alptraumhaften Bildern zusammenballen. Dazu kommen Schuldgefühle; hat er doch ein Glas fallen oder eine Haustür offen stehen lassen und eine Schnecke zertreten. Das Ausmaß der Angst steht zwar für Erwachsene in keinem Verhältnis zum Anlass, aber Kinder werden sie unmittelbar nach- und mitfühlen.
"Die Regeln des Sommers" sind streng, manchmal abstrakt und unverständlich: Der Große hat sie autoritär aufgestellt, der Kleine hat sie - bewusst oder aus Versehen - übertreten. Dafür muss er leiden. Gerecht ist das nicht. Schön erst recht nicht. Aber großartig inszeniert. Selten hat jemand so eindrücklich vom kleinen (und großen) Krieg, vom Recht des Stärkeren und der Abhängigkeit des Schwachen erzählt wie Shaun Tan. Umso befreiender ist der Schluss mit der brüderlichen Versöhnung, weil der Streit zuvor so schrecklich war.

Shaun Tan: Die Regeln des Sommers
Aus dem Englischen von Eike Schönfeld
Aladin Verlag, Hamburg 2014
48 Seiten, 19,90 Euro