Shitstorm wegen Kinderbuch
Die Komikerin Anke Engelke hat mit ihrem Kinderbuch "Die neue Häschenschule" Landwirte gegen sich aufgebracht. © picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt
Landwirte gegen Anke Engelke
Der Fuchs ist Veganer, der Bauer böse: Anke Engelke hat den Kinderbuch-Klassiker "Die Häschenschule" neu interpretiert. Landwirte sind empört über die Version. Warum die Kritik an neuen Perspektiven in Kinderbüchern nichts Neues ist – ein Überblick.
Der zeitlose Klassiker „Die Häschenschule“ feiert 2024 sein 100-jähriges Jubiläum. Albert Sixtus' gereimte Geschichte erzählt vom Schulalltag der Hasengeschwister Hans und Grete. Ihr Lehrer unterrichtet sie unter anderem in Möhrenkunde und Ostereier bemalen. Er warnt sie außerdem vor dem bösen Fuchs, die klare Lektion: nicht mit Fremden mitgehen. Anlässlich des Jubiläums hat die Komikerin Anke Engelke die beliebte Geschichte modernisiert - und damit einen regelrechten Shitstorm ausgelöst. Die Hintergründe.
Worum geht es in Anke Engelkes "Die neue Häschenschule"?
In „Die neue Häschenschule“ reimt und interpretiert Engelke den beliebten Klassiker neu. Sie will damit „alte Rollenbilder ins Wanken“ bringen, wie sie selbst auf ihrer Webseite schreibt. Die Zeichnungen sind von Mareike Ammersken.
In Engelkes Version ist die Hauptfigur das Hasenmädchen Hoppich. Ihr Bruder Peter bleibt nur eine Nebenfigur der Geschichte. In der Häschenschule sitzt dieses Mal ein neuer und außergewöhnlicher Mitschüler neben den vielen kleinen Hasen: ein Fuchsjunge. Er ist Veganer und liebt Möhren über alles.
Hoppich und ihre Mitschüler merken schnell: Es geht keine Gefahr von dem Fuchsjungen aus. Sie überwinden ihre Vorurteile und freunden sich mit dem Fuchs an.
Anke Engelke bricht damit die Feindschaft zwischen Fuchs und Hase auf. Stattdessen geht die Gefahr für die Häschen in der neuen Version der Geschichte vom Menschen aus – und zwar vom Bauern. Dieser sprüht Gift auf sein Feld, zermalmt kleine Tiere mit seinem Mähdrescher. Am Ende rettet der kleine Fuchs das Hasenmädchen Hoppich vor der gefährlichen Maschine.
Wie äußert sich die Kritik an Engelkes Kinderbuch?
Dass Landwirte in der Neuauflage der Häschenschule als große Feinde der Häschen dargestellt werden, löst Empörung aus - vor allem unter Landwirten. Sie empfinden die Gegenüberstellung von „gutem“ Veganer und „bösem“ Bauern als eine unfaire Darstellung ihrer Arbeit. Hinzu kommt, dass viele Landwirte bereits aufgrund der geplanten Subventionskürzungen aufgebracht sind und seit Wochen protestieren.
Das Bayerische Landwirtschaftliche Wochenblatt kritisiert Anke Engelke scharf in mehreren Artikeln. In der Neuauflage würden Kinder lernen: „Bauern vergiften die Umwelt, Jäger schießen süße Tiere tot und Mähdrescher sind gefährliches Teufelszeug.“
Der Wochenblatt-Redakteur Gerd Kreibisch hat sogar mit einem Gedicht auf Anke Engelkes Buch geantwortet. Ein Auszug des Gedichts: „Ach Anke, darf ich Dich mal stören? Wer macht denn eigentlich die Möhren? Ich sag es Dir, dann bist Du schlauer: Auch die Möhren macht der Bauer.“
Auf der Facebook-Seite der Komikerin sammelt sich unter einem ihrer Posts die Kritik an dem neuen Kinderbuch. Einige Nutzer werfen ihr Indoktrination vor, sie sorge für „Volksverblödung“, sei ein „Systemling“ und führe Kinder „in die Irre“. Ein anderer Nutzer schreibt: „Darum AfD!!! Nie wieder, ist jetzt schon wieder!!! Dank auch Ihnen, Frau Engelke.“ Doch es gibt auch zahlreiche positive Kommentare, die die Neuversion des Klassikers loben.
Auch aus rechten Kreisen wird Engelke zunehmend kritisiert. So wurde etwa auf dem rechtslastigen Blog "Ansage“ ein Artikel veröffentlicht, der Engelke Kinderbuchpropaganda und Anti-Bauern-Stimmungsmache vorwirft. Der rechtspopulistische „Deutschland-Kurier“ bezeichnet Anke Engelkes Buch als „Hetze gegen Bauern und Fleischesser“.
Wie reagiert die Komikerin auf den Shitstorm?
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erzählt Engelke, dem Thienemann-Esslinger Verlag sei wichtig gewesen, dass es in der neuen Version auch eine Gefahr oder einen Konflikt gebe. „Also haben wir entschieden, die frische Freundschaft von Hase und Fuchs ins Gefahrenzentrum zu packen. Der Schrecken ist jetzt eine große Mähmaschine“, so Engelke.
Auf die mögliche Kritik von Seiten der Landwirte sagte die Komikerin: „Ich möchte den Kindern auch nicht das Bild nehmen, dass es schön wäre, später Bauer zu werden. Aber den Menschen zum Buhmann zu machen, das musste ich für die Geschichte in Kauf nehmen.“
Sie wolle den Kindern zeigen, dass Menschen viel falsch machen und dass man sich überlegen müsse, wie man es in Zukunft anders machen könne. Das Buch biete keine Lösungen, aber rege zu Gespräche an. Anke Engelke isst genauso wie der Fuchs in der Geschichte - vegan. Das hat sie vergangenes Jahr im Podcast "Feelings" von Komiker Kurt Krömer erzählt.
Gab es in der Vergangenheit ähnliche Shitstorms gegen Kinderbücher?
Der Shitstorm gegen Anke Engelkes Neuversion der Häschenschule ist kein Einzelfall. Auch ein anderes Buch über Landwirtschaft sorgte für Empörung: „Das wahre Leben der Bauernhoftiere“ von Lena Zeise. Erschienen ist es im Klett-Kinderbuch-Verlag. Dort hat man inzwischen einschlägige Erfahrungen mit Shitstorms gesammelt. Auch das Buch „Die besten Weltuntergänge“ von der Autorin Andrea Paluch und der Illustratorin Annebelle von Sperber wurde zur Zielscheibe teils unterirdischer Kritik. Die Kritik kam dabei vor allem aus den rechten Kreisen.
Paluch entwirft dabei zwölf Zukunftsbilder - hoffnungsvolle, aber auch düstere Szenarien. Das reicht von einer Welt ohne Autos über die Pandemie und Dürrekatastrophen bis hin zum Leben auf Raumschiffen im Weltall. Die Geschichten mit den Illustrationen sollen kindgerecht zum Nachdenken anregen.
Das Buch ist schon zwei Jahre alt. Doch erst im Herbst 2023 begann der Shitstorm, berichtet Monika Osberghaus vom Klett Kinder Buch Verlag. Der Verlag und die Autorin werden seitdem massiv beleidigt. Verlegerin Osberghaus vermutet, dass jemand aus rechten Kreisen entdeckt hat, dass die Autorin Andrea Paluch die Ehefrau von Wirtschaftsminister Robert Habeck ist.
Seitdem wird die Kritik an dem Buch über rechte Kanäle verbreitet. Auf Amazon hat das Werk nur zwei von fünf Sternen erreicht. In den Bewertungen wird von „Gehirnwäsche schon bei den Kleinsten“ gesprochen, „wieder ein ideologisches Meisterwerk aus der Schmiede der Habecks“ heißt es da. Oder: „Unfassbar, wie sie sich jetzt schon an unseren Kindern vergehen und ihnen nur noch Gendern und Panikmache einspritzen wollen.“
Kritik an Kinderbuch über Integration
Einen ähnlichen Shitstorm erlebte Ahmet Özdemir. Er gehört zur Grünen-Kreistagsfraktion im Rhein-Erfts-Kreis bei Köln und schrieb 2018 das Kinderbuch „Ali und Anton – Wir sind doch alle gleich“. Das Buch erzählt von den ersten Begegnungen von Kindern mit verschiedenen Nationalitäten und behandelt das Thema der Integration.
Schnell äußerte sich die AfD, griff das Buch massiv an. Immer mehr Menschen wurden dadurch auf das Buch aufmerksam - vor allem aus dem rechten Spektrum. Özdemir erlebte täglich bis zu 15 Angriffe, etwa über seine Webseite, aber auch bei Instagram, Facebook und Twitter: „Das ging in die Richtung: Den Autor müsste man köpfen, ausweisen, solche Menschen brauchen wir nicht, die unsere Kinder indoktrinieren“, erzählt Özdemir.
Wie reagieren Verlage und Autorinnen auf den Hass?
„Das zu verfolgen, dafür haben wir keine Zeit. Und wir werden bisher auch nicht wirklich physisch bedroht“, erklärt Verlegerin Monika Osbergshaus. „Sobald sowas kommt, würde ich zur Polizei gehen.“ Sie merke an den vielen negativen Reaktionen, dass „Die besten Weltuntergänge“ eines der Bücher sei, die das Salz in der Suppe seien. „Ich finde, Salz-in-der-Suppe-Bücher muss es geben, wahrscheinlich machen wir auch deswegen die dritte Auflage.“
Ahmet Özdemir hat sich vom Shitstorm nicht einschüchtern lassen. Gerade ist der vierte Band seiner "Ali und Anton"-Reihe erschienen. Trotz Hass-Mails, darunter Drohungen gegen seine Kinder, hat er bisher keine Anzeige erstattet. In seinem neuen Buch behandelt er nun das Thema Demokratie und ist sich sicher, dass der Hass auch dieses Mal kommen wird.
ema