Cara Manes/ Fatinha Ramos (Illustration): Sonia Delaunay und ihre Farben
übersetzt von Kati Hertzsch
Diogenes Verlag, Zürich 2018
38 Seiten, 20 Euro
Tanzende Farben und Formen
Sonia Delaunay war eine Wegbereiterin der abstrakten Malerei. Wer ihre Kunst näher kennenlernen will, kann das in dem Kinderbuch "Sonia Delaunay und íhre Farben" tun, das uns auf eine quietschbunte Reise durch ihr Leben und ihre Formensprache mitnimmt.
Dieses Automobil ist prächtig! Ein kunterbunt kariertes Cabrio mit geschwungenen Kotflügeln, formschönen Scheinwerfern, zwei Handhupen rechts und links und das Tollste: es kann fliegen! Kein Wunder, dass der Junge auf dem Beifahrersitz – mit Pilotenmütze und -brille bestückt – quietscht vor Vergnügen. Und auch seine Mutter verströmt reine Freude mit ihrem im Wind flatternden Schal.
Die Illustration zeigt die junge Sonia Delaunay zusammen mit ihrem Sohn Charles auf großer Tour, und sie gehört mit zu den schönsten Zeichnungen dieses Bilderbuches, das Kinder ab 5 Jahren in die farbenfrohe Welt der großen Künstlerin locken möchte.
Die Geschichte des durch die Lüfte reisenden Gespanns wird erzählt von Cara Manes, Assistenzkuratorin am Museum of Modern Art, New York und Fatinha Ramos, einer vielfach preisgekrönten Illustratorin.
Farben hören
Alles beginnt mit einer Patchwork-Decke. Charles findet sie zufällig in der Kommode, doch anders als seine Mutter, die sie entworfen hat, kann er ihre Farben nicht hören. Als Sonia Delaunay ihm erklärt, für sie würden Rot, Gelb, Blau und Grün nicht nur tönen, sondern sogar singen, gesteht er verblüfft: "Ich höre gar nichts." Also schnappt sich die begabte Mutter ihren Sohn, und reist zu ihren bisherigen Lebensstationen, um dem Jungen die Ursprünge ihrer Farben und Formen zu zeigen.
Wunderbar leicht erzählt Cara Manes von der 1885 in der Ukraine geborenen Malerin. Sie schickt Mutter und Sohn in das Pariser Tanzlokal, wo die 20-jährige Sonia ihren späteren Mann Robert Delaunay kennenlernte. Sie führt sie auf portugiesische Märkte, die die Farbpalette der Künstlerin nachhaltig prägten und lässt die beiden in Amsterdam ein Modegeschäft mit ihren Kleiderentwürfen entdecken.
Quasi nebenbei erklärt die Kuratorin so das einmalige Werk Sonia Delaunays. Sie zeigt, wie innovativ die Künstlerin war, wenn sie sie Mode, Theaterkulissen, Autos und natürlich Bilder schaffen lässt. Und so begreift Charles und mit ihm jedes Kind, dass Farben und Formen wirklich tanzen und singen (!) können und Kunst das ganze Leben durchwirkt.
Hinreißende Illustrationen
So betörend Cara Manes ihren Handlungsfaden spinnt, das Buch lebt nicht zuletzt von den hinreißenden Illustrationen Fatinha Ramos’. Angelehnt an die Farbpalette und Formensprache Sonia Delaunays entwirft sie fantastische Szenarien.
Paris erscheint als reine Farblandschaft, die Straßen wirbeln in konzentrischen Kreisen. Die portugiesischen Märkte quellen über vor Obst, das in allen nur erdenklichen Formen kreuz und quer über die Bilder segelt, und das Amsterdamer Modegeschäft ist ein knallbuntes Stoffparadies, in dem die Farben im Delaunayschen Simultankontrast gegeneinandergesetzt sind.
Wie nah sie damit der Wegbereiterin der abstrakten Malerei tatsächlich kommt, zeigen die Gemälde Sonia Delaunays, die in das Buch eingestreut sind. Dass es Autorin und Illustratorin gelingt, dieses Oeuvre in Wort und Bild zu fassen, ist beeindruckend. Eine wunderbar gelungene Hommage.