Kinderbuchautor Paul Maar

"Das Sams ist mein Sprachrohr"

11:00 Minuten
Porträt von Paul Maar, deutscher Kinderbuchautor und Illustrator.
"Fantastische Figuren bleiben immer gleich, sie altern nicht", sagt der Schriftsteller Paul Maar und meint damit auch seine bekannteste Schöpfung, das Sams. © laif / Isolde Ohlbaum
Paul Maar im Gespräch mit Ute Welty |
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"Das Sams und der blaue Drache" heißt der zehnte Sams-Band, der heute erscheint. Es wird der letzte sein, sagt Kinderbuchautor Paul Maar. In Herrn Taschenbier stecke ein Stück von ihm selbst. Als Junge hätte auch er ein Sams an seiner Seite gebrauchen können.
Ute Welty: Nicht Kind, nicht Tier, aber rote Haare, blaue Punkte und eine Nase wie ein Ferkelchen: Das Sams ist wirklich ein besonderes Geschöpf, das das Leben von Herrn Taschenbier seit 1973 durcheinanderbringt, mehr oder weniger im gegenseitigen Einverständnis. Der Erfinder vom Sams ist Paul Maar.

Heute erscheint der zehnte Band der Erfolgsserie in fast 50 Jahren. Da stellt sich die Frage, ob das Sams eigentlich altert und ob es irgendwann sein erstes Smartphone bekommt?

Paul Maar: Ja, zu Ihrer ersten Frage: Fantastische Figuren bleiben immer gleich, sie altern nicht.

Welty: Ist ja auch ganz praktisch, oder?

Maar: Ja, aber das geht im Märchen so, wenn irgendeinem jungen Königssohn eine Fee erscheint mit weißem Gewand und schönen Haaren und einem Krönchen auf dem Kopf und ihm prophezeit, du wirst in 50 Jahren, ich weiß nicht, König von ganz England werden. Und wenn in 50 Jahren dieselbe Fee noch mal wieder erscheint und dem König sagt ‚Siehst du, ich habe es dir prophezeit vor 50 Jahren…‘, dann ist zwar der König ein älterer Herr geworden, aber die Fee ist immer noch genauso wie sie war. Genauso ist das auch mit fantastischen Figuren wie dem Sams. Das Sams bleibt gleich.

"Das Sams lebt in einer poetischen Wirklichkeit"

Welty: Und das Smartphone?

Maar: Das Smartphone, nein, ich glaube, das wird es nicht zur Hand nehmen. Das Sams lebt in so einer Art, wir haben es für den Film genannt: poetischer Wirklichkeit, wo man nicht genau feststellen kann, sind das jetzt die 50er-, die 70er-Jahre oder meinetwegen auch die 20er.

Wir haben das so arrangiert, dass im Sams-Film das vielen Zuschauern überhaupt nicht aufgefallen ist, kein einziges Auto zu sehen ist, weder ein geparktes noch ein fahrendes. Es ist also eine Stadt, eine Wirklichkeit, die irgendwie unreal ist, nicht ganz real. Und so sehe ich auch die Sams-Welt.
Das Sams (ChrisTine Urspruch) mit der Familie Taschenbier (Aglaia Szyszkowitz und Ulrich Noethen) in einer Szene des Films "Sams im Glück", 2012.
Szene aus dem Film "Sams im Glück": Das Sams lebe in einer zeitlosen, in einer Art "poetischer Wirklichkeit", sagt Paul Maar.© picture alliance / dpa-Film
Welty: Dieser zehnte Band heißt "Das Sams und der blaue Drache", und es geht nicht um ein Fluggerät, sondern um einen echten blauen Drachen. Mit dem freundet sich das Sams an. Wie groß ist die Rolle von Freundschaft überhaupt in der Sams-Reihe?

Maar: Die ist sehr groß, und die Freundschaft hat auch dazu geführt, dass es überhaupt dieses Buch gibt. Darf ich ein bisschen ausholen und erzählen, wie ich überhaupt auf die Idee kam? Also es gibt einen deutschen Meister im Kunstdrachenbau, und der hat mich gefragt, weil er das Sams-Buch liebt, ob er denn einen Sams-Drachen machen darf. Ich sagte, ja, gerne, da bin ich sehr dafür. Und er kam dann und kam mit einem drei Meter hohen Sams-Drachen. Mit einem riesigen aufgemalten Sams. Dann hat er einen kleineren Drachen gemacht, weil er sagte, damit der auch in dein Zimmer als Dekoration passt und hat ihn mir geschenkt.

Ich fragte 'Wie kann ich mich erkenntlich zeigen?' – inzwischen waren wir per du. Er sagte, ich hätte eine Idee: Du schreibst ein neues Sams-Buch, und in diesem Sams-Buch muss unbedingt ein Drachen vorkommen, für mich den Drachenfreund. Ich sagte, gut, ich schreibe es dir, aber du wirst dich ein bisschen wundern. Denn er stellte sich natürlich vor, einen von seinen Stoffdrachen, aber es ist ein richtiger Drachen geworden.

"Das ist jetzt das letzte Sams-Buch"

Welty: Sie teilen ja mit dem Sams mehr als die Hälfte Ihres Lebens. Was macht Ihre Beziehung zu dieser Figur aus?

Maar: Ja, die taucht immer wieder auf. Also ich sagte ja schon mindestens vier-, fünfmal, das ist jetzt das letzte Sams-Buch, es wird kein neues geben. Dann kamen auf der einen Seite so viele Kinderbriefe, die fragten, wann kommt das nächste Sams-Buch, ein Mädchen schrieb sogar unterstrichen: Ich würde sehr weinen, wenn es kein Sams-Buch mehr gibt, und dieses "sehr weinen" hat sie dreimal rot unterstrichen. Ich dachte, man kann doch kein kleines Mädchen weinen lassen, also ich überlege mal.
Auch die Sams-Reime begleiten mich eigentlich die ganze Zeit, das heißt, dieser Reimzwang, den ich geradezu habe, also ich liebe Wortspiele, ich liebe Reime. Es kann sein, dass ich beim Frühstück schon anfange und meine Frau dadurch nerve. Sie sagt, kannst du nicht mal normal reden, weil ich wieder in Versform irgendetwas an sie richte. Das verbindet mich mit dem Sams, denn das Sams ist gewissermaßen mein Sprachrohr.

Viele Kinderbriefe zu "Lippels Traum"

Welty: Der Erfolg des Sams überlagert ja vieles andere, was Sie geschrieben haben, was Sie schreiben. Sie sind ja ungeheuer produktiv. Wird da der Autor zum eigenen Opfer?

Maar: Ein bisschen schon, ja. Das haben Sie recht erkannt. Oft, wenn ich in eine Bibliothek komme oder zu einer Lesung, dann werde ich natürlich vorgestellt, hier kommt Herr Maar, der Sams-Autor. Dann sage ich, ich würde aber gerne auch noch sagen, dass ich nicht nur der Sams-Autor bin, sondern ich habe noch 50 andere Bücher geschrieben, und heute würde ich gar nicht so gerne aus dem Sams vorlesen, sondern vielleicht aus "Lippels Traum".

Ich bekomme im Moment - durch Corona - sehr, sehr viele Kinderbriefe. Sonst kam ein Brief pro Woche, jetzt kommen manchmal acht oder zehn, oder wenn das Klassenbriefe sind, dann 30 einzelne Briefe. Das Thema dieser letzten Briefe ist nicht so sehr das Sams, sondern tatsächlich das Buch "Lippels Traum".

Welty: Warum?

Maar: Ich glaube, dass die Kinder, die früher mit acht Jahren das Sams gelesen haben, inzwischen über das Sams-Alter hinausgewachsen sind und jetzt zu einem etwas anspruchsvolleren Buch greifen, was eher für Zehn- bis Zwölfjährige geeignet ist, und dann stoßen sie automatisch auf "Lippels Traum".

"Das ist meine Welt, da will ich hin"

Welty: Ihr Großvater hat Ihnen Geschichten erzählt, Sie haben das Sams für Ihre Kinder erfunden, und Ihr Schwager ist Kameraikone Michael Ballhaus gewesen. Wie groß ist der künstlerische Druck über so eine Familie?

Maar: Ich empfinde es nicht als Druck, sondern als Geschenk. Also ich komme aus einer Schweinfurter Handwerkerfamilie. Mein Vater hatte ein Stuckateur- und Malergeschäft mit einigen Angestellten. Und meine Laufbahn sei es eigentlich gewesen oder war es, dass ich mal das elterliche Geschäft übernehme.

Dann habe ich meine Frau kennengelernt, und meine Frau kam aus einer Schauspielerfamilie. Als ich sie zum ersten Mal besucht habe – sie wohnten in einem Schloss –, und ich saß da mit offenen Augen und offenen Ohren, und beim Tee hat man sich unterhalten über neue Bücher, von denen ich noch nichts wusste, hat Stücke interpretiert, sprach von Malern, die ich schon kannte, aber auf eine andere Art und Weise, wie ich sie kennengelernt hatte.
Und ich habe begriffen vom ersten Moment an, das ist meine Welt, da will ich hin, ich will nicht so ein Provinzmaler werden, der Hausfassaden zitieren darf oder ab und zu mal eine kleine Ausstellung in der Volkshochschule machen darf. Ich habe dann auch als Michael Ballhausens Kameraassistent ihn bei Filmen begleitet. Wir haben zusammen einen Film über Fassbinder gemacht, Michael und ich. Also durch diese neue Welt fühlte ich mich nicht eingeschränkt, wie Sie meinten, sondern im Gegenteil, es war ein Geschenk.

"Die armen Übersetzer"

Welty: Herr Maar, eigentlich reden wir ja am falschen Wochentag miteinander, denn der Samstag ist ja der Sams-Tag, oder?

Maar: Ja, sicher. Am Samstag kommt das Sams. Also es ist ein bisschen falsch, aber ich glaube, das Sams würde das verzeihen. Für diejenigen, die nicht das Sams-Buch kennen: Es beginnt ja mit einer Magie der Wochentagsnamen.

Herr Taschenbier, eine Figur aus dem Buch, sitzt am Sonntag in seinem Zimmer und stellt fest, dass die Sonne scheint. Am Montag bekommt er Besuch von Herrn Mohn. Am Dienstag hat er Dienst. Am Mittwoch ist wie immer Mitte der Woche. Am Donnerstag stellt er fest, es donnert den ganzen Tag. Am Freitag gibt ihm sein Chef frei. Dann muss ganz logischerweise am Samstag das Sams kommen – womit ich mir mundartig ein faules Ei ins Nest gelegt habe.

Das Sams ist jetzt, ich schätze mal, in mindestens 30 Sprachen übersetzt, aber die armen Übersetzer, die das nachvollziehen müssen, Donnerstag Donner, Freitag frei. Stellen Sie sich das nur mal im Englischen oder im Französischen vor oder noch schwieriger im Arabischen. Mein arabischer Übersetzer, den habe ich gefragt, wie heißen denn bei euch die Wochentage. Sagt er, wörtlich übersetzt: erster Tag, zweiter Tag, dritter Tag, vierter Tag, fünfter Tag.

Welty: Das gibt wenig Spielraum für Namen, oder?

Maar: Ja, wenig Spielraum. Die armen Übersetzer müssen sich dann etwas einfallen lassen, etwas Adäquates, damit tatsächlich am Samstag ein Sams erscheinen kann.

Welty: In den jetzt dann zehn Bänden ist das Sams die Gegenfigur zu Herrn Taschenbier, mutig gegen ängstlich, kontaktfreudig gegen scheu, chaotisch gegen penibel. Welche Eigenschaften hat denn Sams als Gegenfigur zu Ihnen, als Gegenfigur zu Paul Maar?

Maar: Sie können das Gleiche anführen wie für Herrn Taschenbier, denn im Grund genommen, - jetzt nicht mehr! -, aber im Grund genommen war ich als Jugendlicher extrem schüchtern. Hängt vielleicht auch zusammen mit meinem sehr autoritären Vater, wo ich gelernt habe, es ist am besten, ganz leise zu sein, unauffällig. Sonst könnte es sein, dass man wieder Schelte bekommt, geschimpft wird oder gar eine Ohrfeige sich einhandelt, wenn der Vater gerade schlecht gelaunt von der Baustelle kommt.
Deswegen war ich extrem schüchtern, und ein bisschen ist der Herr Taschenbier unter anderem ein Porträt des jungen Paul Maar. Also kann ich durchaus oder hätte ich damals gerne ein Sams gehabt, das mich ein bisschen mutiger und ein bisschen kontaktfreudiger gemacht hätte.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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