"Frauenrechte müssen unverkäuflich sein"
Jedes Jahr werden weltweit Millionen von minderjährigen Mädchen verheiratet. Diese kommen auch als Flüchtlinge nach Deutschland. Die Aktivistin Sabatina James fordert von den Behörden, die zwangsverheirateten Mädchen sofort in Obhut zu nehmen.
Alle zwei Sekunden wird weltweit rein statistisch eine Kinderehe geschlossen. Die minderjährigen Mädchen werden oft zwangsverheiratet. Auf den Fluchtrouten kommen einige dann auch nach Deutschland. Wie damit umgehen? Um diese Frage zu klären, setzt Bundesjustizminister Heiko Maas nun eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Thema Kinderehen ein.
Sabatina James hat dazu eine unmissverständliche Meinung. James ist nicht ihr richtiger Name, sondern ein Pseudonym. Sie wurde 1982 in Pakistan geboren, wurde zu Hause und in einer Koranschule misshandelt und sollte ihren Cousin heiraten – deswegen floh sie nach Europa. Inzwischen lebt sie in Deutschland in einem Opferschutzprogramm. Ihre Geschichte kann man auf der Webseite des Vereins nachlesen, den sie gegründet hat, um muslimischen Frauen in Not zu helfen.
Im Deutschlandradio Kultur warf sie Politik und Behörden vor, bei der Kinderehe viel zu langsam zu handeln: Das Thema hätte schon vor zehn Jahren auf die Agenda gehört. Wenn Kinderehen in Deutschland erlaubt würden, sei das das Signal, dass man in Deutschland nach der Scharia leben könne.
James fordert, zwangsverheiratete Mädchen durch das Jugendamt in Obhut zu nehmen und die Mitarbeiter von Polizei und allen anderen beteiligten Behörden auf das Problem hin zu schulen. Es müsse zudem ein Kompetenzzentrum und einen Opferfonds geben. In Deutschland müssten die Rechte von Frauen "unverkäuflich" sein, betonte sie.
Die Aktivistin warnte davor, das Problem zu verharmlosen: "Es gibt auch 8- und 12-jährige Mädchen, die bei der Hochzeitsnacht verbluten, weil ihnen beim Geschlechtsverkehr mit einem Erwachsenen die Gebärmutter reißt. Das nennen viele Tradition und Folklore, ich finde, es ist Missbrauch." (ahe)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Weltweit gibt es mehr als 700 Millionen Mädchen und Frauen, die bereits vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet wurden, gegen ihren Willen. Sie glauben, bei uns nicht? Weit gefehlt! Allein in Bayern haben die Behörden bis Ende April 550 verheiratete Asylsuchende unter 18 registriert, 161 Eheleute waren sogar unter 16.
Anlass für die Politik, sich heute mit diesen Kinderzwangsehen zu befassen in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, mit Schicksalen wie dem meiner Gesprächspartnerin Sabatina James. Geboren in Pakistan, kam sie mit ihrer Familie nach Österreich, als sie zehn war, lernte am Gymnasium, geriet aber, je westlicher sie wurde, immer heftiger in Konflikt mit ihrer Familie und landete unter einem Vorwand hinter den Mauern einer Koranschule in Pakistan, sollte zwangsverheiratet werden, schaffte es zu fliehen, zurück nach Europa, und muss nun, nachdem das Todesurteil über sie ausgesprochen wurde, in einem Opferschutzprogramm leben.
Sie hat ein Buch geschrieben und einen Verein gegründet, der Mädchen mit ähnlichen Schicksalen hilft, Sabatina James ist ihr Pseudonym – und jetzt ist sie am Telefon, schönen guten Morgen!
Sabatina James: Grüß Gott!
von Billerbeck: Heute tagt erstmals eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu Zwangsehen bei minderjährigen Flüchtlingen. Ist das der erste Schritt in die richtige Richtung?
Auf der Seite der Opfer stehen
James: Wenn Bund und Länder sich einigen, dass bei allen zuständigen Stellen – also von Polizei bis Jugendamt – Mitarbeiter speziell geschult werden, insbesondere in der kritischen Auseinandersetzung mit dem islamistischen Fundamentalismus, um dann auf der Seite der Opfer zu stehen, dann, denke ich, ist das eine sinnvolle Sache. Man hätte das eigentlich schon vor zehn Jahren machen sollen, aber es ist besser spät als nie.
von Billerbeck: Also, die Politik war bei diesem Thema bisher zu zurückhaltend, höre ich da raus. Sie haben mal gesagt, wenn Kinderehen erlauben werden, senden wir das Signal zur Integrationsverweigerung. Was meinen Sie damit?
James: Damit meine ich, dass wir, wenn wir die Kinderehen erlauben, den Flüchtlingen sagen, dass man sich in Deutschland nicht an das deutsche Gesetz halten muss, sondern nach der Scharia leben kann, ohne Gleichberechtigung und Selbstbestimmung.
von Billerbeck: Soll der Staat denn eingreifen, wenn eine Frau, ein Mädchen sich inzwischen mit dieser Ehe abgefunden hat? Das ist ja manchmal der einzige Mensch, den eine solche Frau, ein solches Mädchen hat auf der Flucht hierher.
Mädchen verbluten in der Hochzeitsnacht
James: Es ist sehr wichtig, dass wir hier auch auf keinen Fall verharmlosen. Es gibt auch acht- und zwölfjährige Mädchen, die bei der Hochzeitsnacht verbluten, weil ihnen beim Geschlechtsverkehr mit einem Erwachsenen die Gebärmutter reißt. Das nennen viele Tradition und Folklore, ich finde, es ist Missbrauch. Und wir müssen ganz in Klarheit sagen, dass in Deutschland die Rechte von Frauen und Kindern unverkäuflich sind. Und wenn es Liebe ist zwischen den beiden, dann können sie ja später mal legal heiraten!
von Billerbeck: Was fordern Sie denn vom deutschen Staat, was muss jetzt passieren? Wir stellen uns das mal vor, ich habe es ja vorhin gesagt, 550 Ehen haben die bayerischen Behörden allein registriert, 161 Eheleute, die sogar unter 16 sind. Was sollen die deutschen Behörden jetzt tun?
James: Es ist wichtig, dass wir die Kinder, die verheiratet wurden, in Obhut nehmen durch das Jugendamt. Da muss es ein Kompetenzzentrum geben, da muss es einen Opferrat, einen Opferfonds geben, die quasi mit dem Jugendamt zusammenarbeiten. Und das Wichtigste, finde ich, ist eigentlich die verdeckte Ermittlung.
Opferfonds, Opferrat und verdeckte Ermittlungen
Was wir oft feststellen, ist, dass den Opfern oft nicht geglaubt wird, weil sich die Täter gegenseitig decken. Und der Staat müsste den Opfern quasi durch die verdeckte Ermittlung helfen. Wir haben das jetzt gerade erlebt bei einem anderen Fall, da wurde jemand im Flüchtlingsheim mit einer Eisenstange bewusstlos geschlagen und das Gericht hat die Täter freigesprochen, weil die Islamisten sich gegenseitig gedeckt haben. Und hier ist das große Problem, wo die Politik ansetzen muss.
von Billerbeck: Das heißt ganz konkret, solche minderjährigen zwangsverheirateten Mädchen aus dieser Beziehung, aus dieser Gewaltsituation herausholen, um sie zu schützen?
James: Ja. Ich denke, wir dürfen nicht das Unakzeptable akzeptieren, weil es in anderen Kulturen keine restliche Gleichstellung gibt.
von Billerbeck: Sabatina James, die in einem Opferschutzprogramm lebt und mit ihrem Verein Sabatina e.V. gegen Kinderzwangsverheiratungen kämpft, auch hierzulande unter Flüchtlingen. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute!
James: Das wünsche ich Ihnen auch, alles Liebe, Wiederschauen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.