"Man traut es Kindern nicht mehr zu, Realfilm anzuschauen"
Er musste einige Hürden überwinden, bis er seinen Kinderfilm "Quatsch und die Nasenbärbande" finanziert hatte. Der beruht nämlich nicht auf einem bereits erfolgreichen Buch, noch ist er animiert. Doch es ist ihm gelungen und im Interview erzählt Veit Helmer, warum sein Film deshalb gleichermaßen einer für Kinder und einer für Erwachsene geworden ist.
Susanne Burg: Sie hören "Vollbild", das Filmmagazin im Deutschlandradio Kultur. Die "Süddeutsche Zeitung" hat Anfang des Jahres in einer Kritik über den Kinderfilm "Fünf Freunde 3" Folgendes geschrieben: "Das Gute an einer Tiefkühlpizza: Sie ist schnell aufgetaut, schmeckt immer gleich, danach sind alle satt. So ähnlich verhält es sich mit dem deutschen Kinderfilm: Er ist schnell konsumierbar, die Zutaten sind stets die gleichen, es variieren nur die Anteile an Spiel, Spaß, Abenteuer und Freundschaft." So weit die "Süddeutsche Zeitung", kein gutes Zeugnis, das der Autor dem Genre also ausstellte. Und im Studio ist jetzt ein Regisseur, von dem gerade ein Kinderfilm in den deutschen Kinos läuft, "Quatsch und die Nasenbärbande". Guten Tag, Veit Helmer!
Veit Helmer: Guten Tag!
Burg: Spricht der Autor Ihnen aus dem Herzen?
Helmer: Ja, es gibt aber noch mehr, was mich gestört hat. Als ich mit meinem Sohn ins Kino gehen wollte, gab es für kleine Kinder auch nur Animationsfilme. Also man traut es den kleinen Kindern nicht mehr zu, Realfilm anzuschauen. Und dann ist eigentlich das meiste, was man im Kino sieht, Buchverfilmungen von Erfolgsbüchern. Das habe ich dann auch sehr schnell gemerkt, als ich mit meinem Drehbuch eine Finanzierung gesucht habe, dass man mir wirklich klar ins Gesicht gesagt hat, also von Verleiherseite: Wir wollen nur Filme ins Kino bringen, die auf einem erfolgreichen Buch basieren. Filme, die auf einem Originaldrehbuch entstehen sollen, die kriegt man ganz schwer heute noch ins Kino.
"Das Kino ist nicht mehr innovativ"
Burg: Woran liegt das?
Helmer: Na ja, das ist natürlich ein wirtschaftliches Risiko. Es ist natürlich was Wahres dran: Eltern gehen lieber mit ihren Kindern ins Kino, wenn sie schon wissen, was sie da erwartet. Also das Risiko, sich auf etwas Neues einzulassen, ist bei Erwachsenen vielleicht größer, als wenn die Erwachsenen ihre Kinder mitnehmen.
Burg: Andererseits funktionieren ja auch für Erwachsene die Filme, die basieren ja häufig auf Buchvorlagen, wenn ich da denke an Filme der letzten Jahre, "Der große Gatsby", "Medicus", "Nachtzug nach Lissabon" – alles Literaturverfilmungen.
Helmer: Na gut, es gibt die Kritik dann tatsächlich nicht nur am Kinderfilm, sondern insgesamt, dass man sagt: Das Kino ist nicht mehr innovativ, das Kino reproduziert sich ständig nur noch selbst mit Sequels, Prequels, Spin-offs. Da etwas Neues in den Markt zu setzen, ist dann immer ein Wagnis, und dafür dann Partner zu finden, habe ich dann selber gemerkt, ist wirklich ein Abenteuer.
Burg: Ihr Film "Quatsch und die Nasenbärbande", da machen Sie sechs Kindergartenkinder zu Hauptfiguren, die wohnen im idyllischen Bollersdorf, das von Konsumforschern dann zum durchschnittlichsten Ort der Erde gekürt wird. Die Warentester rücken an, benutzen die Bewohner als Versuchskaninchen, und das ruft dann die Kindergang auf den Plan, die Nasenbärbande. Die setzt alles dran, das Heimatdorf und die Eltern vom Einheitsbrei zu befreien. Das Ganze ist sehr anarchisch. Sie sagten eben schon, es war recht schwer, Geld dafür aufzutreiben. Wie haben Sie es dann geschafft?
"Man muss wirklich sehr hartnäckig sein"
Helmer: Also um mir selbst zu widersprechen: Ich glaube, es ist jedem Regisseur möglich, eine Finanzierung auf die Beine zu stellen, wenn er für sein Projekt brennt, und ich glaube, das ist so eine gewisse Hartnäckigkeit, die man heutzutage braucht, um durch diesen Förderdschungel, durch die Redaktionen da vorzudringen. Ich glaube, da werden Bücher einfach erst mal zur Seite gelegt, und man beschäftigt sich nur noch mit den Projekten, wo jemand dann noch mal auf den Plan kommt und noch mal anruft und noch mal anruft. Vorher – puh, kann ja sein, dass der gar nicht so richtig für sein Projekt brennt. Wenn man wirklich sehr hartnäckig ist, dann, denke ich, ist es schon möglich, eine Finanzierung zu bekommen, aber man wird halt auch gewarnt: Das wird sich kein Mensch anschauen, oder Kinderfilme, die brauchen dies und das, und wenn das der Kinderfilm nicht hat, dann... Also es gibt so Klischees oder so vorgefertigte Muster, denen man entsprechen muss, und wenn man denen nicht entsprechen will, dann ist es einfach einen Tacken schwieriger.
Burg: Haben Sie sich denn von denen dann freigemacht?
Helmer: Oh, bis zum Ende. Also diese Diskussion, die war noch im Schneideraum da. Oh Gott, können wir das nicht rausnehmen? Die Kinder klettern auf einen Kran – nachher kommt der Jugendschutz, und dies und das. Und ich habe dann gesagt: Nein, der Film, so wie er ist, kommt der ins Kino. Ich bin ja auch nicht auf die Lokomotive geklettert, als ich Pippi Langstrumpf gesehen habe. Also ich habe das Gefühl, dass man heute den Kindern weniger zutraut als vor 30, 40 Jahren, in meiner Kindheit.
Burg: Was wollten Sie denn anders machen, was wollten Sie anders erzählen?
Helmer: Na, das erste Wagnis war, zu sagen: Ich möchte vierjährige Hauptdarsteller. Da hat man mir einen Vogel gezeigt und hat gesagt, mit vierjährigen Hauptdarstellern kriegst du deine Dreharbeiten gar nicht zu Ende. Die haben dann nach ein paar Wochen keine Lust, da gibt es diese strengen Arbeitsbedingungen, die dürfen nur zwei Stunden am Tag drehen, das ist doch alles nicht möglich, die können keine Dialoge sprechen, suche dir mal ältere Kinder. Und das war schon der erste Punkt, wo ich an die Decke gesprungen bin, weil ich habe – mein Sohn war damals vier – diese Vision gehabt: Ich will mit genau diesem Alter einen Film drehen, weil das sind ganz tolle Menschen, mit vier, die sind noch so unreflektiert, die rennen los und dann fällt was um und das macht nichts. Man stellt es wieder auf. Es geht was anderes kaputt, und immer wieder wird irgendwas erfunden. Und das ist vielleicht dann auch, sage ich jetzt mal, von meiner Seite ein Generationenporträt gewesen, weil ich liebe diese junge Generation. Und mit Kindern, die sechs oder sieben Jahre alt sind, wäre das nicht möglich gewesen.
Burg: Wenn wir jetzt gerade bei den Darstellern sind: Es sind ja auch noch wirklich praktische Herausforderungen. Da kann man denen nicht einfach jetzt Drehbücher geben zum Auswendiglernen. Michael Haniker hat beim Dreh zu "Das weiße Band" immer mit Souffleusen gearbeitet. Wie haben Sie das bewerkstelligt?
"Das war ein großes Spiel"
Helmer: Ich habe den Kindern auch den Dialog vorgesprochen und die haben den nachgesprochen wie Papageien, und wenn es mir zu leise war, habe ich es lauter vorgesprochen, wenn es mir zu traurig war, habe ich es fröhlicher gemacht, wenn es mir zu fröhlich war, habe ich es trauriger gemacht. Also das ist das Lebendigste. In dem Moment, wo die Kinder Dialog auswendig lernen, klingt der nur noch aufgesagt. Und ansonsten war das ein großes Spiel. Ich glaube, manche von den Kindern waren noch nie im Kino, bevor sie überhaupt den Film gedreht haben. Also die wussten zum Teil gar nicht, was wir da eigentlich machen. Für die war das ein großer Abenteuerspielplatz.
Burg: Sie haben ja auch Ihren damals vierjährigen Sohn mit einbezogen, als es um die Ideen für den Film ging. Wie wichtig fanden Sie seine Perspektive und wo haben Sie dann auch gesagt, nein, das funktioniert nicht?
Helmer: Na, ich habe eigentlich ihn ständig im Kopf gehabt: Was würde er dazu sagen? Er war zwar nicht immer am Drehort, er hat damals in Paris gewohnt, konnte deswegen auch nicht mitspielen, aber sozusagen mit seinem Blick – das war mein Korrektiv. Also wenn ich mir vorgestellt habe, das würde ihm gefallen, dann war das sozusagen der Take. Also das ist schon der Blick, der mich beim Drehbuchschreiben auch geleitet hat, diese ganz besondere Art von Humor und diese Assoziationen, die Kinder manchmal haben, die eigentlich total gegen das Drehbuchhandwerk spricht. Ein Drehbuch – da muss immer eins auf das andere aufgebaut sein. Kinder denken assoziativ und springen von einem Thema zum anderen. Und genau dem wollte ich mal folgen und sozusagen etwas machen, was sozusagen auf einer Kinderdenkstruktur basiert.
Burg: Ihre Filme für Erwachsene, die Sie ja vorher gemacht haben, wenn man die jetzt mal so eintütet, zum Beispiel "Absurdistan" oder "Tuvalu", die sind ja wiederum auch sehr skurril, sehr spielerisch, teilweise absurd. Inwieweit war es also nur folgerichtig, dass Sie jetzt einen Film auch für Kinder gemacht haben?
Helmer: Na ja, man wünscht sich als Regisseur immer, dass man so was ganz Neues macht oder man denkt es auch tatsächlich, dass man immer Neuland betritt mit jedem Projekt, dass man eine ganz neue Baustelle aufmacht, und später sieht man dann schon selbst auch seine eigene Handschrift. Das ist natürlich auch schön, also wenn Menschen sagen, wow, das ist ein Veit-Helmer-Film, dann macht mich das natürlich stolz, weil ich etwas machen will, wo ich mich auch selber wieder drin erkenne.
Burg: Sehen Sie das denn als Film für Kinder, den neuen?
"Großeltern sind die Partner der Kinder"
Helmer: Ich sehe das als einem Film für Kinder von 4 bis 144 Jahre. Also das Schöne ist, auch wirklich zu sehen, dass Erwachsene dran Spaß haben und auch Großeltern, Großeltern sind ein wichtiges Thema, weil die Großeltern sind sozusagen der Anfang der Geschichte, dass die Kinder die Großeltern aus dem Altenheim befreien wollen, weil die Eltern die ins Altenheim packen, um diesen schon genannten Altersdurchschnitt zu wahren, der eigentlich ja in Haßloch zu finden ist. Dort werden Produkte in Deutschland getestet. Das ist ja das andere Verrückte, dass viele sagen: Wow, da hast du dir aber eine verrückte Geschichte ausgedacht. Und dann sage ich, nein, nein, nein, diese Geschichte basiert auf ganz schön vielen Fakten. Also in Haßloch werden bunte Produkte in den Supermarkt gestellt und man guckt, wie die Menschen darauf reagieren, und dafür kriegen sie eine Fernsehzeitschrift umsonst, und selbst die Werbespots werden dort ausgetauscht. Dann denken alle, Quatsch, das klingt ja schlimmer als die NSA, und es ist schlimmer, und die Leute stecken da noch eine Kreditkarte durch den Scanner, und dann weiß die GFK genau, wer was einkauft. Und das machen die Leute dort freiwillig, also eigentlich das, wogegen sich die Welt wehrt, macht Haßloch freiwillig. Und es ist natürlich skurril. Also es gibt Dinge in meinem Film, die sind dann eigentlich auch nur für Erwachsene verständlich, und die Kinder sehen da einen ganz eigenen Film. Da gibt es viele Tanzszenen, dann gibt es Szenen, die sind für die Kinder gemacht, die verstehen die Erwachsenen nicht. Aber es macht zumindest allen sehr viel Spaß.
Burg: Und die Großeltern sind ja im Grunde genommen Verbündete der Kinder, denn auch die sind die Einzigen, die die Kreativität und das Andersdenken zulassen.
Helmer: Die Großeltern, das habe ich auch bei meinem Sohn beobachten können, das sind die Partner der Kinder. Die haben Zeit. Ich eile durch die Welt, habe viele Termine und schleife meinen Sohn hinterher. Meine Mutter hat Zeit, geht mit ihm langsam durch die Straße, die beobachten jedes kleine Tier, was über den Bürgersteig kraucht. Und das ist natürlich für Kinder was Tolles, also das ist das gleiche Tempo, und wir rennen, Erwachsene, wir sehen gar nichts mehr. Wir sind so schnell heutzutage, dass wir gar nichts mehr mitkriegen.
Burg: Also wenn Sie mal einen anderen Kinderfilm und auch einen Erwachsenenfilm sehen wollen, dann haben Sie jetzt die Gelegenheit dazu: "Quatsch und die Nasenbärbande" heißt er, Veit Helmer ist der Regisseur. Veit Helmer, vielen Dank für Ihren Besuch!
Helmer: Danke!!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.