Dänemark – das Kinderparadies
90 Prozent der Dänen halten ihr Land für besonders kinderfreundlich. Stimmt das? Ein Besuch in Kopenhagen, wo ein Drittel aller Eltern in Doppelvollzeit arbeiten.
Kind zu sein in Dänemark ist toll. Das können Liam und Karla bestätigen, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen. Zusammen mit Freunden sitzen sie auf einer Vogelschaukel auf dem Spielplatz ihres Hortes. Zum Beispiel sei Dänemark das Land auf der Welt, in dem am meisten Süßigkeiten gegessen werden, meint Liam. Aus Sicht eines Achtjährigen ein schlagendes Argument.
Wenn Erwachsene von Kinderfreundlichkeit sprechen, meinen sie eher Elternfreundlichkeit oder die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. Und darin belegt Dänemark immer wieder Spitzenplätze im Ländervergleich. Liams Hort ist dafür ein gutes Beispiel. Obwohl Sommerferien sind und die Schulen geschlossen, hat der Hort im Kopenhagener Stadtteil Vanløse geöffnet, jeden Tag von 6 Uhr 15 bis 17 Uhr. Wie fast alle Kindereinrichtungen in Dänemark; Sommerschließzeiten gibt es selten.
Ben holt gerade seine zwei Söhne ab. Die beiden gehen gerne in den Hort, sagt er.
"Im Sommer machen sie viele Ausflüge, zum Beispiel ins Schwimmbad. Ich war in den Sommerferien immer nur zu Hause mit meiner Mutter. Ich glaube, sie haben mehr Spaß als ich damals hatte. Alle ihre Freunde sind ja hier."
Fast alle Schüler der angrenzenden Grundschule nutzen die Nachmittagsbetreuung. Was Ben und seine Frau machen würden, wenn der Hort in den Sommerferien geschlossen wäre, kann er sich schwer vorstellen.
"So lange kann man im Sommer ja nicht Urlaub nehmen. Meine Mutter arbeitete nicht, als wir Kinder waren. Also wenn nicht einer der Elternteile zu Hause bleibt, weiß ich nicht, wie das funktionieren soll."
Flexible Arbeitszeit und ausreichend Betreeungsangebote
Ben und seine Frau arbeiten beide in Vollzeit, genau wie rund 30 Prozent aller dänischen Eltern. In Deutschland sind es gerade einmal 1,2 Prozent aller Eltern, die in Doppelvollzeit arbeiten. Die hohen Lebenshaltungskosten in Dänemark machen es nötig und das gut ausgebaute Betreuungsangebot möglich. Jedem Kind ab siebeneinhalb Monaten ist ein Betreuungsplatz garantiert. Ein weiterer Faktor für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist die flexible Arbeitszeit, derer sich viele Dänen erfreuen.
Einer von ihnen ist Morten Gundel. Er ist Gymnasiallehrer und kommt vor der Arbeit gerne mit seiner zweijährigen Tochter auf den Spielplatz.
"Ich habe sehr flexible Arbeitszeiten. Ich muss natürlich unterrichten, aber abgesehen davon entscheide ich selbst, wann ich arbeite. Man kommt und geht, wie man möchte und der Arbeitgeber vertraut einem, dass man seine Arbeit schon erledigt. Das machen wir alle so, das ist ganz normal."
In manchen Wochen arbeitet Morten 40 Stunden am Gymnasium, in anderen nur 20.
"Dann arbeite ich eben ein bisschen zu Hause, am Abend und am Wochenende. Manchmal lege ich auch lange Arbeitstage ein, von morgens bis zum späten Nachmittag. Dann bringt meine Frau unsere Tochter in die Krippe und holt sie früh wieder ab. Sie hat auch eine sehr flexible Arbeit."
Im Kopenhagener Stadtteil Frederiksberg steht ein würfelförmiges Gebäude namens Kube, das eine Bibliothek beherbergt, ein Café und eine riesige Spiellandschaft auf zwei Etagen, die jeder gratis nutzen kann. Hier gibt es eine Kletterwand, eine Tobe-Ecke, steile und geschwungene Rutschen. Die Deutsche Lisa Cunsolo kommt oft mit ihren drei Kindern hierher. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrer Familie nach Kopenhagen gezogen. Hier war sie von den vielen natürlich angelegten Spielplätzen begeistert, die viel mehr als nur eine Schaukel und eine Rutsche bieten, wie Lisa sagt.
Mit Kleinkindern in die Bibliothek
"Und dann habe ich herausgefunden, dass es ja noch viel mehr gibt und dass man auch im Winter, wenn das Wetter nicht so schön ist, in die Bibliotheken kann mit den Kindern. Als das eine Freundin gesagt hat, habe ich das erst gar nicht geglaubt, weil ich dachte: Ja, mit meinen Kindern kann ich da eh nicht hin – drei Kinder, so klein. Die sind viel zu laut. ´Nee, nee, das ist ganz normal, dass man da mit Kindern hingeht.` Und dann gibt es eine richtige Kinderecke zum Spielen und zum Bücheranschauen und das ist auch gar kein Problem, dass die Kinder mal laut sind. Oder eben wie zum Beispiel hier jetzt. Dass man umsonst so ein super Angebot hat, wo die Kinder so viele verschiedene Sachen machen können."
Zuvor lebte Lisa mit ihrem Mann und Kindern in der Schweiz. Der Hauptgrund für den Umzug nach Dänemark war für sie die Vereinbarkeit von Job und Familie.
"Ich habe damals in der Schweiz gemerkt, dass ich nicht zu Hause sein kann, sondern dass ich gerne arbeiten möchte, was in der Schweiz schier nicht möglich ist, und daraufhin war ich so begeistert von dem System in Dänemark: dass es total normal ist, dass die Frauen arbeiten gehen und die Kinder in den Kindergarten."
Deutsche und Schweizer kritisieren das dänische Modell
In der Schweiz sei die Kinderbetreuung so teuer, dass es sich für viele Frauen mit Kleinkindern nicht lohne, arbeiten zu gehen, sagt Lisa. Außerdem sei es verpönt, seine Kinder in den ersten Lebensjahren fremdbetreuen zu lassen. Auch in Lisas Familie in Deutschland stößt das dänische Modell auf Kritik.
"Eine Meinung, die war: Wenn die Kinder nicht von der Mutter großgezogen werden, dann geraten sie auf die schiefe Bahn. Aber dann wäre es ja so, dass ganz Dänemark auf der schiefen Bahn wäre. Und ich finde eigentlich eher das Gegenteil, ich finde die Kinder sind hier sehr, sehr ausgeglichen, gut erzogen und happy."
Einen Grund dafür sieht die studierte Hotelmanagerin neben dem hohen Standard der Kinderbetreuung im Stellenwert des Kindes allgemein in der dänischen Gesellschaft.
"Ich habe das Gefühl, hier in Dänemark wird erstmal aufs Kind geschaut, dass das Kind glücklich ist und zufrieden, und dann gucken die Eltern, was sie machen."
Da ihre Kinder jetzt also glücklich in der Kita untergebracht sind, hat sich Lisa einen Wunsch erfüllt und zusammen mit ihrem Mann ihr eigenes Café in Kopenhagen eröffnet. Mit Spielecke für die Kinder natürlich.