"Der Mutterkult ist noch längst nicht Vergangenheit"
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Selbstgewählt kinderlose Frauen erfahren bis heute Ablehnung. Auf der Website "We are Childfree" berichten einige von ihnen über ihre Erfahrungen. Die Journalistin Sonja Eismann sieht darin dennoch eher ein individualistisches Lebensstilprojekt.
Jede fünfte Frau in Deutschland ist kinderlos – oder eben "kinderfrei", eine Formulierung, die betont, dass längst nicht jede Frau dies als Mangel betrachtet. Die in Berlin lebende britische Fotografin Zoë Noble hat die vielbeachtete Website "We are Childfree" gestaltet und zudem einen Podcast gestartet. Das Thema: selbstgewählte Kinderlosigkeit bei Frauen.
Auf Debatten über Kinderlosigkeit bei Frauen gebe es bis heute heftige Reaktionen in Deutschland, sagt die Journalistin Sonja Eismann. Diese zeigten, "dass der vielzitierte deutsche Mutterkult noch längst keine Sache der Vergangenheit ist". Kinderlose Männer riefen keine annähernd so starken Emotionen hervor.
Die Website "We are Childfree" behandele das Thema getreu dem feministischen Motto "Das Private ist politisch," findet Eismann. Es gebe keine Aufrufe zu Demonstrationen oder Aktionen, sondern Frauen aus allen Teilen der Welt erzählten aus sehr persönlicher Perspektive von ihrem Beschluss, kinderfrei leben zu wollen, und welche Steine ihnen dabei in den Weg gelegt worden seien.
Es gehe Noble offenbar darum, Sichtbarkeit für das Thema und damit auch eine größere Selbstverständlichkeit herzustellen, sagt Eismann. Immer wieder betone sie, dass sie mit bestehenden Vorurteilen aufräumen wolle, also zum Beispiel, dass Frauen ohne Kinder egoistisch, kalt und lieblos seien.
Frauen ohne Kinderwunsch werden verurteilt
"Ich fand besonders auffallend die Kritik am medizinischen Apparat, die sehr viele Frauen äußern", sagt Eismann über die Berichte bei "We are Childfree":
"Dass erstens ihr Wunsch nach Nicht-Reproduktion so gut wie nie ernst genommen wird – fast alle, die sich eine Sterilisation wünschen, hatten oder haben riesige Schwierigkeiten, jemanden zu finden, die oder der sie vornimmt." Den Frauen würde prophezeit, dass sie den Eingriff bereuen würden und die Frauen damit entmündigt. Zweitens würden Ängste vor einer Schwangerschaft, die viele Frauen äußerten, vom medizinischen Personal einfach weggewischt oder sogar pathologisiert.
Mag man nur bestimmte Kinder?
Viele der interviewten Frauen betonen, wie gut sie mit den Kindern anderer Menschen klarkommen, sagt Eismann. Manche äußerten aber auch deutlich, dass sie Kinder nicht per se mögen, nur wenn sie in einer positiven persönlichen Verbindung zu ihnen stünden.
"Einerseits finde ich es falsch, Frauen qua Geschlecht Mütterlichkeit abzuverlangen. Aber andererseits finde ich es doch problematisch, wenn nicht sogar unmenschlich, gesamte Menschengruppen abzulehnen", kritisiert die Journalistin. Eismann spricht von einer Form von Adultismus, also der Diskriminierung junger Menschen, die als irgendwie nervig und überflüssig empfunden würden - und die ungut an den fehlenden Respekt für Kinderrechte in der Pandemie denken lasse.
Individualistisches Lebensstilprojekt
Eismann hat noch mehr Kritik an "We are Childfree". Besonders hervorstechend war für sie der Beitrag einer Frau, die freimütig zugebe, dass einer der Hauptvorteile ihrer Kinderlosigkeit gewesen sei, dass sie damit ab einem gewissen Alter bei Bewerbungsgesprächen immer punkten konnte: "Sich zu freuen, dass man als kinderlose oder kinderfreie Frau leichter Arbeit findet, bedeutet ja nur, sich diesem neoliberalen Paradigma der Eigenverantwortlichkeit widerspruchslos zu beugen, statt es zu bekämpfen."
Die Journalistin sieht in "We are Childfree" eher ein individualistisches Lebensstilprojekt als eine feministische Bewegung. Denn auch wenn es in den Begründungen der Frauen für ihre Entscheidung zu einem Leben ohne Kinder auch um Patriarchat, religiöse Traditionen und das fehlende Engagement von Männern im Haushalt gehe, werde daraus nicht gefolgert, dass die Gesellschaft gerechter werden müsse. Stattdessen werde nur auf die individuelle Entscheidung für oder gegen Kinder verwiesen.
"Ich würde mir wünschen, dass es nicht zu einer Aufspaltung - hier der Lifestyle der Kinderfreien und hier der Lifestyle der Mütter - kommt, sondern dass alle gemeinsam sich bemühen und solidarisch für eine bessere Situation kämpfen."
(jfr)