Kinderrechte ins Grundgesetz
Sollen Kunder mitbestimmen dürfen, wenn es um sie geht - zum Beispiel auf dem Spielplatz? © Getty Images / mrs
Mehr als Symbolpolitik
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In Norwegen, Belgien, Irland, Spanien, Österreich und Südafrika ist es bereits Realität: die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz. Nun könnte dies auch in Deutschland nachgeholt werden. Denn bislang sind Kinder strukturell benachteiligt.
Das Vorhaben, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, stand bereits 2018 im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit kam jedoch nicht zustande, was unter anderem an den unzureichenden Formulierungen im Gesetzesvorschlag lag. Die Ampelkoalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag ebenfalls vorgenommen, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Auch die ehemalige Hamburger und Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit macht sich seit Jahr und Tag dafür stark, gemeinsam mit der Deutschen Liga für das Kind.
„Und warum aber Grundrecht? Warum in die Verfassung? Und das fordern inzwischen ja nun sehr viele, auch viele politische Gruppen. Weil nur die Grundrechte geschützt werden durch das Bundesverfassungsgericht und durchgesetzt werden durch das Bundesverfassungsgericht.“
Förderung in Verfassung verankern
Lore Maria Peschel-Gutzeit arbeitet seit 2002 als Rechtsanwältin in Berlin, mit 90 Jahren ist sie immer noch aktiv. Sie will, dass der Schutz der Kinder, ihre Förderung und ihre Beteiligung in der Verfassung verankert werden, wobei der Schutz bereits in Artikel 6 des Grundgesetzes – Schutz der Familie – enthalten sei.
„Also Schutz ist nicht unser Problem. Aber der zweite Problemkreis, den die Konvention anspricht, ist die Förderung von Kindern, die besondere Förderung, ihrer Begabung, ihrer Talente, ihrer Möglichkeiten. Davon steht in unserer Verfassung kein Wort, jedenfalls nicht bezogen auf Kinder. Und die dritte große Richtung oder der Problemkreis ist Beteiligung von Kindern an Angelegenheiten, die sie selbst betreffen. Auch darüber gibt es bei uns überhaupt keine Regelung.“
Kinder zum Beispiel im Baurecht beteiligen
Das Recht auf Beteiligung hält sie für besonders wichtig, zum Beispiel im Baurecht, soweit Kinder betroffen sind. Sie denkt an Schulen, Kindergärten, Kinderkrankenhäuser, Spielplätze.
„Wir alle kennen Spielplätze, die völlig verwaist sind, weil da Spielzeug draufsteht, das kein Kind anrührt. Man hat auch kein Kind gefragt. Man hat da teure Holz- oder Metallspielzeuge hingestellt und Kinder machen einen Bogen und spielen auf der Wiese oder so etwas. Das würde aber anders sein, würde man einen kleinen Rat bilden und sagen, so, stellt euch mal vor, was möchtet ihr denn draufhaben?“
Kinderrechte im Grundgesetz versteckt
Das Grundgesetz gilt für alle Menschen, also auch für Kinder. Die Kinderrechte im Grundgesetz sind jedoch versteckt.
„Kinder sind Rechtssubjekte mit eigenen, von der Verfassung geschützten Rechten. Und eben nicht Objekte elterlichen oder auch staatlichen Handelns. Und ich finde, das sollte dann auch ausdrücklich und unmissverständlich im Grundgesetz, und zwar im Text des Grundgesetzes stehen und sich nicht erst indirekt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben.“
Mallory Völker ist Familienrichter am Oberlandesgericht Saarbrücken. Außerdem lehrt er als Honorarprofessor für Recht an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes.
Kinder naturgegeben erst mal unterlegen
„Kinder sind eben keine, ich sag mal, kleinen Erwachsenen. Bei Interessenkonflikten zwischen Kindern und Erwachsenen besteht ein Machtgefälle. Kinder sind naturgegeben ja erst mal unterlegen. Auch im Verhältnis zum Staat sind Kinder strukturell benachteiligt. Deswegen, und das ist für mich der entscheidende Punkt im Unterschied zu den Erwachsenen-Grundrechten, die für die Kinder gelten, sind Kinderrechte auf Sichtbarmachung angewiesen.“
Es gibt jedoch auch Argumente gegen eine Grundgesetzänderung. Durch die Stärkung der Kinderrechte würde das im Grundgesetz austarierte System elterlicher und staatlicher Kindeswohlverantwortung gestört und die Elternrechte würden geschwächt.
"Starke Eltern brauchen starke Kinder"
Mallory Völker widerspricht: „Man kennt ja die Erziehungsmaxime: Starke Kinder brauchen starke Eltern. Das Umgekehrte ist aber auch richtig: Starke Eltern brauchen starke Kinder. Und damit meine ich Kinder mit starken eigenen Rechten. Denn die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz würde doch auch Eltern bessere Möglichkeiten der Durchsetzung der Belange ihrer Kinder gegenüber dem Staat eröffnen“, sagt er.
„Schließlich sind zuvörderst doch gerade die Eltern dazu berufen, die Rechte ihrer Kinder für diese geltend zu machen. Im Ergebnis würde also durch die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung die Argumentationslast zugunsten der Kinder hin zum Staat verschoben werden und gerade nicht hin zu den Eltern.“
Appellcharakter von Verfassungstexten
Auch dem Argument, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe mehr Gewicht bei der Durchsetzung der Kinderrechte als eine Aufnahme in den Text des Grundgesetzes, kann der Familienrichter nicht viel abgewinnen. Die Kinderrechte im Verfassungstext hätten mindestens Appellcharakter. So könnten die Kinderrechte bereits im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren erhöhte Aufmerksamkeit erhalten und auch von Rechtsanwendern verstärkt berücksichtigt werden.
„Ich bin mir nicht sicher, ob die intensiven Eingriffe in die Freiheitsrechte der Kinder und Jugendlichen in den langen Monaten nach dem Beginn der Coronavirus-Pandemie in derselben Weise beschlossen worden wären, wenn Kinderrechte im Grundgesetz gestanden hätten. Man sollte da die Wirkkraft geschriebenen Verfassungsrechts dann doch nicht unterschätzen.“
In dieser Legislaturperiode ins Grundgesetz?
Norwegen, Belgien, Irland, Spanien, Österreich und Südafrika haben die Kinderrechte bereits in ihren Verfassungen aufgenommen. Ob sie in dieser Legislaturperiode auch ins Grundgesetz kommen, hängt im Wesentlichen davon ab, wie sie formuliert werden. Denn zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten müssen dem Text zustimmen. Und wichtig sei auch, an welche Stelle die Rechte im Verfassungstext eingepflegt werden, meint Lore Maria Peschel-Gutzeit.
„Es muss also eine Vorschrift in die ersten drei Artikel: Artikel 1, Würde des Menschen, Artikel 2: Persönlichkeitsrechte. Da, in diese Richtung gehört es, eigene Persönlichkeitsrechte des Kindes, die das Kind selbst einklagen kann.“