Kinderretterin Diana Budisavljević

Es gab nicht nur Oskar Schindler

08:21 Minuten
Kinder im Konzentrationslager Stara Gradiška. Zwischen 1941 und 1945 wurde es von der faschistischen Ustaša betrieben.
Kinder im Konzentrationslager Stara Gradiška. Zwischen 1941 und 1945 wurde es von der faschistischen Ustaša betrieben. © imago/Xinhua
Von Martin Sander und Ksenija Cvetković-Sander |
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Von 1941 bis 1945 herrschte in Kroatien ein faschistisches Regime der Ustascha, das Serben in Konzentrationslager verschleppte. Diana Budisavljević, eine couragierte Österreicherin, rettete 10.000 Kinder.
"Um irgendetwas bewirken zu können, brauchte sie ja Unterstützung. Es ist eben so, das hat man ja im Krieg vielfach gesehen: Man kommt um die Zusammenarbeit mit dem Bösen nicht herum, wenn man etwas Gutes bewirken will."
Die aus Österreich stammende Historikerin und Theologin Anna-Maria Grünfelder lebt seit 1974 in Zagreb. Sie hat das Leben von Diana Budisavljević erforscht. Auch Diana Budisavljević, geb. Obexer, war eine Österreicherin. Sie zog 1919 mit ihrem Mann Julije Budisavljević nach Zagreb. Als 20 Jahre später der Zweite Weltkrieg ausbrach, blieb auch der Balkan nicht davon verschont. Diana Budisavljević sorgte sich um das Schicksal tausender serbischer Kinder.

"Diese Kinder stammen zum größten Teil aus der sogenannten Kozara-Region. Das ist eine Gebietsregion in Nordbosnien an der Grenze zu Kroatien, zum heutigen Kroatien. Dort hatten sich die Partisanen festgesetzt und das war ihr sicherster Stützpunkt. Und die erste große kroatische Ustascha-Offensive – unter deutscher Beteiligung – ging in diese Region."

Tribut an die Deutschen

Ustascha-Faschisten töteten, vertrieben und internierten im Sommer 1941 unzählige Zivilisten, zumeist Serben. Das Ustascha-Regime wollte aus Kroatien einen "reinen" Nationalstaat machen, obwohl Kroaten dort nur die Hälfte der Bevölkerung stellten. Für die Internierung der Serben gab es aber noch ein weiteres Motiv. Es ging um einen Tribut an die Deutschen: Kroatien sollte Arbeiter ins Reich liefern. Offiziell sprach man von Zivilarbeitern, de facto handelte es sich um Zwangsarbeit.
"Das war zuerst ein Kontingent von 50.000 Menschen. Dann wurde aber schon im Oktober 1941 das Kontingent auf 100.000 erhöht, dann weiter auf 150.000, so dass im gesamten Krieg ca. 250.000 Zivilarbeiter im Deutschen Reich beschäftigt waren."
Da vor allem auch Mütter zur Arbeit nach Deutschland geschickt wurden, blieben ihre Kinder in den KZs allein, hungerten und starben. Durch ihre jüdische Hausschneiderin wurde Diana Budisavljević auf die KZs aufmerksam – und auf Hilfsaktionen durch die jüdische Gemeinde. Sie erfuhr dabei, dass den Serben niemand half.

"Wo sind die Kinder?"

"Sie wussten, dass täglich also Züge aus allen Teilen Kroatiens Richtung Reich fuhren. Und dann ist ihnen eben aufgegangen, was ist mit den Kindern, wo sind die Kinder? Und so ist der Stein ins Rollen gekommen."
Diana Budisavljević wollte den serbischen Kindern helfen. Sie handelte auf eigene Faust. Binnen kurzem gelang es ihr, ein Netz von Helfern zu knüpfen und immer mehr Kinder aus den Lagern zu holen. Sie wurden in Heimen untergebracht oder in Familien. In der Familie von Vera Velebit wuchs ein Mädchen auf, das von Diana Budisavljević gerettet worden war.
Vera Velebit: "Frau Budisavljević hat meine Mutter angerufen und gefragt, ob sie kommen kann. Der erste Kindertransport aus Jasenovac sei da. Meine Mutter zog ihren Regenmantel an, streifte eine Binde des Roten Kreuzes über den Ärmel und fuhr zum Bahnhof. Dort sah sie diese ausgehungerten Kinder mit geschwollenen Bäuchen. Meine Mutter nahm ein Baby, das ihr seine Arme entgegenstreckte, unter ihren Mantel und ließ es nicht mehr los."
Anders als Oskar Schindler, der bei der Rettung von Juden in seiner Krakauer Fabrik streng geheim vorging, wandte sich Diana Budisavljević an hohe Vertreter des Ustascha-Staats, wenn auch ohne Erfolg.

Katholischen Kirche zögert bei Hilfe

Sie sprach den Erzbischof der katholischen Kirche von Zagreb, Alojzije Stepinac, an. Der zögerte. Schließlich konnte sie für ihre Aktion den Wehrmachtsoffizier und Duisburger Fußballfunktionär Wilhelm Knehe gewinnen und Gustav von Koczian, einen ehemaligen österreichisch-ungarischen Offizier, der damals in Zagreb Arbeitskräfte für die Wiener-Neustädter Flugzeugwerke rekrutierte.
Koczian war – vermutlich seit k.-u.-k.-Zeiten – mit dem stellvertretenden Chef des Ustascha-Staats, Slavko Kvaternik, befreundet. Dank Knehes und Koczians Interventionen erhielt Diana Budisavljević die Genehmigung, die serbischen Kinder aus den Lagern zu holen. Auch der oberste Vertreter der Wehrmacht in Kroatien sah die Verfolgung der Serben kritisch.
Carl Bethke: "Die Serbenverfolgung durch die Ustascha in Kroatien entsprach keiner nationalsozialistischen Doktrin. Man akzeptierte das", weiß der Südosteuropa-Historiker Carl Bethke.
"Hitler hat es in einem bestimmten Moment ermutigt. Aber dann stellte sich auch schon heraus, dass eine zu extreme Politik gegenüber den Serben in Kroatien nicht funktional, schädlich sein könnte, dass es den deutschen Kriegsanstrengungen eher schadet."

Rettung von etwa 10.000 Kindern

Auch wenn einige Deutsche sie unterstützten, war Diana Budisavljevićs Engagement mit vielen Gefahren verbunden. Letztendlich gelang der Zagreberin mit österreichischen Wurzeln die Rettung von etwa 10.000 Kindern, eine der größten Rettungsaktionen im Zweiten Weltkrieg.
Anerkennung wurde ihr nach 1945 dafür nicht gezollt. In Titos Jugoslawien ignorierte man sie und beschlagnahmte sogar ihre Kartei, mit deren Hilfe viele gerettete Kinder bei Kriegsende ihre Eltern wiederfanden. Diana Budisavljevićs großbürgerliche und deutsche Herkunft passten nicht ins titoistische Weltbild.
Dana Budisavljević, eine entfernte Verwandte von Dianas Ehemann, arbeitete jahrelang an ihrem Film über die Rettungsaktion. "Das Tagebuch der Diana Budisavljević" hatte in diesem Sommer Premiere und erhielt bedeutende Auszeichnungen.

Kroatische Geschichte und heutige Konflikte

Doch nicht alle finden das gut. Denn wer die Leistung der mutigen Diana anerkennt, gibt zu, dass das Ustascha-Regime unschuldige Kinder einsperrte und verhungern ließ. Das passt der derzeitigen kroatischen Staatsführung gar nicht, sagt die Filmemacherin Dana Budisavljević. Mit ihrem Film will sie die Öffentlichkeit wachrütteln.

Dana Budisavljević: "Seit 20 Jahren versucht man bei uns, das Ustascha-Regime zu rehabilitieren. Dieses Regime habe den Wunsch des kroatischen Volkes nach einem eigenen Staat verwirklicht. Die Rassengesetze musste man quasi unterschreiben. Ein großes Problem ist, dass die Staatsspitze den faschistischen Gruß nicht verurteilt, der dem deutschen Hitlergruß entspricht. Mit der Vergangenheit werden Wahlkämpfe bestritten: entweder Ustascha oder Partisanen. So grenzen sich rechte und linke Szene voneinander ab. Ich finde es völlig krank, dass eine Gesellschaft gefangen ist in einem Konflikt über den Zweiten Weltkrieg."
Welche Bedeutung dieser Konflikt hat, zeigt: Der Historiker Hrvoje Klasić von der Universität Zagreb erhielt Morddrohungen. Der Grund: Klasić begeisterte sich öffentlich für den Film von Dana Budisavljević und seinen Erfolg beim Publikum. Die Morddrohungen kamen anonym per Post, unterschrieben von heutigen Anhängern des Ustascha-Regimes.
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