Kinderzimmer

Wenn der Roboter die Gute-Nacht-Geschichte vorliest

Ein Pflegeroboter für Schlaganfall-Patienten wird am 11.05.2016 in Erfurt (Thüringen) vorgestellt. Der Roboter soll helfen, wieder Laufen zu lernen. Er wurde im Rahmen eines Pilotprojektes in Ilmenau entwickelt. Die Gesamtkosten des Projektes belaufen sich den Angaben der Entwickler nach auf etwa 1,5 Millionen Euro. Foto: Martin Schutt/dpa | Verwendung weltweit
Pflegeroboter sind in Krankenhäusern und bei Senioren im Einsatz. Nun könnten sie auch die Kinderzimmer erobern © dpa-Zentralbild / Martin Schutt
Wolfgang Kaschuba im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Überhitzte Akkus können keine Elternwärme ersetzen, sagt der Ethnologe Wolfgang Kaschuba. Er ist deshalb beim Einsatz von Robotern in Kinderzimmern sehr skeptisch. Dennoch stehen sie dieses Jahr auf vielen Weihnachtswunschzetteln von Jungen und Mädchen.
Auf den Wunschzetteln haben die Roboter offenbar die Modelleisenbahn längst abgelöst. Sie können, wie das Exemplar "Jibo" zum Beispiel, Familienfotos machen und Kindern Gute-Nacht-Geschichten erzählen. Ähnlich funktioniert auch der "Robopanda", der sogar seinen Charakter wechseln kann. Mit einem anderen Roboter-Produkt kann ein Kind die Star-Wars-Filme gucken und sich mit der Maschine über die Filme unterhalten.

Wunderwaffe Eltern

Der Ethnologe Wolfgang Kaschuba betrachtet diesen Einzug der Roboter ins Kinderzimmer nach eigenen Worten mit einiger Verwunderung und Falten auf der Stirn. Er fürchte, dass sie gerade dort zum Einsatz kämen, wo Kinder eigentlich ihre Eltern bräuchten, sagte Kaschuba im Deutschlandradio Kultur. "Das kann ihre Zeit füllen, das kann ihre Aufmerksamkeit fesseln, aber es kann natürlich in keiner Weise die Wunderwaffe Eltern ausfüllen." Wichtig sei daher, dass Eltern so einen Roboter vernünftig einsetzten und präsent blieben.

Intelligente Lösungen finden

"Da wird man lang streiten können und die Pädagogen werden das sicherlich mindestens jahrezehntelang tun", sagte der Ethnologe. Wichtig sei, dass Eltern auch in Zeitnot intelligente Kombinationen fänden - von mal weg sein und mal Zuwendung haben. "Dann kann das schon funktionieren." Das betreffe gerade auch Alleinerziehende, die über eine Viertelstunde Entlastung vermutlich glücklich wären. Problematisch sei es, wenn aus der Viertelstunde dann drei Stunden würden. "Der überhitzte Akku ist eben doch nicht die Elternwärme", sagte er.

Unterschiede zum Einsatz bei Senioren

Kaschuba unterstrich, dass es wichtig sei zwischen dem Einsatz von Robotern bei Senioren und bei Kindern zu unterscheiden. In der "Seniorenkultur" sei diese Zuwendung oft nicht anders zu organisieren. Aber da gehe es eben auch nicht mehr um die Zukunft von Jahrzehnten, sondern es gehe darum, Jahre erfüllend und sinnvoll auszufüllen. Kinder seien dagegen abhängig von den Eltern, um einmal als Jugendliche unabhängig zu werden. Wenn zu viel Technik zum Einsatz komme, stelle sich die Frage, ob ein junger Mensch dazu fähig werde, sich anderen Menschen zuzuwenden.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Manche Dinge ändern sich nicht: dass Kinder sich etwas zu Weihnachten wünschen, das zum Beispiel. In Deutschlands größter Weihnachtspostfiliale im brandenburgischen Himmelpfort sind bereits – das meldet uns die Post – über 250.000 Wunschzettel angekommen. Was sich ändert, ist das, was sie sich wünschen. Lassen Sie die Modelleisenbahn mal schön im Keller – Roboter sind gefragt.
Jibo zum Beispiel, der kann Fotos machen und Kindern Gute-Nacht-Geschichten erzählen, oder der Robopanda: bei dem Freund kann man sogar den Charakter auswechseln je nach Laune, oder der Roboter, der mit den Kindern Star-Wars-Filme guckt und mit dem man dann fachkundig darüber plaudern kann. Ist das spooky oder ist das die schöne neue Kinderwelt, die vielleicht so schlecht gar nicht ist? Fragen wir den Berliner Ethnologen Wolfgang Kaschuba. Guten Morgen!
Wolfgang Kaschuba: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Schauen Sie entspannt auf diese Automatisierung im Kinderzimmer oder legen sich Falten auf Ihre Stirn?
Kaschuba: Na, entspannt nicht ganz, verwundert einerseits, andererseits schon mit Falten auf der Stirn, weil wir natürlich wissen, dass tatsächlich dort, wo Kinder besondere Zuwendung von Eltern bräuchten, wahrscheinlich genau diese Marktlücke geschlagen wird. Computer sind natürlich in der heutigen Ästhetik … Es kann ihre Zeit füllen, es kann ihre Aufmerksamkeit fesseln, aber es kann natürlich in keiner Weise die Wunderwaffe Eltern ausfüllen.
Frenzel: Nun hat es ja immer Veränderungen gegeben bei den Spielzeugen, bei dem, was sich Kinder wünschen, was auch möglich ist, was man sich wünschen kann. Glauben Sie, dass wir da noch mal eine andere Qualität jetzt erreichen dadurch, dass das auch Geschenke sind, die sich wirklich auf Sozialverhalten auswirken?
Kaschuba: Also ich glaube schon, dass wir sehr genau hinschauen müssen, jetzt nicht die überängstlichen Eltern sein müssen, auch nicht der Verteufler eben der digitalen Ware. Das ist, glaube ich, nicht so der Punkt. Der eröffnet Kindern natürlich auch Möglichkeiten, aber im Grunde genommen eröffnet er Möglichkeiten immer nur dieser Dyade Eltern-Kindern. Wenn die Eltern das vernünftig einsetzen, gar nicht überpädagogisiert, sondern wenn sie präsent bleiben, dann erweitert das für Eltern den Zugang zu Kindern, möglicherweise auch zu kleineren Kindern.
Wir wissen, dass die sehr früh im Grunde genommen schon in so digitale Vorwelten hineinkommen, und etwas ist natürlich neu: Vorher waren Spielzeuge in aller Regel doch meistens Dinge, die separat für Kinder waren. Der Computer ist natürlich etwas, was auch kleinen Kindern schon sehr einleuchtet, weil das ist das, was ihre Eltern auch machen. Wir wissen, dass Kinder, je jünger sie sind, zunächst mal ihre Eltern imitieren. Also dieser Stolz, der dann schon bei Dreijährigen entsteht, weil sie dasselbe machen können wie Mami oder Papi, das hat natürlich eine gewaltige Verführungskraft.

Gerade Alleinerziehende betrifft das

Frenzel: Mami und Papi, die gestresst sind, vielleicht gar nicht die Zeit haben vorzulesen, wirklich präsent zu sein – ist es da nicht besser, der freundliche Roboter liest vor, bevor es gar keiner tut?
Kaschuba: Na ja, da wird man dann streiten können, und die Pädagogen werden das sicherlich auch noch mindestens jahrzehntelang tun. Ich glaube, wenn es integriert wird, wenn also die Eltern aus ihrer Zeitnot intelligente Kombinationen machen von mal weg sein und mal Zuwendung haben, dann kann das schon funktionieren. Das betrifft ja gerade auch Alleinerziehende, und die werden zunächst mal sicherlich auch über manche Viertelstunde sehr glücklich sein, aber wenn aus der Viertelstunde eben drei Stunden wird, dann wird es problematisch, und der überhitzte Akku ist eben doch nicht die Elternwärme.
Also das ist noch mal eine andere Form eben des Kontaktes, der Nähe, der Zuwendung, und Kinder werden, wenn es dann nur der noch so charakterlich auswechselbare PC ist, sie werden eben auch das Defizit an Zuwendung verspüren, und möglicherweise – das wissen wir natürlich noch nicht, aber Kinder sind ja nun sehr schlau –, möglicherweise noch mehr, wenn sie wissen, sie werden da sozusagen abgestellt mit ihrem Jibo oder mit dem Panda, die kommen den Eltern schon ziemlich schnell auf die Schliche.
Frenzel: Stichwort künstliche Intelligenz: Früher konnte man ja die Nase leicht rümpfen über diese Geräte, weil sie eben ja auch tendenziell eher stumpf und stupide waren, der Gameboy, andere Sachen. Wenn jetzt diese Maschinen immer menschlicher werden, müssen wir dann nicht vielleicht noch mal neu drüber nachdenken, dass da vielleicht auch wirklich Qualitäten entstehen, die vieles von dem, was Sie gerade als wirkliche menschliche Qualität eingefordert haben, eben auch liefern?
Kaschuba: Ja, ich denke, in Kombination mit Zuwendung und Eltern schon, wobei ich noch mal deutlich einen Unterschied machen würde zwischen Kinderkultur und Seniorenkultur. In der Seniorenkultur, das sehen wir jetzt schon, ist diese Zuwendung manchmal gar nicht anders zu machen, nicht anders zu ersetzen. Da kann man jetzt aber auch nicht sagen, da geht es noch um die Zukunft von Jahrzehnten von Leben, sondern da geht es dann um Jahre, die vernünftig und erfüllend irgendwie ausgefüllt sein sollen, und da können Computer durch ihre Breite des Angebots, die Optik, die Akustik, die Ästhetik – es wird irgendwann auch noch Gerüche, olfaktorisch vermutlich –, aber so wie die Kinder abhängig sind von den Eltern, um unabhängig zu werden, wenn sie dann 14, 16, 18 sind, so müssen wir natürlich dann im Grunde genommen eben auch mit den Computern umgehen, und wenn das Kind zu sehr konzentriert wird auf diese Oberfläche, dann müssen wir uns natürlich schon Gedanken machen, ob das dann ein junger Mensch wird, der fähig ist zur Zuwendung zu anderen, die eben doch eine Aktivität, den Wechsel und so weiter bedeuten, den können Eltern mitmachen. Beim Jibo muss ich vielleicht dann doch erst mal die SIM-Karte auswechseln. Die Dynamik ist unglaublich.

Keine Bastelumwelten mehr

Frenzel: Warum fasziniert die Modelleisenbahn nicht mehr?
Kaschuba: Tja, also ich fürchte zum einen, weil die Computer eben ein sinnlich breiteres Angebot geben. Klammer auf: Die Modelleisenbahn war ja auch etwas zum Basteln, und ich glaube, unsere Kinder haben keine richtig großen Bastelumwelten mehr, weil das fängt natürlich damit an, dass man alte kaputte Dinge auseinandernehmen kann und weiß, wie neue funktionieren, dass man viel Zeit hat. Da ist das Computerprogramm schneller aufgebaut als die Eisenbahn, und zum anderen eben, das optische Angebot des Computers ist einfach für Kinderaugen brillant.
Frenzel: Wolfgang Kaschuba, Ethnologe und Direktor des Berliner Instituts für Migrationsforschung, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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