Kritik an Behörden im Missbrauchsskandal wächst
Seit Ende der 90er Jahre wurden in Rotherham in Großbritannien mehr als 1.400 Kinder und Jugendliche systematisch vergewaltigt und misshandelt. Doch die Behörden schritten nicht ein, wie ein Untersuchungsbericht nun aufdeckt.
Wie konnte es passieren, dass Hunderte von Kindern und Jugendlichen missbraucht wurden, ohne dass Polizei oder Jugendbehörden etwas davon bemerkt haben? Diese Frage wird in Rotherham, aber auch im Rest von Großbritannien immer lauter gestellt. Fest steht: Die meisten der Täter kamen aus der pakistanischen Gemeinde, wie genau sie organisiert waren, wird noch untersucht. Ihre Opfer, Mädchen im Alter zwischen 10 und 15 Jahren, haben sie zum Teil brutal vergewaltigt, oft über Jahre hinweg. Im britischen Fernsehen erzählt eine junge Frau, die nur Emma genannt wird, wie sie diese Jahre des Missbrauchs erlebt hat.
"Mir haben diese Verbrecher gesagt, ich solle mich damit abfinden, was mit mir passiert, so sei nun mal das Leben und ich sei völlig wertlos - als ich mich bei der Polizei gemeldet habe, da haben mir die Beamten das gleiche gesagt - und ich hab mir gedacht, vielleicht bin ich einfach wirklich zu empfindlich."
Tatsächlich haben die Behörden in dieser Zeit immer wieder Hinweise von Kindern bekommen. Aber keiner Spur sind sie nachgegangen. Vor allem der Leiter der regionalen Polizei-Behörde, Shaun Wright, gerät in die Kritik - das Pikante: Bevor er seinen Polizei-Posten bekommen hat, war er im Stadtrat von Rotherham für Kinder- und Jugendfragen zuständig. Er denkt allerdings nicht an Rücktritt.
"Ich glaube nicht, dass irgendetwas von dem was hier passiert ist, mein persönlicher Fehler war. Ich trage eher eine kollektive Verantwortung - wenn sie einem Stadtrat mit 63 Mitgliedern angehören, dann sind sie natürlich immer mitverantwortlich für die gesamte Organisation."
Labour-Partei unter Druck
Keine ganz leicht verständliche Argumentation - aber Shaun Wright wurde auf diese Polizei-Posten gewählt - das ist in England nicht ungewöhnlich - niemand kann ihn deshalb feuern, er müsste selber seinen Hut nehmen. Aber er ist auch ein Mann der Labour-Partei, deshalb hat sich inzwischen auch die Partei-Führung in London eingeschaltet - Ed Balls, der ehemalige Finanzstaatssekretär hat seinen Partei-Freund öffentlich zum Rücktritt aufgefordert.
"Die Labour-Partei ist sich einig darin, dass Shaun Wright gehen muss. Dieser Bericht listet nicht nur abscheuliche Verbrechen auf, sondern zeigt auch, dass es hier an Führungsstärke gefehlt hat. Denn es gab Hinweise, aber niemand ist ihnen nachgegangen. Und wenn die Führung fehlt, dann muss jemand Verantwortung übernehmen."
Verbrechen vor lauter political correctness nicht verfolgt
Auch die Innenministerin Theresa May hat Wright den Rücktritt nahe gelegt. Viele der Opfer kamen aus sozial benachteiligten Familien und wurden vom Jugendamt betreut. Neben der Polizei muss deshalb auch die Stadtverwaltung Fragen beantworten. Der Untersuchungsbericht stellt fest, dass einige Mitarbeiter zwar etwas wussten - aber sie haben sich offenbar nicht getraut, ihre Beobachtungen weiter zu geben, aus Angst hinterher als Rassisten hingestellt zu werden. Denn die Beschuldigten kommen nahezu allesamt aus der pakistanischen Gemeinde. Vor allem dort sorgt dieser Untersuchungsbericht für große Aufregung, sagt Muhbeen Hussain, er vertritt eine örtliche Jugendgruppe.
"Das ist wie eine Bombe eingeschlagen in den pakistanischen Familien hier bei uns, viele fürchten, dass unsere Gemeinde vor der Spaltung steht - aber es sind abscheuliche Verbrechen, die da begangen wurde und wenn ich mir überlege, dass diese Verbrechen vor lauter political correctness nicht verfolgt wurden, dann ist das lächerlich."
Die Konsequenzen dieses Missbrauchs-Skandals mit seinen 1.400 Opfern sind noch nicht absehbar. Die Polizei ermittelt gegen die mutmaßlichen Täter. Möglicherweise werden auch Ermittlungen gegen Polizeibeamte und Mitarbeiter der Stadt aufgenommen. Die Leiterin Autorin des Untersuchungsberichts weist außerdem darauf hin, dass sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen ein zunehmendes Problem ist, es sei deshalb gut möglich, dass ähnliche Fälle mit ähnlichen Dimensionen auch in anderen britischen Städten öffentlich werden.