Ach, du traurig-hipper Großstadt-Pool!
Mitten in London gibt es einen Badeteich, der an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist: der King's Cross Pond. Wer sich in diesem städtischen Pool abkühlt, wird von Bauarbeitern begafft, kann sich aber am sauberen Wasser erfreuen. Eine eigenartige urbane Erfahrung.
Nur 20 Grad, der Himmel bewölkt. Um halb sieben morgens bin ich da. Hinterm Bahnhof King’s Cross, wo vor 15 Jahren noch eine heruntergekommene Industriebrache voller Eisenbahnstrecken lag.
Jetzt wachsen im Sanierungsgebiet Wohnungs- und Büroblocks.Bäume wurden in der Mitte neu gepflanzt auf einem schmalen, langgezogenen Rasenrechteck, das einmal zum Park werden soll. An dessen Ende erhebt sich, hinter einem rot-weißen Metallzaun ein zwei Meter hoher Hügel. An den Böschungen bunte Wiesenblumen und Gräser, oben wartet der Teich.
"Hello. Good morning. I should have a booking. What’s the name? Spengler. Yep. First time? First time."
Und dann gibt mir Cora einen Schlüssel für die Schließfächer, zeigt auf die rot-weißen Umkleiden und die Duschen.
Nach dem Abduschen geht’s den Hügel hinauf und da liegt er: der nierenförmige, 40 Meter lange Teich, in dessen abgetrenntem Ende Schilf wächst. Ringsum Hochhäuser, ein Rohbau, Betonsilos, Kräne, eine Containerburg und ein gewaltiger Haufen Erdaushub. Nicht gerade eine romantische Idylle.
Ein Dutzend Leute tummelt sich im Wasser, dessen Temperatur mir erst einmal den Atem stocken lässt. Das sollen 21 Grad sein?
Vor der Arbeit ein Abkühlung
Bürokollegen haben sich zur frühen Stunde hier verabredet und werden von frühstückenden Bauarbeitern begafft. Die meisten Besucher sind zum ersten, aber – wie sie beteuern – nicht zum letzten Mal da, um kurz vor Arbeitsbeginn einige Bahnen zu schwimmen; etwa Saheba, der es trotz des Lärms von Rasenmähern und Baumaschinen gefällt:
"Ich mag, dass es hier entspannt ist, obwohl hier viel los ist auf den Baustellen ringsum. Und das Wasser ist zwar kalt, aber es schmeckt nicht nach Chemie und brennt nicht in den Augen."
Der King’s Cross Pond nimmt das Wasser aus der öffentlichen Leitung. Er ist der einzige künstlich angelegte öffentliche Badeteich in Großbritannien, der ohne Chlor auskommt und mit Hilfe von Filtern, Unterwasserpflanzen und Schilf gereinigt wird. Deswegen werden auch nur 160 Badegäste am Tag zugelassen. Dauerkarten gibt es nicht, aber David, ein smarter Finanzberater, war schon dreimal hier:
"Ich liebe es zu schwimmen. Es ist das erste Mal, dass wir in der City einen natürlichen Badesee haben und ich arbeite in der Nähe. Wenn ich ein paar Bahnen vor der Arbeit schwimmen kann, ist das ziemlich cool."
Ob ihn der Lärm nicht stört, will ich wissen.
Mann: "Ich kraule und höre dann gar nichts, aber ich würde hier draußen nicht länger als nötig bleiben, ich mag es ruhig und wenn es zu laut ist, dusche ich noch schnell und gehe dann arbeiten."
Manchmal brettert laut ein Zug vorbei
Die Sonne kommt nun hinter einem Hochhaus hervor und Cora vom Eingang thront inzwischen als Rettungsschwimmerin auf dem Bademeisterstuhl - über dem 2,80 tiefen Teich.
"That’s a train – yes the Eurostar ."
Ein Eurostar aus Brüssel fährt lautstark vorbei und ich flüchte ins Wasser. Schnell noch einige Wachmacher-Runden vor dem Treffen mit Ian Freshwater. Der heißt wirklich so und ist der zuständige Projektmanager bei Argent, der Bauträgergesellschaft, die das King’s-Cross- Areal mitbesitzt und saniert.
"Es gibt ein Revival zumindest in London: Menschen wollen mehr wissen über Freiluft-Schwimmen. Sie finden es reizvoll in der Themse zu baden, in Flüssen; Es ist ein Zurück zur Natur, um ein bisschen freier zu sein von den Chemikalien, davon nach drinnen zu gehen, es beheizt zu haben und sicher."
Mit dem Start des auf zunächst zwei Jahre angelegten Teich-Projekts ist Ian Freshwater zufrieden. Die eigentliche Bewährungsprobe wird im Winter kommen: Nur die wirklich Hartgesottenen dürften sich dann in das kalte Wasser wagen.