Kino als Oper

Von Frieder Reininghaus |
In ihrem Fellini-Zyklus präsentiert "De vlaamse opera" mit ihrem vierten und letzten Stück "La Strada" eine nostalgische und sehr flämisch geprägte Würdigung des Films. Die Inszenierung beschwört schöne Bilder vom einfachen armen Leben. Die dazu von Tonsatzdozent Luc van Hove komponierte Musik wirkt sehr akademisch.
Nach einem Puccini-Zyklus in den frühen und mittleren 90er Jahren entwickelte "De vlaamse opera" in den letzten Jahren einen Fellini-Zyklus. Den Auftakt bildete eine Neuinszenierung von Bruno Madernas "Satyricon". Es folgten Giorgio Battistellis "Prova d'orchestra" (UA Strasbourg 1995; auch in Düsseldorf 1997) und Nino Rotas "Aladin und die Wunderlampe". Nun folgte als viertes und letztes Stück dieser Serie die Uraufführung einer Auftragsarbeit, die an den flämischen Komponisten und Hochschullehrer Luc van Hove vergeben wurde: "La Strada" – eine nostalgische und sehr flämisch geprägte Würdigung des Films von 1953/54 mit Anthony Quinn und Giulietta Masina.

Die Uraufführung fand am 29.1. unter Anwesenheit der belgischen Königin statt.
Mit ihr ging es noch einmal also geht es – im Zeitabstand von mehr als fünf Jahrzehnten – um Gelsomina, die von ihrer bettelarmen Mutter an einen Jahrmarktsartisten verkauft wird. Sie tritt damit an die Stelle einer älteren Schwester, die der Kraftprotz Zampanò auch schon gekauft hat und die irgendwie tot ging (aber darüber wird nicht gesprochen). Wie im Film, so auch in der Oper: der große Zampanò behandelt seine "Assistentin" brutal. Aber da sie nun einmal versessen ist auf Varieté und Zirkus und hofft, in diesem Dunstkreis irgendwann einmal eine Chance zu bekommen, so klein diese auch sei, zieht sie nun von einem Dorfplatz zur nächsten Kirmeswiese mit ihm.

Der Tonsatzdozent Luc van Hove schrieb zu Fellinis Rührgeschichte Tonsatzdozentenmusik – etwas ganz und gar Akademisches (allerdings, trotz erheblichem Trompeten-Einsatz, ohne deutliche Bezugnahme auf Nino Rotas Originalmusik). Stilistisch ist Hoves Arbeit zwischen moderater Freitonalität und der erweiterten Tonalität der gemäßigten Nachkriegs-Moderne angesiedelt, erweist auch Ravel-Referenz. Die Regie-Arbeit von Waut Koeken beschwört schöne Bilder vom einfachen armen Leben, vom Zirkus in Rom und einer fast gutmütigen Tötung am Strand.

Jeanette Fischer, die mit großen Arien bedachte Hauptdarstellerin, schaut mit ihren Kulleraugen zu, wie der Musikartist ‚Il Matto’, der als guter Engel in ihr Leben trat, vom brutalen Kraftmenschen zusammengeschlagen wird und ertrinkt. Richard Salter, vielfach bewährt in schwierigen Uraufführungspartien neuer Opern quer durch Europa, macht seine Sache gleichfalls vorzüglich. Die artistischen Anstrengungen können nicht über den Grundmangel des Werks hinwegtäuschen, das noch einmal von der in ihrer Mitmenschlichkeit anrührenden Poesie der Fellinischen Bildsprache und der Aura der nostalgischen Bildwelt zu profitieren sucht. Über sinnentleerten und restaurativ gemünzten Nachvollzug kommt diese Oper, die den Blick aufs "Prekariat" richtet, nicht hinaus. "Kinder, schafft Neues", forderte schon Richard Wagner vor mehr als hundert Jahren.