Die Top Five der Arthouse-Filme
Verschwiegene Gewalt, eine Hommage ans alte Hollywood und das Leben der Anne Frank - das sind die Themen der beliebtesten Arthouse-Filme zurzeit.
"What stuff are we seeing today, Fritz?"
"Jeder Film muss eine Idee klar zum Ausdruck bringen, Jerry. Hier geht es um den Kampf des Individuums gegen das Schicksal."
"Jeder Film muss eine Idee klar zum Ausdruck bringen, Jerry. Hier geht es um den Kampf des Individuums gegen das Schicksal."
Was ist los mit dem Kino in diesen Tagen? Diese wunderbar starken, komplexen Frauenfiguren auf …
Sprecher: "Platz 5 …Platz 4 …Platz 3…"
Sarah Gavrons Wäscherin, die in die Suffragetten-Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts gerät …
"Suffragette - Taten statt Worte"
… die fünf türkischen Schwestern, die …
"Mustang" von Deniz Gamze Ergüven...
...die gefangen sind - konkret wie übertragen - in einem restriktiven Moralkodex und um Freiheit und Selbstbestimmung kämpfen, so wie die Wäscherin Jahrzehnte vorher. Das jüdische Mädchen, die sich mit unfassbarer Kraft, aber vergeblich...
"Das Tagebuch der Anne FranK" von Hans Steinbichler
…gegen die Vernichtung durch die Nazis wehrt. Große Figuren, große Frauengeschichten. Jammern über den Zustand des Kinos gerne beim nächsten Mal wieder. Heute nicht! Punkt!Wobei zu dieser euphorischen Kino-Stimmung auch der diesjährige Oscar-Gewinner vehement beiträgt.
"Sie sind Chefredakteur des Spotlight-Teams?"
"Also, wir sind ein vierköpfiges Investigations-Team."
"Also, wir sind ein vierköpfiges Investigations-Team."
"Spotlight" von Tom McCarthy.
Die intensivste Wirkung erzeugt das Kino häufig, wenn es klug den Grat zwischen Zeigen und Nicht-Zeigen abschreitet. Das wusste Ridley Scott in seinem Science-Fiction-Horror-Meisterwerk "Alien". Das weiss - vollkommen anderes Genre, aber so breit ist Geschichtenerzählen im Kino nun mal -, das weiss auch Lázló Nemes, der mit seinem Auschwitz-Drama "Son auf Saul" den Oscar für den Besten Fremdsprachigen Film gewann. Das, was wir nicht sehen, evoziert häufig einen viel tieferen Schock als Gezeigtes. Tom McCarthys "Spotlight" erzählt vom systematischen Missbrauch, den katholische Priester in Boston an Kindern und Jugendlichen über Jahre begingen.
"Law wusste es. Deswegen hat er so reagiert. Er wusste, es gibt andere."
Kosmos von Gewalt und Verschweigen
Doch McCarthy entwirft diesen Kosmos von Gewalt, Lügen und Verschweigen ohne eine kinotypische Missbrauchsszene, indem er die Journalisten zeigt, die das aufdecken. Ein genialer dramaturgischer Schachzug.
"Nun ja, er mag nicht perfekt sein, aber wir müssen das Gute erhalten trotz einiger verdorbener Äpfel. - So entsteht so was. Oder, Pete?"
"Was meinen Sie?"
"Irgendeiner übt Druck auf einen anderen aus. Und eine ganze Stadt sieht einfach weg!"
"Was meinen Sie?"
"Irgendeiner übt Druck auf einen anderen aus. Und eine ganze Stadt sieht einfach weg!"
Und außerdem - auch das macht Kino merkwürdigerweise immer wieder sinnlich wie faszinierend - ist "Spotlight" ein Film, der Arbeit abbildet. Die des investigativen Printjournalismus. Der Chefredakteur bei seinem Verleger:
"Sie wollen die katholische Kirche verklagen. Sie halten das für derart wichtig?"
"Ja, das tue ich."
"Was von unseren Abonennten nicht unbemerkt bleiben wird. 53 Prozent sind katholisch. - Ich denke, es wird sie interessieren."
"Ja, das tue ich."
"Was von unseren Abonennten nicht unbemerkt bleiben wird. 53 Prozent sind katholisch. - Ich denke, es wird sie interessieren."
Spotlight - großes Kino.
Verbeugung vor dem alten Hollywood
"Hail, Caesar"
Platz 5 - "Hail Caesar!" von Joel und Ethan Coen
Der Coens Verbeugung vor dem alten Hollywood der 1950er-Jahre, in der Hauptrolle Josh Brolin als Eddie, der Studio-Mann, der jeden Skandal zu reparieren hat … "Hail, Caesar!" hat dabei einen Moment, der den Kern des Kino zeigt, besser, spürbar werden lässt: George Clooney als Mega-Star, der nach seiner Entführung zurückkehrt zu den Dreharbeiten des Bibelschinkens und loslegt mit seinem Abschluss-Monolog - vor dem am Kreuz hängenden Jesus -, legt so los, dass die ganze Stimmung von Ironie und Absurdität, die den ganzen Film bisher prägte, mit jedem Wort, jedem Halbsatz, den dieser Baird Whitlock spricht, langsam hinübergleitet in Wahrhaftigkeit und Ehrfurcht erzeugt, ja, Andächtigkeit. Ganz unironisch.
Weder das Skriptgirl, noch der Beleuchter, noch der Regisseur, noch wir Kinogänger, die wir uns vorher kringelig gelacht hatten über diesen absurden Hollyood-Kosmos, können uns dem entziehen. Plötzlich also ein vollkommen anderer Ton. Baff, es ist passiert! Warum? Es ist einfach so! Verblüffende Szene, wenn die Coen-Brüder so die Macht des Kinos auf den Punkt bringen, und - "Hail, Caesar!" wäre kein Coen-Film, wenn das jetzt nicht passieren würde … hören Sie selbst:
"Eine Wahrheit, die wir sehen könnten, hätten wir doch nur."
"Ja!?"
"… hätten wir nur …"
"…einen.."
"… einen …"
"Glauben!"
"Glauben! Glauben!"
"Cut!"
"Glauben!"
"Ja!?"
"… hätten wir nur …"
"…einen.."
"… einen …"
"Glauben!"
"Glauben! Glauben!"
"Cut!"
"Glauben!"
Der Star hat schon wieder mal, kurz vor der spirituellen Klimax, seinen Text vergessen. Ende mit Andacht! Und dabei haben wir euch, sagen uns die Coens, wir haben euch doch vorher die ganze Zeit gezeigt, dass das alles nur Schein ist. Aber uns Kinogängern ist einfach nicht zu helfen.