Exzess gegen Stress

Warum sind brutale Filme so beliebt?

Auf dem Bild sitzt eine junge Frau. Sie lehnt an ein einer Tür mit schockiertem Gesichtsausdruck. Ihr Gesicht ist blutüberströmt.
Schockierende Gewalt findet sich auch im LIebesdrama "Love Lies Bleeding" mit Kristen Stewart. © IMAGO / Landmark Media / IMAGO
Aktuell boomen Horror- und Gewaltexzesse im Kino. Brutale und furchterregende Filmszenen sind längst aus Horrorfilmen in den Mainstream übergegangen. Und das ist nicht nur unterhaltsam, sondern hilft auch gegen Stress.
Wer gerne ins Kino geht, aber weder Horrorfilme mag noch Blut sehen kann, der oder die musste sich diesen Kinosommer wohl überwinden: „Longlegs“, „Deadpool & Wolverine“, „Love Lies Bleeding“ – brutale Filme dominieren nämlich das diesjährige Filmprogramm. Und das mit großem Erfolg an den Kinokassen, nicht nur bei eingefleischten Horrorfans. Hier sind drei Erklärungsansätze für diesen Trend.

Extreme sind erfolgreich

Gewaltvolle Szenen in Filmen sind zwar nicht neu, werden derzeit aber auffällig oft und überraschend blutig auf die große Leinwand projiziert. Darin ist ein Trend erkennbar. Filmemacher experimentieren zunehmend mit exzessiven Bildern. Im Dickicht der Streaminganbieter und des Überangebots an Filmen und Serien ist der Rückgriff auf besonders extreme Darstellungen auch ein Versuch, sich aus der Masse der Medien hervorzuheben.
Die Jahre der Pandemie haben die Kinos in eine wirtschaftlich prekäre Lage gebracht. Das Interesse am Kino hat stark eingebüßt. Kinos versuchen auch deshalb, ihr Programm stärker zu diversifizieren, um verschiedene Zuschauergruppen anzusprechen. Hinter Genrefilmen wie z.B. Horror versammeln sich häufig ganz eigene Fangemeinden. Mit Horror-Elementen möchte man diese Fangemeinden auch für den Mainstream gewinnen.
Ein Beispiel ist die seit ihrem Oscar-Erfolg mit „Everything, Everywhere all at once“ weltbekannte Produktionfirma A24. Das Independent-Studio setzt schon seit Jahren auf Filme, die sich aller möglichen Genres bedienen, so eben auch Horror.
So scheint der aktuelle Film des Studios „Love Lies Bleeding“ im Gewand eines Liebesdramas zweier Frauen daherzukommen. Plötzliche Gewaltausbrüche sprengen diese Erwartung und ziehen womöglich auch Zuschauer ins Kino, die einem reinen Drama nichts abgewinnen können.

Gewalt entspannt

Dass mediale Gewalt eine faszinierende Wirkung auf uns Menschen hat, wird in der Medienpsychologie untersucht. Im Film gilt dabei die Faustformel: je gewalttätiger die Szene, desto stärker die Sogwirkung auf Zuschauer. Schon rein biologisch schenken wir potenziellen Gefahren eine besondere Aufmerksamkeit. Gewalt im Film lässt sich in etwa mit einem Unfall am Straßenrand vergleichen: Wir können einfach nicht wegschauen.
Ein Superheld im rot-schwarzen Gummianzug massakriert seine Feinde mit den Gebeinen eines Toten und tanzt dabei zum 2000er-Boygroup-Hit „Bye, Bye, Bye“ von NSYNC. Das klingt erstmal völlig absurd, ist aber das Intro des zweiterfolgreichsten Kinofilms dieses Jahres: Deadpool & Wolverine.
Im Gegensatz zum realen Unfall kann fiktive Gewalt allerdings tatsächlich Spaß machen und letztlich auch eine entspannende Wirkung haben. Extreme Szenen von Gewalt setzen zunächst zwar Adrenalin frei, laut der Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin Anne Bartsch vergessen wir dadurch aber für kurze Zeit unsere Alltagssorgen.

Horror macht stressresistent

Aber wie lässt sich der Trend zu gewaltvollen Filmen gerade in äußerst gewaltvollen Zeiten erklären? Der Klimawandel und die Inflation sorgen bei vielen für Überforderung und Unsicherheit. Durch die Sozialen Medien sind Kriege auch in Nicht-Kriegsgebieten medial zugänglicher und präsenter denn je. Brutale Bilder und Videos aus der Ukraine oder Gaza sind nur einen Klick entfernt. Das wirkt belastend auf viele Mediennutzer. Horrorfilme können hier unterstützend wirken.
Laut Mathias Clasen, dem Gründer des „Recreational Fear Lab“ an der Aahrhus Universität in Dänemark, kann es eine positive Wirkung auf die Psyche haben, sich durch fiktive Geschichten in Angst und Schrecken zu versetzen. Denn das würde nicht nur entspannen, sondern erhöhe auch die Resilienz.
Deshalb, so Mathias Clasen, waren Horrorfilme beispielsweise während der Corona-Pandemie besonders beliebt. Einer Studie des Recreational Fear Labs zufolge seien Menschen, die sich viele derartige Filme angeschaut hatten, in Phasen der Lockdowns psychologisch belastbarer gewesen als andere.
Mehr Gewalt und Horror im Film zu wagen, ist also nicht nur einfach der Versuch, die Kinokassen zu füllen, sondern kann auch positiv auf Zuschauer wirken – sei es durch Entspannung vom Alltag oder erhöhte Stressresistenz in Krisenzeiten.

lupi
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