Filme machen bis auf Widerruf
Spätestens seit der Regisseur Jafar Panahi mit "Taxi Teheran" den Goldenen Bären gewann, ist auch einem größeren Publikum die lebendige Filmszene im Iran bekannt. Doch Filme machen ist dort ein Tanz auf der roten Linie: Er folgt keinen Gesetzen, seine Regeln ändern sich ständig.
Mani Haghighi: "Ich mag diese Haltung nicht, dass du mit der Macht nicht verhandeln darfst. Es ist viel schwieriger, in dieses Büro zu gehen und jemandem gegenüber zu sitzen, der kein Wort von dem versteht, was du sagst. Und dann einen Monat lang zu verhandeln. Das ist politisch viel gefährlicher als einfach zu sagen: Ich mache keine Filme, bleibe zuhause und werde depressiv."
Das Städtchen Lavasan liegt östlich von Teheran am Hang des Albors-Gebirges. Die Taxifahrt dauert gut 30 Minuten, die Serpentinen ziehen sich durch eine Landschaft aus braunen Felsen. Lavasan war früher ein Dorf. Die Häuser haben wenige Geschosse und rote Giebeldächer, es gibt auch Luxusvillen, und wegen der viele Ahornbäume ist die Luft besser als in Teheran. In Lavasan leben vor allem wohlhabende Iraner − und Künstler.
Einer von ihnen ist der Regisseur Mani Haghighi. Er hat lange in Kanada gelebt und sieht aus wie George Clooney. Sein Film Die "Ankunft eines Drachen" lief 2016 im Wettbewerb der Berlinale. Ein surrealer Krimi mit kraftvollen Farben. In den iranischen Kinos schaffte es Mani Haghighi dieses Jahr mit der Komödie "50 Kilo Sauerkirschen" auf Platz vier der erfolgreichsten Filme der iranischen Geschichte.
Mani Haghighi: "Der Film beginnt auf einer Hochzeitsparty. Die Polizei kommt, und ein junger Mann und eine junge Frau finden sich in einem Zimmer wieder. Er trägt nur Unterwäsche und wird festgenommen. Jeder denkt, sie hatten Sex, obwohl wir wissen: Das stimmt gar nicht. Der Film hat hier für eine Kontroverse gesorgt. Die konservative Presse spielte verrückt, weil sie nicht glauben konnten, dass da eine Sexkomödie im Kino läuft, die für iranische Verhältnisse so explizit war."
Die Rätsel der Zensurbehörden
Während des Interviews bekommt Mani Haghighi eine Nachricht per Handy: Es gebe das Gerücht, dass "50 Kilo Sauerkirschen" verboten wird. Und genau das passiert ein paar Wochen später – allerdings läuft der Film zu der Zeit ohnehin nicht mehr in den iranischen Kinos. Es bleibt ein Rätsel, warum die Behörden das Drehbuch und den fertigen Film genehmigen und dann im Nachhinein verbieten. Vielleicht weil er so erfolgreich war.
Filme machen im Iran heißt: Arbeiten bis auf Widerruf. Mani Haghighi hat sich darauf eingestellt:
"Ich bin immer wieder darüber erstaunt, was sie in meinen Filmen durchgehen lassen und was sie rausnehmen wollen. Ich habe die Logik der Zensur im Iran nie verstanden. Was ich tue, und das ist kein Geheimnis: Ich filme Dinge, von denen ich weiß, dass sie rausgenommen werden − einfach um ihr Bedürfnis zu befriedigen, irgendwas rausschneiden zu müssen."
Im Iran entstehen jedes Jahr über 100 Spielfilme, mehr als in vielen europäischen Ländern. Die Islamische Republik fördert Filmschaffende mit Stiftungen und Geld. Selbst das "Ministerium für Kultur und Islamische Führung" − zuständig für die Zensur − tut das. Natürlich nur Filme, die nicht die roten Linien überschreiten. Die sind zwar nirgendwo aufgeschrieben, aber jeder im Land kennt oder besser: empfindet sie. Neben Sexszenen ist Kritik am religiösen Führer des Landes, Ayatollah Khamenei, tabu.
Iranische Filme bekommen häufig Preise auf großen Festivals. In diesem Jahr lief der neue Film von Oscar-Preisträger Asghar Farhadi in Cannes. Ein Jahr zuvor holte Jafar Panahi mit "Taxi Teheran" den Goldenen Bären auf der Berlinale. Bei ihm zeigt sich das Paradox des iranischen Kinos: Im Ausland wird Panahi gefeiert, im Inland hat er Berufsverbot. Trotzdem dreht er weiter − mit minimalem Budget, Digitalkamera und an halbwegs geschützten Orten, im Haus oder im Taxi. Seine Filme schmuggelt er aus dem Land, Interviews darf er keine geben.
Über die Videokunst zum Filmemachen
Der Norden von Teheran zieht sich das Albors-Gebirge hinauf, so wie das Städtchen Lavasan. Ein Wohnblock neben dem anderen, dicht an dicht, an vielen Gebäuden wird noch gebaut. Am Ende einer Stadtautobahn liegt das Hochhaus, in dem die Dokumentarfilmerin Negar Tahsili ein Appartement besitzt. Eine elegante Lobby, ein Pförtner, ein lautloser Fahrstuhl.
Negar Tahsili ist eine selbstbewusste Frau, die kurz nach der Islamischen Revolution von 1979 geboren wurde. Den Iran-Irak-Krieg hat sie als Kleinkind miterlebt. Die Eltern zogen damals für einige Zeit in ein Hotel in Teheran, in dem viele Diplomaten lebten: Die Familie hielt das für sicherer.
Negar Tahsili hat Industriedesign studiert − mit Erfolg. Ein Gerät zum Desinfizieren von endoskopischen Geräten konnte sie sich patentieren lassen. Zum Filmemachen findet sie über die Videokunst:
"Im Iran zu leben, gibt mir das Gefühl: Ich muss diese Geschichten erzählen. Darum mache ich Filme. Ich mache weiter, weil ich über Geschichten reden will und über Menschen. Es geht nicht um Filme, es geht um Menschen. Um Stimmungen. Darum mache ich Filme."
Einen Film hat Negar Tahsili über Gender und Gegenwartskunst gedreht. Sie porträtierte die Sängerin Mahsa Vahdat in einem traditionellen männergeprägten Sportclub: in einer "Zurkhane". Das war ein Wagnis, weil Frauen im Iran in der Öffentlichkeit nicht solo singen dürfen – schon gar nicht an einem solchen Ort.
Negar Tahsili: "Du stehst dort diesem Ehrbegriff gegenüber, diesen Männern, dieser Tradition. Das ist nicht die Regierung, nicht die Polizei, es sind die Menschen, die glauben, Frauen sollten nicht öffentlich singen, sie sollten nicht in die Zurkhane gehen und schon gar nicht dort singen."
Sie drehen trotzdem. Es kommt nicht zum Eklat, wohl aber zu Diskussionen mit dem Leiter des Sportclubs. Für Negar Tahsili sind diese Momente wichtig. Denn sie zeigen die Berührung von gestern und heute, von konservativem und modernem Denken. Ein Spannungsfeld, in dem sich das ganze Land befindet.
Negar Tahsili: "Der traditionelle Iran, das war die eine Phase. Wir verlassen sie gerade, es geht gar nicht anders. Wir nutzen die sozialen Medien, wir haben das Internet, wir haben Kontakt zum Ausland. Heute kommen die vielen Ausländer. Alle sind neugierig, nun haben sie Zugang, es ist eine Periode des Wandels."
Die Revolution war ein Einschnitt
Die Geschichte des iranischen Films beginnt ein paar Jahre nach der Erfindung des Kinos. Schon bald entwickelt sich der "filmfarsi", das bedeutet "persischer Film". "Filmfarsi" meint aber − durchaus abwertend − die vielen seichten Melodramen, die damals gedreht wurden. Daneben entstehen intellektuelle Filme, geprägt von Godard, Truffaut, Fellini und Antonioni. 1979 folgt er Einschnitt: Die Islamische Revolution. Viele Kinosäle werden zerstört, zahlreiche Filme als westlich gebrandmarkt.
Doch das Kino überlebt, nicht zuletzt, weil Revolutionsführer Ayatollah Khomeini den Schwarz-Weiß-Film "Die Kuh" gesehen haben soll, eine minimalistische Fabel über einen Bauern und seine Kuh. Der Film soll Khomeini vom Wert und Nutzen des Kinos überzeugt haben. Schnell entstehen islamische Propagandafilme und − während des Krieges mit dem Irak − auch Kriegsfilme, die zu einem eigenen Genre werden.
Einer, der diese Zeiten miterlebt hat, ist Maani Petgar. Er dreht Filme im Graubereich zwischen Fiction und Doku, er hat lange in Australien gelebt und war in den 80-ern Set-Fotograf bei einem der ersten bedeutenden Filme nach der Revolution im Iran, "The Runner", der Läufer, gedreht von Amir Naderi.
Maani Petgar: "Die Geschichte handelt von einem Waisenjungen am Persischen Golf, der keine Familie hat und kleine Jobs macht, um zu überleben. Am Ende begreift er, dass er weder lesen noch schreiben kann und beschließt, zur Schule zu gehen."
Das Interview mit Maani Petgar findet auf seiner Terrasse statt. Von den Mauern blättert die Farbe ab, die übriggebliebenen Umrisse sehen aus wie eine Weltkarte, davor gelbe Kletterrosen. Schauen Sie, sagt Maani Petgar, nur zwei, drei Häuser weiter war früher die staatliche Organisation Kanoon. Da haben wir geschnitten und gearbeitet, und alle waren sie da: Amir Naderi und Abbas Kiarostami, einer der berühmtesten iranischen Filmemacher, der im Juli starb. Auf seine Initiative wurde das Kanoon gegründet, noch zu Zeiten des Schah. Und es überstand die islamische Revolution.
Maani Petgar: "Es ist schon komisch, dass es immer heißt, die iranische Regierung sei so restriktiv. Dabei rührt der Ruhm des iranischen Kinos eben auch von Filmen her, die von der Regierung produziert wurden."
Gezeigt wird meist leichte Kost
Über die Filmindustrie zeigt der Iran kulturelles Selbstbewusstsein. Das Regime unterstützt die Produktion außerdem, weil westliche Filme als suspekt gelten und in seinen Augen das falsche Weltbild transportieren. Die Menschen schauen verbotene Filme trotzdem − auf illegalen DVDs, im Internet und via Satellit.
Immerhin: In Teheran gibt es einen Filmclub, der Blockbuster aus dem Westen zeigt. Ansonsten ist die Kinoszene überschaubar: An die 400 Säle soll es im ganzen Land geben. In Deutschland, das nur drei Millionen Einwohner mehr hat, sind es zehnmal so viele. Gezeigt wird in den iranischen Kinos meist leichte Kost. Wird es tiefgründiger, geschieht das über Anspielungen.
Maani Petgar: "Hier sagst du immer Dinge zwischen den Zeilen. Es gibt immer Platz für Interpretation. Das kommt auch aus unserer Geschichte, weil wir uns nie sicher genug fühlten, die Dinge beim Namen zu nennen. Und so gab es immer diese Kultur, die Dinge nicht direkt zu sagen."
Im Iran kann man an mehreren staatlichen und privaten Hochschulen Film studieren. Die größte staatliche Einrichtung ist die "Universität der Künste", eine der privaten ist die kleinere Soore-Universität. Dort unterrichtet Majdi Arsanjani, der vor dem Besuch dort zum Mittagessen zu sich nach Hause einlädt: 70 Quadratmeter mit Balkon, schokoladenfarbene Wände. Majdi serviert eine persische Tachjin, einen Reiskuchen, der umgestürzt wird. Dazu reicht er Dough, ein salziges Joghurtgetränk und spielt auf der Setar. Auch er kennt den Hang zum Indirekten im Iran:
"Komödien haben die größten Schwierigkeiten mit der Zensur, weil sie die sensiblen Punkte direkt angreifen. Es gibt einen sehr talentierten Filmemacher, Mohsen Makhmalbaf. Seine Komödien sind so wahrhaftig, so ironisch, so sarkastisch. Wir sagen in Farsi dazu: Machʼ die Wahrheit nackig."
Im Iran sind Makhmalbafs Komödien verboten. Der Filmemacher lebt im Ausland. Das was an Komödien im Iran gezeigt wird, sagt auch Majdi Arsanjani, sei meist ziemlich platt. Noch so ein Merkmal des iranischen Kinos: Es gibt Kunstfilme für Festivals im Ausland. Und es gibt Filme für das heimische Publikum: massentauglich und unkritisch.
Filmstudenten können ihre Themen frei wählen
Zu Besuch an der privaten Soore-Hochschule im Südwesten von Teheran, direkt neben einer achtspurigen Stadtautobahn. Ein paar hundert Studenten lernen hier praxisnah, wie man Filme macht. Der Innenhof ist mit bunten Grafitti besprüht und von einer deutschen Uni kaum zu unterscheiden − wäre da nicht die Maqnae, das strenge Kopftuch mit Kragen, das jede Studentin tragen muss. Ali Rohani leitet die Fakultät:
"Die Studenten können ihre Themen frei wählen − im Rahmen der allgemeinen Regeln, die für das Kino im ganzen Land gelten. Unsere Linie ist hier ist aber etwas lockerer, denn die Filme werden nicht überall gezeigt, eher unter uns. Darum sind unsere Regeln manchmal etwas lockerer."
"Die Filme laufen unter uns", das heißt: im Kinosaal der Soore mit gut 100 Plätzen, an einer anderen Uni oder im Ausland. Aber eben nicht in der breiten, iranischen Öffentlichkeit. Auch das ein Wesenszug der Kultur: So lange man nicht allzu sehr auffällt, ist einiges möglich.
Wer die Widersprüche des iranischen Kinos selbst erleben möchte, sollte in das Kinomuseum gehen. Es liegt in einem Park mit zwei Cafés und einem Plattenladen im Norden von Teheran. Die Dauerausstellung ist ein Gang durch die Filmgeschichte: überall Poster, Ehrungen, große Namen. Und dann die Überraschung: In einer der Vitrinen stehen die Preise von Jafar Panahi: Der Goldene Löwe, Der Goldene Leopard und viele mehr. Das ist Iran: Panahi hat Berufsverbot, aber seine Preise werden öffentlich ausgestellt.
Filmemachen im Iran ist ein Tanz auf der roten Linie. Er folgt keinen Gesetzen, seine Regeln ändern sich ständig, so wie die iranische Gesellschaft. Noch ist von einem "Wind of Change" in der Filmbranche im Iran nicht viel zu spüren. Der Dokumentarfilmer Maani Petgar kennt das schon. Er hat, wie so viele hier, viel Geduld:
"Es wird Veränderungen geben, keiner weiß, wie groß sie sind. Makhmalbaf sagte einmal, als ich aus Australien zurückkehrte: Jetzt lebst du bis auf Widerruf. Wir nehmen alles ernst und nicht ernst zugleich. Denn alles kann passieren, alles kann sich verändern. Wir sind voller Hoffnung, aber der Weg verläuft im Zickzack. Wir stecken da seit der Revolution drin, und auf eine Weise ist es schön, denn es macht das Leben unvorhersehbar."