"Wir wollen unsere Säle zurück"
Kino ist in dem afrikanischen Land Angola ein zentrales Kulturgut. Ein Bildband zeigt die vergangene Pracht und Bedeutung der "Cinemas Angolas" - es geht jetzt um ihre Rettung und um Angolas Seele, sagt Miguel Hurst, der ehemalige Leiter des dortigen Filminstituts.
Susanne Burg: Dass Kinos manchmal sehr direkt gesellschaftliche und politische Entwicklungen in einem Land widerspiegeln, das zeigt ein neuer Bildband, der in dieser Woche im Steidl-Verlag entschieden ist: "Angolas Cinemas" heißt der, und zu sehen sind viele, viele Kinos, die heute größtenteils verfallen sind, aber von vergangener Pracht und Bedeutung zeugen. Mit herausgegeben hat diesen Band Miguel Hurst, er ist Schauspieler, ehemaliger Leiter des Filminstituts Angola und betreut heute Kulturprojekte für das Goethe-Institut in Angolas Hauptstadt Luanda. Geboren ist er im Schwarzwald, aufgewachsen in Greifswald und Lissabon, und jetzt für uns am Telefon in Luanda. Guten Tag, Miguel Hurst!
Miguel Hurst: Tag!
Burg: Ja, die Lichtspielhäuser, die im Buch zu sehen sind, sind in einer Zeit zwischen 1930 und 1975 entstanden, dem Ende der portugiesischen Kolonialzeit in Angola. Am Anfang waren die Kinos geschlossene Räume, wie wir sie auch heute von hier kennen. Wie beliebt waren denn Kinos in der Anfangsphase?
Hurst: Also die Kinos waren eigentlich ganz, ganz, ganz beliebt – nicht für die ganze Gesellschaft, das war mehr für die Kolonialgesellschaft. Wenn wir uns die geschlossenen Räume mal anschauen: Die hatten eine Architektur, die war halt wie die Architektur der 30er-, 40er-Jahre. Meistens waren Europäer in diesen Kinos drin, Portugiesen. Das war die Kolonialmacht, die ins Kino ging. Wir schwarzen Afrikaner durften eigentlich nicht in die Kinos rein.
Burg: Ja, in den 60er-Jahren haben sich die Lichtspielhäuser immer mehr zu Freiluftkinos entwickelt. Wie kam das?
Hurst: Ganz natürlich kam das. Die Bedingungen vom Klima her aus gesehen, sind doch total anders vom Festland Europa als Festland Afrika. Es ist wärmer, es gibt viel mehr Sonne, und man braucht ein bisschen mehr frische Luft, um sich gut ein Kino anzugucken. Die hatten ja noch nicht viel Air Condition in dieser Zeit. Aber was hatten wir? Le Corbusier! Und er hat damit angefangen: Afrika braucht Häuser, Gebäude, wo frische Luft reinkommt, wo Licht reinkommt. Und so fing es an, nicht nur in den Kino- und Theatersälen, weiß Gott tausende Gebäude wurden dann so in diesem Stil gebaut, mit sehr viel Lüftungen und wo auch viel Licht reinkommt, ohne dass die Sonne drauf scheint, so dass es nicht zu warm wird.
Burg: Und wenn Filme gezeigt wurden, welche Filme wurden denn gezeigt in den 60er-Jahren und dann auch später, 70er-Jahren?
Hurst: Alles, was aus Hollywood kam. In den 70er-Jahren nicht. Nach unserer Unabhängigkeit, unsere Partei war ja sowieso ganz links gerichtet, wurde es verboten, aus Amerika Filme herzuschicken. Angola war auf der schwarzen Liste, wie heutzutage auch viele andere Länder auf der schwarzen Liste sind. Und darum kamen keine amerikanischen Filme mehr her, und da haben wir immer Filme von Polen, der Tschechoslowakei, vom linken Block gesehen.
Burg: Auch angolanische Filme?
Hurst: Angolanische Filme, die gibt es ja erst seit '75. Man hat sehr wenig hier gedreht zu dieser Zeit. Man könnte von drei oder vier Filmen sprechen, aber die waren nicht so bedeutend.
Burg: Sie sagen es ja schon: Angola war anders als Kenia oder Nigeria, nicht gerade für eine blühende Filmindustrie bekannt. Wie kam es, dass gerade hier so viele und so besondere Kinos gebaut wurden, auch wenn sie dann für andere Zwecke auch benutzt wurden?
Hurst: Man muss doch feiern, man muss doch Theater sehen, und in Portugal hat man viel Theater gemacht und man hat auch viel Filme gemacht. Und wir dürfen nicht vergessen, dass Angola zu dieser Zeit, wo die Kinos gebaut wurden, wo diese Säle gebaut wurden ... wir waren ja eine Provinz Portugals. Und da gab es doch so einen Spruch: "Angola é nossa", Angola ist unser. Immer mehr Portugiesen kamen nach Angola, und die haben sowieso wie die Lords hier gelebt.
Burg: Während des Bürgerkrieges dann ging es bergab mit den Kinos. Die Fotos in dem Bildband, die zeugen vom Verfall. Nun gibt es eine Initiative, die Kinos wieder zu restaurieren. Wie viel Rückhalt gibt es denn dafür in der Bevölkerung und was soll aus den Kinos werden?
Hurst: Gute Frage. Wenn ich an unsere Bevölkerung denke: Wir kamen gerade aus dem Krieg. So viel hat man nicht gelernt und so viel Informationen hat unser Volk ja auch nicht. Also sagen wir mal, fünf oder zehn Prozent von unserem Volk, die auch in der Schule waren und in den Unis waren, die wollen unsere Kinos wiederhaben. Wir wollen unsere Säle zurück, wir wollen unsere Kinosäle zurückhaben, und unsere Seele auch, jetzt die Seele mit "e". Der Rest der Bevölkerung – die kümmern sich doch nicht drum.
Hier fehlt Licht, wie jetzt gerade im Moment, hier fehlt Wasser. Hier muss man zu Fuß zur Arbeit, die meisten haben keine Autos. Man muss sich mit so vielen Sachen beschäftigen. Man sieht die Säle doch gar nicht. Und das ist die Mehrheit. Und ich hoffe, mit diesem Buch ist zu schaffen, dass sie das mal wieder richtig machen. Wir wollen doch unsere Perlen behalten. Wir wollen doch unsere Gedanken, unsere Seele und unser Gedächtnis behalten, damit wir das gut und schön und auch modern und urbanistisch normal zu machen.
Burg: Dann wünschen wir Ihnen alles Gute für dieses Projekt! Miguel Hurst – zusammen mit dem Fotografen Walter Fernandes und dem Goethe-Institut hat er ein Buch herausgebracht, das gerade im Steidl-Verlag erschienen ist, es heißt "Angolas Cinemas – a Fiction of Freedom", und es gibt auch eine Webseite, auf der neue Informationen und Ergänzungen festgehalten werden, cineafrica.net, Afrika mit "c". Vielen Dank Ihnen, Miguel Hurst!
Hurst: Danke schön!
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