Kino

"Ohne Filmförderung gäbe es keine deutschen Filme"

Moderation: Nana Brink |
Vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Filmförderung weist Produzent Martin Hagemann, Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg, auf die Bedeutung der Abgabe hin. Filme seien ein extrem teures und riskantes Kulturprodukt.
Nana Brink: Wenn Sie sich eine Kinokarte kaufen, dann müssen die Kinobetreiber bis zu drei Prozent des Preises als Abgabe an die deutsche Filmförderungsanstalt überweisen. Zusammen mit den Beiträgen der Videowirtschaft und der Fernsehsender kommen da rund 80 Millionen Euro jährlich zusammen, damit werden rund 100 deutsche Filme unterstützt. Die Kinokette UCI hat dagegen geklagt. Begründung: Wir wollen nicht für Filme zahlen, die an der Kasse kein Geld bringen!
Heute nun wird das Bundesverfassungsgericht über diese Klage entscheidet, und die ganze Filmbranche zittert diesem Urteil schon entgegen. Auch Professor Martin Hagemann, erfolgreicher Filmproduzent, und er lehrt an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam. Schönen guten Morgen, Herr Hagemann!
Martin Hagemann: Ja, guten Morgen!
Brink: Vor diesem Hintergrund des Urteils, das in ein paar Stunden zu erwarten ist: Was hat die Filmförderung gebracht für den deutschen Film?
Hagemann: Die deutsche Filmförderung, die in der Filmförderanstalt organisiert ist, gibt es ja nun schon seit über 40 Jahren. Das war im Prinzip eine solidarische Aktion aller Kinos, aller Kinoverleiher und Kinoproduzenten, die angesichts der Übermacht der amerikanischen Filme gesagt haben, wir geben von jeder Kinokarte – später kamen dann DVDs dazu, das Fernsehen kam dazu –, wir geben also von unseren Einnahmen einen kleinen Teil ab, sammeln das in der Filmförderanstalt, und dort wird es dann für deutsche Filme verteilt. Also, ganz einfach gesagt: Die großen Blockbuster aus Amerika finanzieren einen Teil der deutschen Filmproduktion.
"Jetzt klagen die Kinos seit sechs Jahren dagegen"
Brink: Klingt eigentlich nach einem ganz pfiffigen Prinzip!
Hagemann: Ja, ich glaube, es ist auch ein Prinzip, was europaweit praktiziert wird, und auch in einigen Ländern außerhalb von Europa gibt es dieses Prinzip. Aber in Deutschland wird dieses Prinzip von allen, die neu dazugekommen sind beziehungsweise vom Gesetz dann dazu gezwungen wurden – weil, das Filmfördergesetz, darum geht es heute, ist das Gesetz, was diese Abgabe legitimiert –, alle die da neu dazu gekommen sind, haben grundsätzlich sich geweigert erst mal.
Die DVD-Wirtschaft hat lange dagegen geklagt, jetzt klagen die Kinos seit sechs Jahren dagegen. Und selbst wenn die Klage heute durchkommen würde, die nächsten, die im Visier des Gesetzes sind, sind die großen Internetplattformen, die natürlich auch Filme streamen, Filme zum Download freigeben, und auch die werden jetzt demnächst zu einer Abgabe herangezogen. Es ist damit zu rechnen, dass auch diese Betreiber dann klagen werden.
Brink: Bevor wir über diese einzelnen Klagen und darüber, was vielleicht heute zu erwarten ist, spekulieren, noch mal die Frage: Wie kommt man an diese Filmförderung, und wer profitiert eigentlich am meisten davon?
Hagemann: Die Filmförderanstalt in Berlin hat eine Menge von Gremien und diese Gremien sind für die einzelnen der deutschen Filmwirtschaft zuständig. Das heißt, es gibt eine Vergabekommission für Filmproduktion, dort bekommt der Produzent, der einen deutschen Film machen möchte und dort beantragt, bestimmte Bedingungen erfüllt, wenn das Gremium sich für ihn entscheidet, Geld für die Produktion der Filme.
Aber es werden auch Kinos gefördert, zum Beispiel ist die Digitalisierung der Kinos, also der Austausch von 35-Millimeter-Projektoren gegen digitale Projektoren zum großen Teil auch von der Filmförderanstalt finanziert worden, Verleiher bekommen Geld, und so hat eigentlich jeder, der dort einzahlt, am Ende auch etwas von dieser Förderung.
Brink: Aber ein paar haben ein bisschen mehr davon. Sie haben ja schon die Fernsehsender einmal zitiert, wenn ich Sie da ganz wörtlich nehmen darf, und haben gesagt: Das ist ein Selbstbedienungsladen der Fernsehsender. Wie habe ich das zu verstehen?
Hagemann: Das Problem in der deutschen Förderung insgesamt besteht darin, dass die Fernsehanstalten Geld in diese Förderung einzahlen, dort dann aber auch in den Gremien sitzen und in letzter Zeit verstärkt dafür sorgen, dass dort Filme gefördert werden, mit denen vor allen Dingen das Fernsehen was anfangen kann. Dadurch ist diese Förderung in meinen Augen und auch in den Augen einiger anderer doch stark verwässert worden in letzter Zeit.
Brink: Nun möchte ich mal das Argument auch aufgreifen derjenigen, die da klagen heute, nämlich der Kinokette, die sagen, die Filme aus Amerika haben einen Marktanteil von 61 Prozent, deutsche Filme von 18 Prozent, das ist eigentlich nicht zu rechtfertigen, und wir zahlen für etwas, was nicht Kasse macht! Kann man das so einfach vom Tisch wischen?
Hagemann: Ja, das ist schon ein Argument, was wir lange hören. Das Gegenargument lautet: 18 Prozent Marktanteil ist auch mal nicht nichts. Das heißt, der deutsche Film auch in seinen Blockbustern – ich denke da jetzt an "Fack ju Göhte" vor Kurzem, die Til-Schweiger-Filme in den letzten Jahren –, werden natürlich auch in diesen Kinos gespielt, die jetzt gegen die Abgabe klagen, und auch diese Filme sind natürlich von der Filmförderanstalt gefördert worden.
Ein etwas weitergehender Grund meiner Meinung nach ist, dass das Publikum das Kino auch natürlich mit Filmen aus dem jeweils eigenen Land verbindet. Also, ein Kino, was nur noch aus amerikanischen Filmen besteht, wie sich das die Kinoketten vorstellen, wäre ein Kino, was das Publikum auf Dauer auch nicht mehr akzeptieren würde, weil, das Publikum geht von Zeit zu Zeit auch in großen Massen in Filme, die aus dem jeweiligen Land kommen.
Brink: Also machen Sie sich dann auch das Argument der großen Schauspielerin Iris Berben zu eigen, die sagt, wir brauchen diese Filmförderung in dieser Art, um den deutschen Film zu schützen?
"Man braucht eine gewisse Breite in der Filmproduktion"
Hagemann: Ohne Filmförderung gäbe es keine deutschen Filme, das kann man ganz klar sagen. Selbst im Heimatland des großen kommerziellen Films in Amerika gibt es ja inzwischen vielfältige Modelle der Filmförderung. Film ist ein extrem teures, extrem riskantes Kulturprodukt, und Sie müssen – ich nehme jetzt mal Zahlen aus Hollywood – zehn Filme produzieren und ein einziger Film wird das Geld, was die anderen neun auch gekostet haben, mit zurückspielen.
Kein Produzent, kein Verleiher der Welt, kein Kinobetreiber der Welt weiß genau, welcher Film beim Publikum wirklich funktioniert, das heißt, man braucht eine gewisse Breite in der Filmproduktion, man braucht ein gewisses Know-how in der Filmproduktion, um überhaupt dann die Filme herausbringen zu können, die erfolgreich sind.
Brink: Nun blicken wir mal auf das Urteil, das in wenigen Stunden zu erwarten ist, egal wie es ausfällt: Es wird sich aber doch an der Filmförderung in der jetzigen Art etwas ändern müssen. Oder nicht?
Hagemann: Die Antwort würde ich jetzt zweiteilen: Es ist damit zu rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht einige Stellschrauben in dieser Förderung ändern wird.
Ein großes Problem der Filmförderung in Deutschland ist es, dass diese Form der Filmförderung vom Bund eigentlich nur eine Wirtschaftsförderung sein dürfte, weil, der Bund darf nur Wirtschaftsförderung machen im Kulturbereich.
Brink: Alles andere ist Kultur-, Ländersache.
Hagemann: Alles andere ist Ländersache, und die Länder machen ja auch Filmförderung. Da könnte das Gericht durchaus für Klarheit sorgen. Der zweite Teil der Antwort: Die Förderungsstrukturen in Deutschland sind jetzt über 40 Jahre alt, der Markt ändert sich zurzeit dramatisch, Stichwort Internet, Stichwort Digitalisierung.
Und wir müssen das Gesetz so oder so, egal, was das Gericht sagt, in den nächsten Jahren ändern. Gott sei Dank ist im Filmfördergesetz festgeschrieben, dass alle fünf Jahre das Gesetz geändert werden muss. Der gerade verabschiedete Kulturstaatsminister Neumann hat deshalb auch in dem letzten Novellierungsgesetz festgelegt, dass nach dem Urteil noch drei Jahre Zeit sind statt normalerweise fünf Jahre, um das Gesetz dann auf einen modernen Stand zu bringen.
Brink: Also, man überlegt sich, dass jetzt mehrere Beteiligte eine bestimmte Abgabe leisten müssen?
Hagemann: Ganz sicher müssen neue Abgabeverpflichtungen dazu kommen. Es geht darum, dass wir gerade im Bereich der Kinos einen großen Innovationsbedarf haben. Die Kinos sind zwar digitalisiert worden, aber mit der Digitalisierung ergeben sich völlig neue inhaltliche Anforderungen an das Kino, weil man nicht mehr die Kopien schwerfällig – 25 Kilo schwer – zum Kino schleppen muss, sondern die ganzen Filme kommen über Datenleitung, kommen über Satellit in die Kinos.
Das heißt, man kann ganz andere Kinos aufbauen, man kann ganz andere Zuschauerschichten für das Kino begeistern. Und diese Aufgabe steht jetzt vor uns, und dafür braucht es auch Geld, dafür braucht es Experimente. Und das neue Filmfördergesetz, was ich mir erhoffe, wird dem doch dann entsprechen.
Brink: Martin Hagemann, Produzent und Lehrer an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam. Schönen Dank, Herr Hagemann, für das Gespräch!
Hagemann: Ja, danke Ihnen, tschüss!
Brink: Das Gespräch haben wir aufgezeichnet.
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