Patchwork-Drama vor Bergkulisse
Was tun, wenn man beim Urlaub in den Bergen nicht nur der neuen Partnerin, sondern vor allem ihrem Sohn gefallen möchte? In "Drei Zinnen" schildert Regisseur Jan Zabeil die Konflikte einer Patchwork-Familie jenseits böser Stiefvater-Klischees.
Patrick Wellinski: Die Patchwork-Familie als Lebensmodell ist alles andere als eine Seltenheit geworden. Doch die inneren Konflikte einer solchen Familienkonstruktion sind selten Thema in den Filmen.
Das will Regisseur Jan Zabeil nun ändern. Er hat einen Spielfilm gedreht, "Drei Zinnen" heißt er, darin spielt Alexander Fehling einen deutschen Architekten, der Aaron heißt und sich in eine Französin verliebt, die einen achtjährigen Sohn, Tristan, aus einer anderen Beziehung hat. Aaron will mit dem Kleinen ein gutes Verhältnis anfangen, und deshalb verreisen die drei in die Berge.
Die Idee einer Landschaft
Diese anfängliche Idylle hält nicht lange an, denn Tristan und Aaron geraten immer wieder aneinander. Vor der Sendung konnte ich mit Jan Zabeil über "Drei Zinnen" sprechen, und da sowohl "Drei Zinnen" als auch sein Debutfilm "Der Fluss war einst ein Mensch" vor gewaltigen Naturkulissen spielen, wollte ich eingangs von dem Regisseur wissen, was denn bei ihm zuerst da ist: die Idee einer Landschaft oder die Idee einer Geschichte?
Jan Zabeil: Es ist tatsächlich parallel. Ich habe sehr früh schon einmal erlebt, wie es ist, hoch in den Alpen in einen Nebel zu geraten, und das war für mich ein sehr physisches Erlebnis. Und ich hatte auch das Gefühl, dass ich darüber zu einer Essenz komme – natürlich über meine Ängste, aber auch über die Gedanken, die ich dann hatte und über die Zeit, die plötzlich stehenzubleiben scheint.
Dieses Erlebnis zusammen mit dem Thema, das mich schon eine Weile umgetrieben hat, und auch in der Beobachtung meines Umfeldes und unserer Gesellschaft. Und das beides kam zusammen, und ich kann gar nicht so richtig sagen, was war zuerst da. Also das Thema ist sehr früh da, die Geschichte kommt eher zum Schluss.
Wellinski: Das Thema, wie würden Sie das denn zusammenfassen? Wenn ich jetzt sagen würde, es ist ein Film auch über das Wesen einer Patchworkfamilie, treffe ich das richtig, oder liege ich total daneben?
Zabeil: Ein Wesen, nicht wahr? Es gibt natürlich unendlich viele verschiedene Varianten von Patchwork, und deswegen ist es auch so schwierig oder komplett unmöglich, allgemeine Wahrheiten dazu zu postulieren, und darum geht es mir auch nicht.
Patchwork-Leben jenseits der Klischees
Aber es ist schon so, dass meiner Meinung nach in den letzten 20, 30 Jahren verschiedene Varianten eben beleuchtet worden sind. Und die Perspektive der neu dazu kommenden Partner sozusagen bislang noch nicht wirklich betrachtet wurde oder wenig betrachtet wurde oder vielleicht auch wenig Berechtigung hat, betrachtet zu werden. Weil erst mal geht es darum, was ist denn eigentlich mit dem Kind, wie geht es dem denn nach einer Trennung? Wie geht es der oft im Klischee vielleicht verlassenen Frau, was ja heute gar nicht mehr so sein muss oder vielleicht noch nie so sein musste. Aber, ja, diese Fragen – bezahlt der Vater Unterhalt und so weiter – standen im Vordergrund.
Und ich fand es interessant, hinzuschauen, was könnten mögliche Konsequenzen sein eben für einen neuen Partner von Vater oder Mutter? Wie sind die Konsequenzen und wie sind die Beziehungsmechanismen zwischen Kind und neuem Partner?
Wellinski: Das zeigen Sie ja wirklich sehr interessant. Das ist eigentlich ein klassisches Familiendreieck, Vater, Mutter, Kind. Wie gesagt, der Vater ist eine Art Stiefvater, Aaron, ein Architekt, der Sohn Tristan, sie gehen alle in den Urlaub, in eine recht einsame Berghütte, und vor dieser Kulisse brechen ja auch dann diese Konflikte auf.
Sich als guter Vater beweisen
Und mich würde interessieren, weil ja auch Aaron sich irgendwie beweisen möchte als guter Vater, dem Jungen gegenüber, will er das wirklich machen, nur um seiner neuen Freundin zu gefallen, oder möchte er wirklich ein gutes Verhältnis zu diesem Jungen aufbauen?
Zabeil: Ja, das glaube ich schon. Er ist selbst gefangen und hin- und hergerissen zwischen zwei Gefühlen. Das ist halt einmal die Zukunft als gemeinsame Familie, vielleicht noch ein weiteres Kind zu bekommen und wirklich seinen klaren Platz zu haben in dieser Konstellation als Mann an der Seite der Frau und eben auch als Vaterfigur für den Jungen und vielleicht als Vater für ein weiteres Kind. Das ist die eine Variante.
Dann habe ich mir natürlich einen Jungen herausgesucht, der erstens einen sehr starken eigenen Willen hat, und zweitens auch diesen neuen Mann toll findet. Und je toller er ihn findet und je mehr er ihn idealisiert, desto mehr gerät er in einen Realitätskonflikt mit seinem richtigen Vater, der nämlich auch genau damit ein Problem hat und ständig anruft.
Und darüber wird auch der männlichen Hauptfigur klar, dass das so einfach nicht werden wird, und dann schwankt er zwischen Vaterschaft und Ablehnung eigentlich. Und das untersucht der Film auch auf ganz allgemeine Art. Was passiert mit uns, wenn wir Gefühle unterdrücken, die wir eigentlich haben.
Ein Duell zwischen Mann und Kind
Wellinski: Diese Verschiebung der Machtverhältnisse – Sie schildern das ja, diese ganzen Konflikte, die Sie auch gerade aufgemacht haben, anhand so einer Abfolge von Duellen, würde ich das mal nennen, zwischen Aaron und Tristan. Auch wenn "Duelle" jetzt erst mal so martialisch klingt.
Aber obwohl da ein erwachsener Mann auf ein Kind trifft, hatte ich das Gefühl in "Drei Zinnen", dass das relativ schnell zu einem sehr gleichberechtigten Duell wird. Dass das gar nicht so ist, der eine ist klein und irgendwie schwach, sondern er hat auch irgendwie eine Macht und eine Kraft über Aaron, der auch immer wieder zum Teil einknickt. Sind Sie denn auf eine gewisse Art und Weise, die beiden Männer, gleichberechtige Gegner?
Zabeil: Ja, das erzähle ich schon. Eine Geschichte versucht natürlich immer, die Dinge so klar zu machen, aber ich glaube schon, dass Kinder in unserer Zeit und insbesondere in Patchworkfamilien oder in so einer Konstellation – es ist das einzige Kind, das Kind ist ein Junge, die Mutter hat einen neuen Mann, der Vater kümmert sich aber noch –, dass dieses Kind in dieser Konstellation eine herausragende Stellung hat.
Und wenn es sehr intelligent ist und emotional sehr intelligent, dass das Kind schon in der Lage ist, sozusagen diese Position auch auszuspielen, gegen das Paar und vielleicht gegen die biologischen Eltern und darüber auch zu einem – in Anführungsstrichen – Konkurrenten wird für den neuen Mann, beziehungsweise sich das Kind als Konkurrenz zum neuen Mann sieht. Darum geht es ja eigentlich viel mehr. Der neue Mann ist dann, mit der Konsequenz muss er sich sozusagen abfinden beziehungsweise es dauert sehr lange im Film, bis er versteht, okay, der will hier wirklich das Duell mit mir.
Ich meine, ich habe sehr früh mit Alexander Fehling, dem Hauptdarsteller, darüber gesprochen, was kann man diesem Mann mitgeben, dass es sehr lange braucht, dass er genau das versteht. Und wir haben uns entschieden – also Alexander hat zehn Kilo für diese Rolle zugenommen zum Beispiel. Er sollte mit beiden Beinen im Leben stehen und eben nicht so leicht umgeschubst werden, und schon gar nicht von einem achtjährigen Jungen.
Er fühlt sich so überlegen, dass er die Angriffe des Jungen übergeht und auch nicht wirklich wahrhaben will, und, als er sie dann wahrhat sozusagen, er erst einmal sehr defensiv dagegen vorgeht. Also gar nicht das Klischee vielleicht des bösen Stiefvaters, sondern ich wollte ganz klar dagegen gehen.
Jeder spricht seine eigene Sprache
Wellinski: Das sind ja auch körperliche Duelle. Es geht ums Holzhacken, dann geht es um die Wanderung in die Berge, bis der Nebel aufkommt.
Ihren Film durchzieht aber auch eine sehr interessante Schicht, die ich fast schon eine linguistische oder sprachliche Schicht nennen würde: Diese drei, Mutter, Vater, Kind, kommen ja auch aus unterschiedlichen Sprach-Backgrounds. Die Mutter spricht gern Französisch mit dem Kind, der Vater Aaron Deutsch, das Kind selbst versucht auch immer wieder, Englisch zu sprechen. Das ist vielleicht so ein Verweis auf den leiblichen Vater, der so als Präsenz durch diese Anrufe über allem irgendwie so ein bisschen kreist. Warum war Ihnen das wichtig?
Zabeil: Das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist es eine Realität geworden in Europa, und ich wollte es eben auch genau in Europa verorten und nicht so sehr in der deutschen Provinz oder in der französischen Großstadt oder wie auch immer, sondern es sollte halt ein modernes europäisches Setting sein, wo man auch gar nicht so genau weiß, wo leben die jetzt eigentlich. Diese Familie könnte an verschiedenen Orten in Europa leben.
Es ist aber auch ein Sinnbild für eine Nicht-Zusammengehörigkeit, also für ein Sich-ganz-bewusst-Entscheiden, ich will mit diesem Mann zusammen sein, ich will mit dieser Frau zusammen sein, auch wenn es vielleicht schwieriger ist. Es wäre vielleicht leichter gewesen, mit seinem Schulnachbarn in Anführungsstrichen sich fortzupflanzen, eine Familie zu gründen. Es ist auch symbolisch, es bringt jeder seine eigene sprachliche Identität mit, und darüber ist Familie nicht automatisch eine Einheit, auch als Bild. Oder jeder versucht sozusagen, die sprachliche Ebene zu nutzen, um jemand anderen in seine Welt zu holen.
Ein Weltstar des europäischen Arthouse-Kinos
Wellinski: "Drei Zinnen" heißt der Film. Das ist das große Bergmassiv, vor dessen Kulisse sich das Drama abspielt. Drei Zinnen, also große Bergmassive, jeder steht für sich, so ungefähr auch wie die drei Mitglieder dieser Familie.
Es ist natürlich auch wichtig, wie man diesen Film eigentlich auch besetzt. Und er ist phänomenal besetzt: Alexander Fehling haben Sie genannt, mit ihm haben Sie schon mal zusammengearbeitet. Und dann setzen Sie neben ihn einen Weltstar des europäischen letztendlich Arthouse-Kinos. Bérénice Bejo – die meisten kennen sie wahrscheinlich aus "The Artist", aber auch nicht nur.
Wie schafft man das eigentlich, dass Bérénice Bejo in einem deutschen Film letztendlich mitspielt, weil das ist nun etwas, was das deutsche Kino ganz selten macht, ganz große Schauspielerinnen zu sich zu holen.
Zabeil: Ja, das war für mich auch eine Überraschung. Wie macht man das? Ich habe ihr ein Drehbuch geschickt, und irgendwann kurz vor Weihnachten hieß es, Bérénice wants to skype with you. Und ich war überrascht, und, ja, wir haben geskypt, und ich glaube, der erste oder zweite Satz war, "I love the script. I think I want to do it." Und da konnte ich gar nicht mehr so viel sagen. Und dann lief das so.
Wellinski: Aber das heißt, Sie wollten sie für die Rolle. Warum?
Zabeil: Ich wollte sie für die Rolle. Ich fand sie ganz toll in "Le passé". Ich finde, sie ist eine herausragende Schauspielerin. Und ich wollte eine Französin. Und in dieser Kombination war sie sozusagen die, die ich wollte, und die dann plötzlich sagte, dass sie das Skript so toll findet, dass sie das macht. Und das war natürlich super. Und das Tolle ist auch, dass so jemand eben nicht nach meinem Namen jetzt geht, sondern einfach nach dem Buch. Und das zeigt eben auch, dass sie inhaltlich interessiert ist.
"Er kannte das Drehbuch nicht"
Wellinski: War das dann auch so leicht, den Jungen zu finden, Arian Montgomery, der den Tristan spielt? Und viele Regisseure sagen ja entweder, es gibt phänomenale Kinderschauspieler, aber es gibt die anderen, die sehr lange gesucht haben, die sagen, oh Gott, es gibt so wenig gute.
Zabeil: Wie überall gibt es nur sehr wenig gute. Es gibt auch vor allen Dingen oft Eltern, wo man das Gefühl hat, die schicken jetzt ihr Kind hierhin, um damit vielleicht ein bisschen Geld zu verdienen, oder der Junge will ja gar nicht hier sein. Oder wenn ich ihn frage, warum er hier ist, dann druckst er so ein bisschen rum, weil die Eltern ihm vielleicht schon gesagt haben, sag ihm, dass du das toll findest und dass du es gern möchtest. Das ist dann sozusagen der bittere Beigeschmack.
Und dann gibt es Kinder, die kommen an und haben richtig Lust, und du merkst, die Eltern mussten lange darüber diskutieren, ob es überhaupt okay ist, dass der zum Casting kommt. So ähnlich war es auch bei Arian. Gut, die Eltern waren sich einig, weil sie mittlerweile gemerkt haben, der hat eine wahnsinnig große Spielfreude, und der will das. Und so war es auch. So war es in den Castings, und so war das dann auch am Set. Er war einfach voll und ganz da und unglaublich effektiv, verstanden innerhalb kürzester Zeit sozusagen, das zu emotionalisieren, was ich da von ihm wollte und was ich auch erst ganz kurz vorher ihm mitgeteilt habe.
Es hat sich schon herausgestellt, dass es mit ihm – und diese Erfahrung habe ich auch mit anderen Kindern gemacht, sicherlich nicht mit jedem, aber mit einigen – dass es sich auszahlt, erst sehr kurzfristig den Text durchzugehen und die Szene durchzugehen.
Er kannte das Drehbuch nicht, und in dem Fall war es tatsächlich so, dass ich ihm zwei, drei Minuten, bevor die Einstellung los ging, bevor alles fertig war, mit ihm den Text durchgegangen bin. Und er hat eine wahnsinnige Auffassungsgabe. Das war mir irgendwann klar, ich darf das nicht eine Stunde oder zwei oder sogar einen Tag vorher darf ich das nicht mit ihm durchgehen, weil sonst ist es so, dass er dahin kommt und sagt, Jan, das haben wir doch gestern schon gemacht, oder das haben wir doch vor zwei Stunden schon gemacht. Lass uns doch jetzt was anderes machen, das ist doch langweilig, ich will was Neues machen. Und das hat mir gezeigt, dass er immer wieder herausgefordert werden will. Und Alexander war da auch ein super Partner, der einmal eine sehr enge Beziehung zu Arian aufzubauen geschafft hat, was ja auch für den Film so enorm wichtig war.
"Ich wollte eine Zärtlichkeit zwischen den beiden"
Diese Duellsituation funktioniert natürlich auch nur auf der Basis von ganz große Vertrautheit und auch einer liebevollen Art miteinander. Nur dann ist das wirklich, geht das ans Herz. Sonst ist es ja der klassische Stiefvater-kann-den-Sohn-nicht-lieben-Sohn-hasst-den-Stiefvater-Kontext, was mich aber nicht interessiert hat. Sondern ich wollte ja genau eine Zärtlichkeit zwischen den beiden, und man spürt, die wollen unbedingt, die wollen unbedingt zusammenkommen und sich gut finden. Und genau das, dass sie sich so gut finden, ist Teil des Problems.
!Wellinski:!! "Drei Zinnen" kommt nächsten Donnerstag in unsere Kinos, und Jan Zabeil, der Regisseur, war unser Gast. Vielen Dank für den Film und Ihre Zeit!
Zabeil: Danke schön!
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