Kinofilm "Manifesto"

Cate Blanchett in 13 Rollen

Cate Blanchett als Puppenspielerin - Surrealismus - im Film "Manifesto" von Julian Rosefeldt
Cate Blanchett als Puppenspielerin im Film "Manifesto" von Julian Rosefeldt © Julian Rosefeldt und VG Bild-Kunst
Julian Rosefeldt im Gespräch mit Ute Welty |
Nach dem Erfolg der Kunstinstallation "Manifesto" kommt jetzt eine Filmversion in die deutschen Kinos. Der Regisseur Julian Rosefeldt setzt dabei auf die Kraft der Künstlermanifeste, die er verhandelt – und die seiner Hauptdarstellerin Cate Blanchett, die alle 13 Rollen spielt.
Was zuvor auf verschiedenen Leinwänden der deutsch-australischen Kunstinstallation "Manifesto" des Künstlers Julian Rosenfeldt im Museum zu sehen war, startet jetzt als Film in den deutschen Kinos. Die collagenartigen Künstlermanifeste, unter anderem von Claes Oldenburg, Kasimir Malewitsch, André Breton oder Jim Jarmusch werden auch in der Filmversion von einer einzigen Darstellerin vorgetragen. Cate Blanchett meistert 13 verschiedene Rollen, darunter die eines Obdachlosen, einer Witwe, einer Punkerin oder einer TV-Sprecherin.
Der Regisseur Julian Rosefeldt sagte, er habe von Anfang an Sorge gehabt, dass Cate Blanchett als Ausnahmeschauspielerin seine Kunst an die Wand spielen könnte. "Als wir uns kennenlernten und die Idee entstand, was zusammen zu machen, habe ich in einer Vorausahnung gesehen, dass das nicht nur fantastisch sein kann, sondern, dass es natürlich auch eine Gefahr sein kann, dass ihr Ruhm die Arbeit auch überschatten kann", sagte Rosefeldt im Deutschlandfunk Kultur.

Die Flucht nach vorne

Er habe mit ihr deshalb die Flucht nach vorne angetreten. "Es gibt, glaube ich, kein Werk, in dem sie gespielt hat, dass sie so explizit zeigt." Blanchett spiele die 13 Rollen in "Manifesto" so gut, dass der Film einerseits für all jene Zuschauer funktioniere, die ihr bei Schauspielen zuschauen wollten. Man könne sie aber auch komplett vergessen und sich auf die Texte einlassen, weil sie so gut sei. "Das war eigentlich unser gemeinsames Ziel."

Weiblicher Ton für männliche Texte

Die Texte der Manifeste stammten ausschließlich von Männern, erführen aber durch Blanchetts weibliche Stimme eine Veränderung, sagte Rosefeldt. "Viele Manifeste haben ja so einen Flugblattcharakter und richten sich direkt an das Publikum", sagte der Regisseur über die Monologe. "Das haben wir oft versucht, zu brechen, in dem wir sie eben introvertierter gesprochen oder gedacht haben." Es sei eine der Methoden gewesen, um zum eigentlichen Kern des Textes zurückzufinden.

Der Film "Manifesto" startet am 23. November 2017 in den deutschen Kinos.


Das gesamte Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Am Anfang war die Installation. Zwölf Kurzfilme plus Prolog hat der Videokünstler Julian Rosefeldt zusammengefügt, und so ist "Manifesto" entstanden, als das Manifest der Mainfeste, als die Verdichtung künstlerischer Texte von Claas Oldenburg bis André Breton und Jim Jarmusch. Die Hauptrolle in allen Filmen spielt Cate Blanchett, zweifache Oscar-Preisträgerin und bald dann auch zweifach im Kino. Gestartet ist bereits "Thor. Tag der Entscheidung", und am nächsten Donnerstag kommt eben dann auch "Manifesto" als Bilder einer Ausstellung in die Kinos. Ich begrüße herzlich in "Studio 9" Julian Rosefeldt. Guten Morgen!
Julian Rosefeldt: Hallo! Danke.
Welty: Ich habe ein bisschen um die Formulierung gerungen, wie ich das jetzt beschreibe, was Sie jetzt gemacht haben, und so richtig weit bin ich, ehrlich gesagt, nicht gekommen. Sehe ich jetzt im Kino den Film über eine Videoausstellung, oder sehe ich das Video, das die Installation überhaupt ausmacht, oder geht nicht am Ende dann doch etwas Elementares verloren, weil der Raum fehlt, weil die Inszenierung im Raum fehlt?
Rosefeldt: Sie sehen weder noch. Sie sehen einen Umschnitt des Filmmaterials, aus dem auch die Filminstallation, die wahrscheinlich einige Ihrer Hörerinnen und Hörer gesehen haben, gebaut wurde. Es ist ursprünglich eine 13-Kanal-Installation, also eine Installation auf 13 Screens. Auf jedem dieser Screens war Cate Blanchett zu sehen in einer anderen Rolle, jeweils eine "Manifest"-Collage sprechend aus Künstlermanifesten des letzten Jahrhunderts. Und aus dieser Installation ist nun eine lineare Filmversion geworden, die jetzt in den Kinos hier in Deutschland anläuft und die das Ganze noch mal verdichtet. Es gibt einen stärkeren Fokus auf die Verständlichkeit der Texte, weil ich ja immer nur eine Rolle höre. In der Installation konnte ich selbst schneiden und Sound mischen, indem ich mich bewege. Der Kinoraum ist ein anderer, würde ich sagen.
Welty: Können Sie einen Unterschied ausmachen zwischen der Wirkung des Films auf die Zuschauer und der Wirkung der Installation auf die Besucher?
Rosefeldt: Wir wissen von dem Museumspersonal der verschiedenen Museen, wo "Manifesto" weltweit gezeigt wurde, dass die Leute dort wirklich zweieinhalb Stunden geblieben sind und alles abgearbeitet haben. Im Kino bleibt ja nichts anderes übrig, es sei denn, man verlässt den Film. Man bleibt da einfach drin, und …
Welty: Aber da ist die Hemmschwelle schon groß.
Rosefeldt: Da ist die Hemmschwelle größer. Wir beobachten jetzt auf den verschiedenen Filmfestivals, wo "Manifesto" als Film schon gelaufen ist, dass die Kinozuschauer die ersten zehn, 15 Minuten sich ein bisschen quälen, weil sie erst mal verstehen müssen, dass es keine wirkliche Geschichte zu erzählen gibt. Im Kino ist man es einfach gewöhnt, dass man an der Hand genommen wird und durch eine Geschichte geführt wird, und diese Geschichte gibt es nicht in "Manifesto". Es gibt auch nicht zwölf Kurzgeschichten, sondern es sind seltsame Situationen und sehr anspruchsvolle Texte.

"Es ist auch eine Arbeit über Kino und über Film"

Aber spätestens, wenn man sich drauf eingelassen hat, so nach einer Viertelstunde, lässt man sich davonführen, und dann funktioniert das sehr gut. Dann wird man in so einen Sog gerissen. Und es ist auch eine Arbeit über Kino und über Film, was Film macht mit uns und was man vielleicht auch mal anders ausprobieren kann. Man hat sich ja im Kino an diese drei Formate gewöhnt, Kurzfilm, Langfilm, Dokumentarfilm. Es ist eigentlich wundersam, dass man in 100 Jahren Filmgeschichte nicht mehr sich ausgedacht hat als diese drei Formate auf der Kinoleinwand. Und dieser Film ist zwar auch so lang wie ein Feature-Film, ist aber ganz anders.
Welty: In allen Hauptrollen wie gesagt Cate Blanchett. Die ist genauso gut Börsenmaklerin wie Bettlerin, Betrunkene, alles dazwischen. Hatten Sie zwischendurch die Sorge, dass diese Ausnahmeschauspielerin Ihre Kunst an die Wand spielt?
Rosefeldt: Nicht zwischendurch, sondern von Anfang an. Als wir uns kennenlernten und die Idee entstand, was zusammen zu machen, habe ich in einer Vorausahnung gesehen, dass das nicht nur fantastisch sein kann, sondern dass das natürlich auch eine Gefahr sein kann, dass ihr Ruhm die Arbeit auch überschatten kann. Ich habe dann quasi mit ihr die Flucht nach vorn angetreten. Es gibt, glaube ich, kein Werk, in dem sie gespielt hat, was sie so explizit zeigt. Sie spielt 13 Rollen in "Manifesto". Sie spielt die aber so gut, dass man sowohl, wenn man Lust hat, ihr beim Schauspielen zuschauen kann, oder eben auch, weil sie so gut ist, sie komplett vergessen kann und sich ganz und gar auf die Rollen beziehungsweise die Texte, die die Charaktere sprechen, einlassen kann. Und das war eigentlich unser gemeinsames Ziel.
Welty: Die Manifeste, die auftauchen, stammen ausschließlich von Männern und werden jetzt eben von einer Frau gesprochen. Welche Veränderungen erfahren die Texte dadurch?
Rosefeldt: Sehr starke, glaube ich. Viele von diesen Texten sind sehr testosterongeschwängert, sage ich mal – wobei "geschwängert" da vielleicht nicht ganz stimmt. Aber sie kriegen natürlich durch die weibliche Stimme und auch durch die Art und Weise, wie Cate sie gesprochen hat, nämlich oft als introvertierte, leise innere Monologe, also gar nicht so wütend und laut, wie man die zunächst liest – viele Manifeste haben ja so einen Flugblattcharakter und wenden sich ganz direkt ans Publikum. Das haben wir oft versucht zu brechen, indem wir sie eben introvertierter gesprochen oder gedacht haben. Und dann natürlich noch dazu von einer Frau, das gibt denen so einen leichten Feminist Twist, was ich ganz spannend finde.
Vor allen Dingen ist es aber eine Methode von vielen, die alle das gemeinsame Ziel haben, zum eigentlichen Kern des Textes oder der Idee zurückzufinden. Weil diese Texte ja sehr stark überdeckt sind, ich sage gern immer vom Staub der Kunstgeschichte, oder zumindest von der Deutungshoheit der Kunstgeschichte. Die Künstlerinnen und Künstler, die diese Texte geschrieben haben, sind zum großen Teil weltberühmt geworden, und dadurch, dass sie weltberühmt geworden sind, sind auch diese Texte jetzt Monumente der Kunstgeschichte. Aber viele dieser Texte wurden geschrieben, bevor die Künstlerinnen und Künstler überhaupt angefangen haben, ein opulentes visuelles Werk zu schaffen. Nicht alle, aber viele.

"Es ist fast so eine Antwort auf den Siegeszug des Populismus"

Und das macht die Texte für mich umso interessanter, weil man sie als junge, fragile Texte von noch sehr jungen Menschen lesen kann, und nicht eben als Texte von berühmten Künstlerinnen und Künstlern, die vielleicht diesen Aufschrei, der in vielen Manifesten zu spüren ist, auch nach innen richten, also sich fragen, wer bin ich eigentlich. Es hat was sehr stark Identitätsdefinierendes, und das, finde ich, macht diese Texte umso interessanter, poetischer und fragiler und sehr schön. Und wir haben eben das versucht zu übersetzen oder rauszuschälen, indem wir sie in heutigen aktuellen Situationen sprechen lassen, indem sie eben gesprochen oder performt werden und nicht gelesen werden, und eben, zuletzt, zurück zu Ihrem Anfangsgedanken, indem sie von einer Frau und nicht von Männern gesprochen werden.
Welty: Warum ausgerechnet das "Manifest"? Das ist ja eine Form der Mitteilung, die ein bisschen démodée wirkt, aus der Zeit gefallen.
Rosefeldt: Umso verblüffender ist, dass jetzt als Reaktion auf diesen Film ganz viele Leute aufgerüttelt sind und sagen, sie empfanden das so als Call for Action, dass man irgendwie sich engagieren muss. So sehe ich das auch, vor allen Dingen jetzt im Zusammenhang der politischen sehr dramatischen Entwicklung weltweit der letzten zwei Jahre. Es ist fast so eine Antwort auf den Siegeszug des Populismus: Du kannst ruhig laut und wütend sein, aber du musst irgendwas zu sagen haben. Das ist das, was diese Texte eben deutlich unterscheidet von der Wut und der Lautstärke der Populisten, dass die Manifestautoren eben auch mit Wut und Lautstärke sprechen, aber eben brillante Ideen haben und sehr inspirierende Texte geschrieben haben und die einen anregen und auch Mut machen, sich zu engagieren, auch als Individuum in Gesellschaft die Stimme zu ergreifen und einzugreifen.
Welty: Die Erfahrung, jetzt die eigene Arbeit im Kino zu sehen, inwieweit verändert das den Künstler Julian Rosefeldt?
Rosefeldt: Das ist jetzt die erste Arbeit, die zumindest in ihrem Derivat des Kinofilms explizit für die Kinoleinwand oder für die große Leinwand konzipiert wurde. Es ist einfach total schön, einem anderen Publikum zu begegnen. Wir sind ja auch in der Kunstwelt immer so ein bisschen eingesperrt im White Cube, weil wir ja eigentlich mit einem Publikum reden, das gar nicht weiter überzeugt werden muss, das meistens mit all dem, was wir da so als Künstler zu sagen haben, sowieso einverstanden ist. Und in der Hinsicht ist das Kino vielleicht ein etwas offenerer Raum, weil es doch durchlässiger ist und andere Menschen anzieht. Ich denke auch, dass Cate durch ihre Berühmtheit viele Leute jetzt in diesen Film ziehen wird, so war es auch bei der Installation, die ansonsten mit Kunst und schon gar mit Künstlermanifesten relativ wenig am Hut haben. Und das finde ich eigentlich ganz schön.
Welty: Jetzt weder im Kino noch im Museum, sondern zu Besuch in "Studio 9" Julian Rosefeldt. Herzlichen Dank!
Rosefeldt: Vielen Dank!
Welty: Ab nächsten Donnerstag ist "Manifesto" im Kino zu sehen mit der fabelhaften Cate Blanchett.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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