Wie Filme Antisemitismus und Judenhass behandeln
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Der neue Film "Intrige" von Roman Polanski über die "Dreyfus-Affäre" sorgt für aufgeregte Debatten. Im Kino werden Antisemitismus und Judenhass immer wieder sehr unterschiedlich behandelt.
Dass der neue Film von Roman Polanski über die Verurteilung des unschuldigen französisch-jüdischen Offiziers Alfred Dreyfus – kurz: die "Dreyfus-Affäre" – bei den Filmfestspielen in Venedig laufen sollte, sorgte für heftigen Protest. Als "Intrige" dann aufgeführt war, waren Publikum wie Kritik sehr angetan. Nun läuft "Intrige" in der kommenden Woche in den deutschen Kinos an. Dass über den Film, dessen Regisseur und Thema heftig diskutiert wird, ist sehr zu wünschen. Antisemitismus und Judenhass haben Filmemacher immer wieder beschäftigt. Hartwig Tegeler gibt in den Top 5 einen Überblick:
Platz 5: "Inside a Skinhead" von Henry Bean (2001)
"Die Menschen hassen die Juden. Allein bei dem Wort kriegen sie eine Gänsehaut", meint Danny. Der Journalist, mit dem er redet, weist ihn allerdings auf einen Widerspruch hin: "Eins frage ich mich: Wie kannst du das alles glauben, wenn du doch selbst Jude bist? Danny – Ryan Gosling – wird Neonazi und will Bomben-Attentate auf Juden verüben. Weil er meint, dass die Juden sich während der Shoah als "zu schwach" erwiesen hätten. Doch am Ende, beim Anschlag auf eine Synagoge, opfert Danny sich selbst. Der Film lässt die Hoffnung aufscheinen, dass Humanität und nicht Rassenhass obsiegen könnte.
Platz 4: "Tabu der Gerechten" von Elia Kazan (1947)
Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges soll der Journalist Philip Green – Gregory Peck – über Antisemitismus in den USA schreiben. Er findet keinen Aufhänger für das Thema, bis seine jüdische Sekretärin, die ihren Namen änderte, um den Job zu behalten, ihn auf die Idee bringt: "Ich hab´s: Ich muss ein Jude werden. Ich brauche doch nur zu behaupten, dass ich Jude bin. Niemand kennt mich hier in New York." Im ersten Hollywoodfilm, der sich mit Antisemitismus auseinandersetzt, weisen die kleinen und größeren Gesten, die plötzlich distanzierten Blicke, das Verziehen eines Gesichts bei Nennung seines jüdischen Namens – Philip nennt sich jetzt Greenberg –, sie weisen auf einen tief sitzenden Antisemitismus in der US-Gesellschaft hin, auch beim sich selbst als liberal und tolerant verstehenden Bürgertum. Verstörend allerdings, dass in "Tabu der Gerechten", entstanden zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die Shoah nicht einmal erwähnt wird.
Platz 3: "Die Kommissarin" von Alexander Askoldow (1967)
Eine schwangere Politkommissarin kommt im russischen Bürgerkrieg in den 1910er-Jahren bei einer armen jüdischen Kesselflickerfamilie unter und ist bald tief berührt von deren Freundlichkeit und dem Leben im Schtetl, das aber immer bedroht ist von antisemitischen Pogromen. Am Ende, wenn die Weiße Armee anrückt und Jefim – mit der Familie und dem Gast im Keller hockend – die Angst vor dem Kanonendonner singend und tanzend zu vertreiben sucht, verwandelt sich die Szenerie in der Phantasie der Kommissarin in die Alptraumvision, in der die Juden mit gelbem Stern an ihrer Kleidung in ein Konzentrationslager ziehen.
Platz 2: "Die Gezeichneten" von Carl Theodor Dreyer (1922)
Das jüdische Mädchen Hanne-Liebe ist eine dieser "Gezeichneten". Was bei Alexander Askoldow immer droht, ein antisemitischer Pogrom, wird bei Charl Theordor Dreyer Realität. Russland um 1900. Im Land herrschen revolutionäre Unruhen. Das Zarenreich kämpft mit allen Mitteln ums Überleben. "Man müsste ein Pogrom anzetteln, das war immer ein sicheres Mittel", schlägt die Agentin der zaristischen Geheimpolizei als Strategie vor. Ein in eine Mönchskutte gekleideter Agent zieht durchs Land und verbreitet antijüdische Hetze, die auf den fruchtbaren Boden des Antisemitismus in der Bevölkerung fällt. Unerträglich, wenn im letzten Teil dieses Schwarz-Weiß-Stummfilms der Mob der Stadt über das jüdische Viertel herfällt, in dem Hanne-Liebe und ihre Familie leben. Das Ende aber wirkt hilflos und ambivalent, wenn sie mit ihrem Geliebten und ein paar Überlebenden des Schtetls aus der Gegend fliehen können.
Platz 1: "Ida" von Pawel Pawlikowski (2013)
Anna, Novizin in einem Kloster, soll vorher die Schwester ihrer Mutter aufsuchen. Anna erfährt von ihrer Tante, wer sie wirklich ist: Eine Jüdin, die eigentlich Ida Lewenstein heißt. Pawel Pawlikowski erzählt von der Suche nach dem Grab von Idas Eltern. Sie wurden von polnischen Bauern vor den Nazis versteckt, dann aber von ihnen ermordet. Der Bauer ist jetzt – Polen 1962 – frei von jedem Schuldempfinden: "Es kann sowieso niemand was beweisen. Was geschehen ist, ist geschehen." Er würde die Stelle zeigen, wo sie begraben sind, und dann wolle er einfach in Ruhe gelassen werden. Natürlich wird es diese Ruhe nie geben. Das Schweigen führt zur Erstarrung, zeigt uns Pawel Pawlikowski in seinem Schwarz-Weiß-Film "Ida". Ein Roadmovie durch eine bleierne Zeit, durch ein Land, das wie erstickt wirkt durch die Nachwirkungen der Shoah, den Exzessen des Stalinismus und den weiter schwelenden Antisemitismus. Ein Film, der heute aktueller wirkt denn je.