Kinosterben in Mainz
Hier könnten die Lichter bald für immer ausgegen: das Capitol-Kino in Mainz. © picture alliance / dpa / Hannes P Albert
Rettung dank Corona?
06:01 Minuten
Einst war Mainz eine brummende Kinostadt. Heute sind nur noch vier Filmtheater übrig. Ausgerechnet den beiden verbliebenen Programmkinos droht nun das Aus. Doch es gibt Hoffnung, und die hat mit Corona zu tun.
Regisseur Christian Petzold diskutiert auf der Bühne des Mainzer Kinos Capitol. Es ist eine von vielen Veranstaltungen, die in dem Programmkino stattfinden, seit es 2009 von Eduard Zeiler und Jochen Seehuber zusammen mit dem Palatin-Kino übernommen wurde:
„Es gibt dann eben das Capitol und das Palatin. Das sind zwei Häuser, wobei das Capitol nur ein Einzelhaus ist und das Palatin vier Säle hat.“
Kino mit ausgezeichnetem Ruf
Aber seit August 2021, erzählt Seehuber, ist das Gebäude des Palatin-Kinos verkauft, und der neue Eigentümer, Fischer & Co., wird den Bau nächstes Jahr abreißen. Weil sich der Weiterbetrieb des Capitols nebenan mit nur einem großen Saal finanziell nicht rechnet, wird damit auch das älteste erhaltene Kino der Stadt schließen, und Mainz verliert seine letzten beiden Programmkinos.
Für den Filmwissenschaftler an der Universität Mainz, Marc Siegel, ein unersetzlicher Verlust: „Das Kino hat einen ausgezeichneten Ruf. Die zwei Kinos, die sozusagen zusammengehören, sind wunderbar vernetzt in der Stadt, mit der Universität, mit der Filmwissenschaft, mit dem Filmfestival, das Studierende der Filmwissenschaft ausgerichten.“
Grundstein für die Filmbildung in der Stadt
Sollte das Kino schließen, würde ein wichtiger Grundstein für die Filmbildung in der Stadt wegfallen.
„Darüber hinaus kooperieren wir immer wieder mit dem Capitol und dem Palatin bei Filmreihen, die Dozierende organisieren. Was das Programmkino ausmacht: In seinem Fokus auf die internationale Filmkunst bringen sie die neusten Filme aus aller Welt in die Stadt, und unter anderem an unsere Studierenden. Wir beziehen uns für unsere Seminare auf die Programmierung der beiden Kinos. Es ist ein wichtiger Treffpunkt.“
Kurz nach dem Verkauf 2021 starteten Mainzer Filmstudierende eine Online-Petition zum Erhalt der Kinos und sammelten über 27.000 Unterschriften. Zu dieser Zeit begannen auch die Gespräche mit der Stadt. Wenigstens konnte durch den öffentlichen Druck, den die sensationell erfolgreiche Petition entfachte, die Zusage von Fischer und Co. erreicht werden, in den geplanten Neubau drei Kinosäle zu integrieren.
Keine Bestandsgarantie
Für die Kultur- und Baudezernentin Marianne Grosse ein Erfolg: „Nach zwei Jahren entsteht an genau dem Standort ein tipptop supertoll modern ausgestattetes Kino.“
Die Stadt wird die Kinosäle anmieten oder erwerben. Allerdings ist das keine Bestandsgarantie für das Palatin und das Capitol. Die Kinos finanziell zu unterstützen, sei der Stadt nicht möglich:
„Wir dürfen als Stadt – das Land übrigens auch nicht – rein wirtschaftlich orientierte Betriebe nicht unterstützen. Und so wie es konstruiert ist, gehört dazu im Moment auch dieses Programmkino.“
Der Neubau braucht Jahre
Eduard Zeiler und Jochen Seehuber hatten im November kritisiert, dass die Kulturdezernentin den Investoren völlig freie Hand beim Bau der Kinosäle lasse. Es sei völlig unklar, in welcher Form sich die Kinos nutzen lassen werden. Darauf erwidert Grosse, die Stadt dürfe den Bauherren keine Vorgaben machen.
Was Zeiler und Seehuber an den Planungen aber besonders störte: Der Neubau wird Jahre in Anspruch nehmen, und in dieser Zeit gibt es in Mainz kein Programmkino.
Doch für eine Weiterführung des Capitol bahnt sich nach einem erneuten Treffen mit der Kulturdezernentin eine Lösung an: Die Stadt darf das Capitol als rein wirtschaftlich geführten Betrieb zwar nicht unterstützen, aber möglicherweise wird das Kino nun gemeinnützig weiter betrieben. Trotzdem hätte Mainz dann für die nächsten zwei, drei Jahre nur einen einzigen Programmkino-Saal.
Geldsegen durch Biontech
Aber es gibt noch andere Pläne: „Unser kommunales Kino, da gucken wir jetzt mal – auch da sind wir in Gesprächen mit anderen Investoren, ob und in welcher Form wir als Landeshauptstadt Mainz weitere Räumlichkeiten für die Sparte Film etablieren können in der Stadt Mainz.“
Dass plötzlich einiges möglich scheint in Richtung Förderung von Filmkultur, sagt Seehuber, hat Mainz ausgerechnet der Pandemie zu verdanken:
„Mainz war eine hoch verschuldete Stadt. Infolgedessen war die Kulturpolitik relativ flach gehalten. Gleichzeitig hat sich eine relativ große Nähe zu den Immobiliengesellschaften entwickelt. Und dann kam eben Corona und der Impfstoff von Biontech, und das hat die Sache radikal verändert. Quasi von einem Tag auf den anderen war Mainz von einer hoch verschuldeten Stadt zu einer der reichsten Deutschlands geworden.“
Ein kultureller Ort von Relevanz
Aber der Filmwissenschaftler Marc Siegel kritisiert, dass trotz der finanziellen Möglichkeiten die Filmpolitik weiter in alten Bahnen verlaufe:
„Die Bau- und Kulturdezernentin hat schon mehrere Pressestatements geliefert, und da wird immer wieder betont, wie viel sie machen für Film und Kino. Und da werden zum großen Teil Einzelevents betont. So ihre wunderbare Förderung von Filmfestivals und auch die Förderung von Nachwuchsfilmemacherinnen. Aber die Relevanz eines Kinos als notwendiger kultureller Ort eines Staates wird nicht aufgegriffen.“
Das sei allerdings, meint Siegel, ein gesamtdeutsches Problem. Solange sich an der geringen Wertschätzung des Kinos im Vergleich zu Theatern und Museen nichts ändere, sehe er die Zukunft der Filmkunst in Deutschland pessimistisch.
Denn Programmkinos werden sich, meint Siegel, langfristig rein wirtschaftlich kaum halten können. Auch in Mainz.