"Kinsey"

Von Bernd Sobolla |
In den USA gibt es nur wenige Themen, die die Nation so spaltet wie der Sex. Das ist heute so, und das war damals, in den 40er und 50er Jahren so, als der Sexualwissenschaftlicher Alfred C. Kinsey nach ausgiebigen Studien das Buch "Das sexuelle Verhalten des Mannes" (1948) herausbrachte.
Dabei schien zunächst nichts darauf hinzuweisen, dass der 1894 in New Jersey geborene Alfred Charles Kinsey die Welt mit Forschungen über die Sexualität erschüttern würde. Im Gegenteil: Sein Vater war strenger Methodist, und Kinsey selbst widmete sich 20 Jahre lang der Erforschung einer Wespenart. Aber der sympathisch-verschrobene Typ verliebte sich dann in eine Studentin, heiratet sie, und als die Hochzeitsnacht in einem Disaster endete, ändert sich das Bild. Die Kinseys suchten und bekamen Rat bei einem Mediziner. Kurz darauf bot Kinsey an der Universität einen Ehekurs an und verteilt Fragebögen an seine Studenten.

Der Regisseur Bill Condon hat das Leben von Alfred C. Kinsey mit Liam Neeson in der Hauptrolle verfilmt, das unter dem Titel "Kinsey" jetzt in die Kinos kommt.

"Matt, die Antworten verschlagen dir die Sprache. Die Kluft zwischen dem, was wir angenommen haben und der Realität ist gewaltig.

Was mich erstaunt ist, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen der Attraktivität einer Frau und ihrem Sexualleben. Und bei den potthässlichen scheint am meisten los zu sein. … Es wäre schön, wenn wir mehr Freiwillige hätten. 100 Fälle sind nicht gerade repräsentativ.

Vielleicht liegt das an den Fragebögen, weil das wie eine Hausarbeit wirkt oder ein Test."

Und so arbeitet Alfred Kinsey mit seinen Mitarbeitern einen neuen Fragebogen aus, nach dessen Muster sie im ganzen Land rund 18.000 Interviews führen - persönlich und mit allen gesellschaftlichen Gruppen. Es ist der Beginn der modernen Sexualwissenschaft. Für Regisseur Bill Condon noch immer ein aktuelles Thema.

"Ich denke, am wichtigsten ist es, dass noch immer einige von Kinseys Ideen relevant sind – heute wie damals. Vor allem dass die Sexualität jedes Menschen individuell und einzigartig ist. Und dass wir uns oft bemühen normal zu sein, um in eine Gruppe zu passen, und dabei unsere Einzigartigkeit vergessen. "

So wichtig das Thema auch heute noch ist, der Film über Kinsey hat mehrere Probleme. Die Entwicklung und Auswertung einer wissenschaftlichen Studie ist visuell nicht gerade spanned. Zumal große Teile des Films aus Vorträgen und Diskussionen bestehen. Und Kinsey ist zwar ein besessener Wissenschaftler, aber auch ein spröder Chrakter: Masturbationspraktiken, Penislänge, Geschlechtsverkehr mit Frauen, Männer, Minderjährigen oder Tieren registriert er aufmerksam, interessiert in Form von Zahlen und Kreuzchen. Aber eine emotionale Wertung will und darf er dabei nicht zeigen.

Spanned wird der Film, wenn die wissenschaftliche Arbeit das Privatleben der Kinseys überlagert. Wenn Kinsey, für dessen Vater Sex eine Art Gotteslästerung war und der mit seinem Sohn nie über Sex sprach, wenn Kinsey mit seinen Kindern ausschließlich über Sex redet. So dass sich sein Sohn genervt abwendet. Oder wenn Alfred Kinsey seiner Frau erzählt, dass er gerade mit einem Mann geschlafen hat.

"War ich nicht allem gegenüber, was du wollest, aufgeschlossen?

Das hat nichts mit dir zu tun. Du bist die beste Partnerin, die man sich wünschen kann.
Aber das reicht dir nicht, habe ich recht?

Bitte, Mat, das steckt in mir. Ich weiß nur nicht in welchem Maße. Aber es wäre scheinheilig von mir zu tun, als wäre da nichts. "

Kinseys Studien gehören zu den Meilensteinen der Sozialwissenschaft. Vor allem sein Buch "Das sexuelle Verhalten des Mannes", das er 1948 herausbringt, schlägt ein wie eine Bombe. Darin kommt Kinsey zu der Erkenntnis, dass es ein so genanntes "normales" sexuelles Verhalten gar nicht gibt, sondern nur ein eher übliches oder eher seltenes Verhalten.

"Hat Sex wirklich einen so großen Stellenwert, Doktor?. ...

Sind sie vom Erfolg ihres Buches überrascht?

Nein, es beweist, dass die Welt darauf gewartet hat.

Gibt es Pläne für eine Verfilmung dieses Stoffes?

Ich könnte mir nichts Unsinnigeres vorstellen. "

Kinsey hatte Recht. Ein Filmstoff wird daraus nicht. Alle Konflikte spielen sich ausschließlich verbal ab: Egal ob die Rockefeller Stiftung ihre finanzielle Unterstützung einstellt, ob Kongressbeamte gegen Kinsey ermitteln oder sich seine Mitarbeiter gegenseitig die Frauen ausspannen. Und die Frage, die einen Bogen in die heutige Zeit spannen könnte, bleibt ungestellt: Wie kommt es eigentlich, dass trotz Kinseys Studien und der sexuellen Revolution, die ohne Kinsey gar nicht denkbar gewesen wäre, im Westen seit Jahrzehnten immer mehr Ehen scheitern und weniger Kinder geboren werden, während weniger aufgeklärte Gesellschaften meist stabilere Familienstrukturen haben? Das stellt den Wert von Kinseys Studien keinswegs in Frage. Auch nicht für Liam Neeson.

"Sex ist noch immer sehr kontrovers. Und dazu gehören auch Bereich wie Geschlechtergleichstellung, Überbevölkerung, Aids, Teenager-Schwangerschaften – und Teenager Selbstmorde. Kinseys Forschungen berührten auch all diese Dinge. Und ich denke, die Welt sollte daran erinnert werden. "