Kirche

Das Rätsel um die Wojtyla-Reliquie

Carabinieri vor der Kirche San Pietro della Ienca - hier wurde eine Reliquie von Johannes Paul II. gestohlen
Carabinieri vor der Kirche San Pietro della Ienca - hier wurde eine Reliquie von Johannes Paul II. gestohlen © dpa / pa / Lattanzio
Von Thomas Migge |
Ein kleines Gotteshaus in den Abruzzen mausert sich derzeit zum Heiligtum für den verstorbenen Papst Johannes Paul II. Die Kirche steht aber auch im Zentrum einer Räuberpistole - in der es um Ruhm und Reliquien geht.
Die Anfahrt von Rom aus zur kleinen Kirche San Pietro della Ienca ist kein Kinderspiel. Die uralte Gotteshaus liegt zwar im Verwaltungsbereich der Stadt l’Aquila, also mitten in der Region Abruzzen, doch die Straße, eher ein Schotterweg, ist nicht leicht zu finden. Auch der Autonavigator gibt seinen Geist auf. Die Fahrt geht durch eine wildromantische Gegend, mit Bergen und Tälern, ohne klare Straßenschilder. Doch die Anwohner in der Umgebung wissen ganz genau, wie man zum Heiligtum für Papst Johannes Paul II. gelangt. Noch ist es kein offizielles Heiligtum der katholischen Kirche, denn noch ist der dort Verehrte kein Heiliger der katholischen Kirche - doch für die Gläubigen, nicht nur in den Abruzzen, ist San Pietro della Ienca seit Jahren ein wichtiges Pilgerziel, weiß Giovanni D’Ercole, Weihbischof von l’Aquila:

"Die Erinnerung an ihn ist sehr lebendig unter den Menschen, vor allem hier in den Abruzzen. Was mich hier überrascht: wie spontan die Menschen sich um diesen Ort zu kümmern begannen. Und Johannes Paul II. ist hier präsent. Das spüren alle. Denn hier fühlte er sich sehr wohl, als er von Rom aus hierher kam, sich auf eine Mauer oder in die Kirche setzte, meditierte und betete."

Der am 2. April 2005 verstorbene polnische Papst wird zwar erst am 27. April offiziell heilig gesprochen - ein Seliger der katholischen Kirche ist er ja schon -, aber seit 2011 wird die kleine und romantisch mitten in der wilden Natur der Abruzzen gelegene romanische Kirche, die zum ersten Mal im neunten Jahrhundert erwähnt wird, wie der Ort eines Heiligen verehrt.
Ein Stück Stoff mit Blut
Ein Ort, der in Italien unter Gläubigen sehr bekannt ist. Im Ausland hingegen hat so gut wie niemand jemals von dieser Kirche gehört. Kernstück des Heiligtums ist eine kleine runde Reliquie. Eine besondere Reliquie, berichtet Massimo Cialenca, einer der Gläubigen, die sich um das Heiligtum kümmern:
"Ein Stück Stoff mit Blut, das zu jenem Gewand gehörte, das Johannes Paul II. im Mai 1981 trug, als Ali Agca auf ihn schoss."

Es handelt sich um eine der drei offiziellen Blutreliquien von Papst Johannes Paul II. Eine dieser Reliquien wird im Kölner Dom aufbewahrt.

"Dieses Stück Stoff ist ein Geschenk von Kardinal Stanislaw Dziwisz, dem ehemaligen Vertrauten und Privatsekretär Wojtylas. Er schenkte die Reliquie mit dem von päpstlichem Blut gefärbten Stück Stoff unserer Kirche. Dziwisz wusste ja, wie sehr der Papst an diesem Ort gehangen und wie oft er hier gebetet hatte."

Ende Januar wurde diese Reliquie gestohlen. Die Nachricht des Diebstahls schlug im katholischen Italien wie eine Bombe ein. Sogar die linksliberale Tageszeitung "la Repubblica" fragte überrascht: "Wer stiehlt die Reliquie eines Papstes?" Hundertschaften der Polizei und zahllose freiwillige Helfer durchkämmten die Wälder bei der kleinen Kirche – und wurden schließlich fündig. Der Reliquienbehälter wurde Anfang Februar wiedergefunden – in der Garage von einem der drei festgenommenen Tatverdächtigten, die mit der Reliquie Geld machen wollten.
Waren es Satanisten?
Ganz Italien diskutierte vor der Festnahme die Frage, wer denn die Diebe sein könnten. Zunächst gingen die Ermittler von einfachen Einbrechern aus, die schnell Geld machen wollten, etwa Drogenabhängige. Dann vermutete man Mitglieder einer der in Italien zahlreichen Satanssekten. Immerhin existieren in Italien, so ein Bericht einer Regierungskommission vom vergangenen Jahr, rund 500 solcher Sekten.
Sie fallen immer wieder dadurch auf, dass ihre Mitglieder aus katholischen Kirchen Hostien, Kruzifixe und Reliquien stehlen. Ehemaligen Mitgliedern dieser Sekten zufolge werden die gestohlenen Gegenstände für rituelle Handlungen genutzt. Ein Polizeisprecher schloss auch nicht aus, dass die Wojtyla-Reliquie von einem Sammler katholischer Reliquien gestohlen worden sein könnte. Ähnliche Fälle hat es in den vergangenen Monaten vor allem in Süditalien gegeben, weiß Pasquale Corriere von der "Vereinigung San Pietro della Ienca", die für den Erhalt des Heiligtums verantwortlich ist:

"Ich habe sofort alle daran erinnert, diejenigen, die diesen Diebstahl durchführten, dass die Reliquie keinen materiellen Wert hat. Sie ist aus einfachem Metall."


Bevor die Diebe gefasst werden konnten, vermuteten nicht wenige Lokaljournalisten, dass die Täter eventuell auch im katholischen Umfeld der kleinen romanischen Kirche zu finden sein könnten.

Es war der katholische Geistliche Don Gajda Marcon Robert, der schon vor einigen Monaten der Polizei gegenüber von einer Art, so seine Worte, "Krieg" um die Verwaltung des Heiligtums berichtete. Denn seit Jahren befehden sich die Kurie von l’Aquila, also der Erzbischof, und die private Vereinigung "San Pietro della Ienca". Diese Vereinigung kümmert sich um den Erhalt und um die Geldspenden für die Kirche. Die Kurie würde nur zu gern ganz die Verantwortung für das Gotteshaus übernehmen. Sie kritisiert schon seit langem, dass der Kircheninnenraum und die Eingangstür nicht durch eine Alarmanlage gesichert sind. Die Mitglieder der Vereinigung meinten, dafür habe man kein Geld. Die Auseinandersetzung zwischen Kurie und Vereinigung führte im vergangenen Herbst dazu, dass die Polizei einschreiten musste, weil es zu Handgreiflichkeiten gekommen war.

Jetzt, wo die wiedergefundene Reliquie an ihrem angestammten Platz in der Kirche aufbewahrt wird, soll das Gotteshaus endlich mit einer Alarmanlage ausgestattet werden. Mit der Heiligsprechung von Johannes Paul II. Ende April erwartet man noch mehr Pilger und Neugierige. Und da will man vorbereitet sein, denn wer weiß: Auch weitere Diebe könnten unter den zukünftigen Besuchern sein.