Eine der Haupteinnahmequellen der Kirche ist die Kirchensteuer – im Jahr 2021 etwa sechs Milliarden Euro für die evangelische und 6,7 Milliarden Euro für die katholische Kirche. Darüber hinaus finanzieren sich die Kirchen aus diversen Quellen. Eine davon sind die sogenannten Staatsleistungen, die an die evangelische und katholische Kirche fließen: über 500 Millionen jährlich, im Jahr 2022 sogar an die 600 Millionen – direkt vom deutschen Staat.
Diese Zahlungen werden oft kritisiert. Die Staatsleistungen abzuschaffen ist Verfassungsauftrag – und so gut wie alle Parteien sprechen sich dafür aus. Die Ampelkoalition hat die Aufgabe außerdem in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten und ist darüber im Gespräch mit Kirchen und den Ländern. Aber die Beendigung der Zahlungen ist schwieriger, als man vermuten könnte – und hat mit lange zurückliegenden Verflechtungen von Staat und Kirche zu tun.
Der Grund dafür liegt über 200 Jahre zurück und lässt sich nur mit ein wenig „Geschichtsunterricht“ erklären: Am 25. Februar 1803 kommen in Regensburg die Reichsstände zusammen, um eines der letzten Gesetze des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu beschließen: den Reichsdeputationshauptschluss.
In den Napoleonischen Kriegen waren die linksrheinischen Territorien des Reiches an Frankreich gefallen. Insbesondere Preußen, Bayern, Baden-Württemberg erlitten Gebietsverluste. Dafür verlangten die betroffenen Fürsten Entschädigung. Da fällt der Blick der Reichsstände auf das gigantische Vermögen der Kirchen. Ländereien der Kirchen werden enteignet und den Fürsten zugeschlagen, die linksrheinische Verluste hinzunehmen hatten. Säkularisation wird diese Enteignung der Kirchen genannt. Dadurch „entgingen den Kirchen hohe Vermögenswerte und Einnahmen, und dadurch entstand eine finanzielle Notlage“, sagt der Jurist Hans Hofmann.
Denn die Kirchen hatten viele ihrer Kosten bisher über Einnahmen aus den Ländereien beglichen – und verlangten nun ihrerseits Entschädigungen. „Zum Ausgleich hat der Staat die Finanzierung der Pfarrer und auch sonst eine Reihe von Leistungen übernommen. Das ist die entscheidende Ursache dafür, dass es heute diese Staatsleistungen gibt“, so Claus Dieter Classen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald.
Es sind Gehälter von Bischöfen und Pfarrern darunter – ebenso wie der Unterhalt für bestimmte Gebäude. Die Gesamtsumme steigt bisher jährlich: 2022 waren es laut Angaben der Humanistischen Union 594 Millionen. Zahlungspflichtig sind die Länder mit Ausnahme von Bremen und Hamburg.
Die Staatleistungen, die an die evangelische und katholische Kirche gezahlt wurden, sind über die Jahre hinweg angestiegen.© Statista / Humanistische Union
Dass alle Steuerpflichtigen an die Kirche zahlen, egal, ob sie Mitglied einer Kirche sind oder nicht, stört viele: „Die Staatskirchenleistungen sind natürlich für Kirchendistanzierte ein Unding“, sagt Axel Denecke. Der Theologe engagiert sich schon lange für alternative Modelle der Kirchenfinanzierung. „Die sagen: Warum müssen wir zahlen? Wir gehören seit 40, 50 Jahren der Kirche nicht mehr an. Was haben wir damit zu tun?“ Schließlich sind Kirche und Staat in Deutschland getrennt.
Ähnlich sieht es der Münsteraner Staatsrechtler Bodo Pieroth, der eine zügige Einstellung der Zahlungen fordert: "Parlament und Regierung sollten sich darauf besinnen, dass sie die Interessen aller Bürger zu vertreten haben, also auch die der konfessionslosen Mehrheit sowie der zahlreichen Kirchenmitglieder, die für das Andauern der anachronistischen Staatsleistungen keinerlei Verständnis mehr haben", sagte der emeritierte Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Politik an der Universität Münster im Interview der "Welt".
Jurist Hans Hofmann hingegen betont, dass die finanziellen Vereinbarungen damals ja nur aufgrund der Trennung von Staat und Kirche entstanden seien – und verweist auf karitative Leistungen, die die Kirche wiederum übernimmt und die sonst im Aufgabenbereich des Staates liegen würden. „Wir haben in Deutschland eine kooperative, freundliche Trennung, wie man sie nennt, anders als etwa in Frankreich, wo man von einer feindlichen Trennung spricht, und dieses Model der kooperativen Trennung funktioniert gut in Deutschland. Es hat das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen weitgehend befriedet.“
Das Ziel, die Staatsleistungen abzuschaffen, gibt es schon lange. Und nicht nur das: Es ist sogar erklärtes Verfassungsziel. Das kam so:
Bei der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung 1919 wurde das Vorhaben im Artikel 138 festgeschrieben. Dort heißt es: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Passiert ist aber nichts. Stattdessen wurde der Verfassungsartikel bei der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 einfach übernommen und weitergezahlt.
Fachleute sind sich weitgehend einig, dass die Kirchen mittlerweile reichlich überkompensiert wurden – beispielsweise der Staatsrechtler Bodo Pieroth. Er verweist auf ein Sachverständigengutachten in der letzten Legislaturperiode. Das „ging davon aus, dass die Kirchen bei angenommener dreiprozentiger jährlicher Verzinsung über die letzten 100 Jahre das 194-Fache erhalten haben“.
Diese Versuche seien aus verschiedenen Gründen im Bundestag abgelehnt worden, sagt der religionspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Thoma Rachel (CDU). "Zudem konnte man den Eindruck gewinnen, dass es weder die Kirchen noch die Länder besonders eilig hatten mit der Ablösung der Staatsleistungen."
Auch die Ampelkoalition möchte die Zahlungen beenden, hat das Vorhaben
in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben und Gespräche zwischen den Parteien angestoßen. Aber ihr bisheriger Vorschlag dazu stößt bei den Ländern auf Widerstand. Viel zu teuer, sagen sie. Denn auch wenn der Bund beschließt, die Länder müssen zahlen – und eine Einigung könnte erst einmal Geld kosten. Der Knackpunkt ist also die sogenannte Ablösesumme.
An den vielen vergeblichen Versuchen wird deutlich: Das Thema verlangt viel Fingerspitzengefühl, zumal Bedürfnisse von Ländern, Bistümern und Landeskirchen berücksichtigt werden müssen. Der Bund muss dabei als Vermittler auftreten.
Damit die Kirche auf die Staatsleistungen verzichtet, muss ihr erst ein lukratives Angebot gemacht werden: sozusagen die Entschädigung für die Entschädigung – die Ablösesumme. „Es führt verfassungsrechtlich an einer Entschädigung der Kirchen für diese Ablösung kein Weg vorbei“, sagt der Jurist Hans Hofmann.
Wie diese Ablösung aussehen könnte, da gebe es verschiedene Modelle, sagt Hofmann: „Dafür kommt zum Beispiel das Äquivalenzprinzip infrage, das im Bewertungsgesetz bestimmte Berechnungen zugrunde legt.“ Das Äquivalenzprinzip – also das Prinzip der Angemessenheit – sieht vor, dass die Kirchen durch die Ablösung finanziell nicht schlechter gestellt werden. Der Gesetzesvorschlag von den Linken, Grünen und der FDP von 2020 orientiert sich beispielsweise daran.
Entscheidend seien aber die Ablösungsmodalitäten, so Hofmann. „Da kommen drei Instrumente infrage: Einmalzahlungen, Ratenzahlungen, aber auch die Ausgabe von Wertpapieren oder gehandelten Staatsanleihen, und zu diesem Zweck gibt es zurzeit Gespräche zwischen der Bundesregierung, den Ländern und auch den betroffenen Kirchen.“
Bisher ist wenig Konkretes bekannt: Aber eine Zahl, die als Ablösesumme im Raum steht und diskutiert wird, sind zehn Milliarden Euro oder mehr. Diese Summe würde dem 18,6-fachen der bisherigen jährlichen Zahlungen entsprechen. Diesen Faktor hatte auch der in der letzten Legislaturperiode von FDP, Grünen und Linken vorgelegte Gesetzentwurf vorgesehen, der aber letztlich gescheitert war.
Viel zu viel, sagen die 14 betroffenen Bundesländer und lassen wenig Verhandlungsbereitschaft erkennen: Alle seien sich einig, "dass auf den aktuellen Vorhaben zur Ablösung der Staatsleistungen kein Segen liegt", sagt der Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei, Jörg Mielke. Zum einen sei die Summe für die Länder auch per Ratenzahlung nicht finanzierbar, zum anderen könnten "die Länder keinerlei Interesse daran haben, das bewährt gute Verhältnis zu den Kirchen mit Finanzdiskussionen zu belasten“.
Immerhin: Laut Nachrichtenagenturen stehen die Kirchen einer möglichen Ablösung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.
Quellen: Rainer Brandes, Liane von Billerbeck, Deutschlandradio, KNA, epd, statista, Humanistische Union, EKD, lkn