Gemeinsam Gottesdienst feiern mit dem Feind
Im fünften Jahr seiner Unabhängigkeit tobt im Südsudan ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und Rebellen. Die Kirche ist aktiv in der Friedens- und Trauma-Arbeit - und bringt im Gottesdienst sogar verschiedene Ethnien zusammen.
Rund 40 Kinder laufen mit in ihren Flipflops auf sandigem Boden und singen. Im Hintergrund ist ein großes Gebäude aus Wellblech zu sehen. Schülerinnen und Schüler eines Flüchtlingslagers in der südsudanesischen Hauptstadt Juba heißen den Besuch willkommen.
Dorina Waldmeyer: "Sie sind unglaublich engagiert, sie saugen wie ein Schwamm die Bildung auf. Wenn man überlegt, dass zwölf Klassen in einem großen Raum unterrichtet werden – also, ich könnte mich da nicht konzentrieren. Aber diese Kinder sind so glücklich und zeigen uns allen, dass sie Heft und Stifte haben, weil es für sie so etwas Besonderes ist! Das ist wirklich schön zu sehen. Wie die Kinder gesungen haben: Bildung ist der Schlüssel."
Ich treffe Dorina und Mathias Waldmeyer im Missionshaus in Basel. Auf ihrem Laptop zeigen sie mir Video-Aufnahmen, die sie in Juba gemacht haben.
Das junge Ehepaar wurde Anfang des Jahres vom evangelischen Missionswerk Mission 21 nach Südsudan ausgesandt. Dorina arbeitete zuvor einige Jahre in der Entwicklungszusammenarbeit, Mathias als Risiko-Analyst. Aufgrund der unsicheren Lage leben sie anderthalb Flugstunden von Juba entfernt in Nairobi, Kenia.
Sie arbeiten als Programm-Koordinatoren mit der Presbyterianischen Kirche des Südsudan zusammen. Etwa alle zwei Monate sind sie in verschiedenen Regionen des Südsudan, ansonsten besuchen sie Projekte in Flüchtlingslagern in Grenzregionen Kenias, Äthiopiens, Ugandas und des Sudan. Mitarbeitende der Projekte kommen zudem häufig zum Austausch und zu Weiterbildungen nach Nairobi. Ansonsten halten die Waldmeyers den Kontakt per Telefon und E-Mail aufrecht.
Mathias Waldmeyer: "Wir füllen eine Lücke, die von hier in Basel aus nicht ausgefüllt werden kann. Wir sind in der Nähe der Partner, können regelmäßig mit ihnen reden, ein Verständnis entwickeln, was Herausforderungen sind, was Schwierigkeiten sind, sie haben einen direkten Ansprechpartner in uns, und wir können sehr gut zusammenarbeiten in der Hinsicht, dass wir die Projekte, die Wirkung der Arbeit verbessern können."
Die Presbyterianische Kirche im Südsudan hat ein großes sozial-diakonisches Arbeitsfeld: Sie unterhält Schulen, eine theologische Ausbildungsstätte, sie ist aktiv in der Friedens- und Trauma-Arbeit, im Bereich Landwirtschaft, sie kümmert sich um Witwen und Waisen und bildet Hebammen aus. Durch den Bürgerkrieg sind die kirchlichen Strukturen selbst stark angegriffen, teilweise zerstört. Mitarbeitende und Teilnehmende ganzer Einrichtungen mussten fliehen. Die Hebammenschule beispielsweise wird in einem Flüchtlingslager in Kenia fortgeführt.
Konflikte verlaufen oft entlang ethnischer Grenzen
Aus europäischer Perspektive sind die kriegerischen Auseinandersetzungen schwer zu verstehen. Konflikte verlaufen oft entlang ethnischer Grenzen. Es geht um Macht- und Verteilungskämpfe zwischen den verschiedenen Regionen, sagt Mathias Waldmeyer.
Mathias Waldmeyer: "Dieser Konflikt ist aufgebrochen, nachdem die Unabhängigkeit erreicht worden war und es darum ging, wie die Ressourcen im Land verteilt werden und wer Einfluss und die Macht darüber hat. Und ein sehr wichtiger Punkt ist, dass die Regierung jetzt versucht Macht zu bekommen über die Rohstoffe vor Ort, und da die Opposition natürlich massiv gegen vorgehen will, und es gibt die verschiedenen Strategien: die einen sagen, wir gehen wieder in die Regierung hinein, formen eine Regierung der nationalen Einheit, andere spalten sich davon ab, sagen, wir sind nicht damit einverstanden, sondern bleiben außerhalb der Regierungsstrukturen und führen unseren Kampf weiter."
Der Bürgerkrieg forderte Schätzungen zufolge bereits rund 300.000 Tote. Fast alle Menschen im Südsudan haben Familienangehörige verloren, viele mussten fliehen und alles hinter sich lassen. Sie leben in bitterer Armut, zahlreiche Menschen leiden Hunger.
Kirche schafft neue Räume und unterstützt die Versöhnung
Was vielen Menschen trotz der erlittenen Gräuel noch Hoffnung und Mut gibt, ist ihr Glaube an Gott. Das sagt auch der Pfarrer Sijin Chuol Bidong aus Juba, der zu Besuchen nach Deutschland und in die Schweiz gekommen ist – auch, um für Unterstützung zu werben.
"Ich bin Pfarrer der Presbyterianischen Kirche. In meiner Gemeinde spreche ich viel über die Rolle des Friedens. Aufgrund der Krise im Südsudan müssen wir mehr denn je zusammen kommen! Der Konflikt besteht zwischen dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten, die doch wie Brüder sein sollten. In meiner Kirche wollen wir neue Räume schaffen, in denen wir Vergangenes hinter uns lassen und über den Frieden sprechen können."
Die Kirche bietet Kurse und Seminare an, in denen es um die Bewältigung erlittener Traumata und um das Thema Versöhnung geht. Es kommt immer wieder vor, dass Vieh oder sogar Kinder gestohlen werden und der Verdacht sofort auf Menschen einer anderen Ethnie fällt – so tief verankert sind die Konflikte in der Gesellschaft.
"Der Frieden kommt, der Frieden kommt"
Umso wichtiger ist es, dass die Kirche Menschen verschiedener Ethnien zusammen bringt, sagt Mathias Waldmeyer.
"Sie kommen mit Leidenschaft am Sonntag in die Kirche, es ist der wichtigste Tag für sie, sie ziehen sich sehr schick dafür an, sind bereit, Geld zu spenden, obwohl sie selber zum Teil in bitterer Armut leben, und für sie gibt ein Gottesdienst ihnen Hoffnung, der Austausch mit den Menschen, und das ist in Südsudan so besonders, dass die Kirche wirklich Menschen über die Ethnien hinweg zusammenführen kann und hier auch einen sehr wichtigen Beitrag für den Frieden leisten kann im Land."
Die Hoffnung auf Frieden gibt Kraft, um trotz allem weiter zu machen. Bereits im ersten halben Jahr haben Waldmeyers viele mutige und engagierte Menschen kennen gelernt. Einen Pfarrer, der sich schützend vor andere stellte. Lehrerinnen und Lehrer, die auch ohne Gehalt unterrichten. Hebammen, die in Flüchtlingslagern gegen Kinder- und Müttersterblichkeit kämpfen. Einen Theologie-Studenten, den ein Rebellenkämpfer ins Bein schoss, und der alles daran setzte, sein Studium nach der Flucht am neuen Ort fort zu setzen, damit er später der Kirche und Gott dienen könne. Die Menschen seien eigentlich die große Motivation für ihren Einsatz im Südsudan, sagen Waldmeyers.
Dorina Waldmeyer: "Dieses 'nie die Hoffnung verlieren', immer dieses positive Denken, für mich war das am Anfang unfassbar. Die Menschen, die so viel Leid erlebt haben. Die durch diesen langen Bürgerkrieg gegangen sind. Dass sie immer noch sagen: 'Der Frieden kommt, der Frieden kommt.'"